Es ist schwer, in den sozialen Medien zu stöbern, ohne auf ein ganzes Bankett an leckeren Posts zu stoßen, aber beeinflussen diese tatsächlich unsere eigenen Essensentscheidungen? Viele von uns haben das Glück, eine gewisse Auswahl zu haben, was sie essen. Wenn wir den Kühlschrank öffnen oder die Regale des örtlichen Supermarkts durchstöbern, steht uns eine riesige Auswahl zur Verfügung. Aber sind die Entscheidungen, die wir über unsere Ernährung treffen, wirklich so frei, wie wir glauben? Was wäre, wenn es etwas anderes als unseren eigenen Hunger und die Auswahlmöglichkeiten auf Augenhöhe gäbe, dass unsere Ernährung beeinflusst?
Wenn man durch die sozialen Medien wie Instagram, Twitter oder Facebook scrollt, wird man mit Bildern von perfekt zubereiteten und absolut köstlich aussehenden Mahlzeiten konfrontiert. Es hat den Anschein, dass wir in Bezug auf unsere Ernährung stark von anderen Menschen beeinflusst werden – insbesondere von denen, die uns am nächsten stehen. Forschungen haben ergeben, dass je enger und stärker die Beziehung zwischen zwei Menschen ist, desto mehr Einfluss haben sie auf die Lebensmittelwahl des jeweils anderen. “Es gibt Hinweise darauf, dass der Anblick von Bildern von Lebensmitteln ein Verlangen nach Essen auslösen kann”, sagt Suzanne Higgs, Professorin für Psychobiologie des Appetits an der Universität von Birmingham, Vereinigtes Königreich.
Ob man diesem Verlangen nachkommt, hängt allerdings von vielen anderen Faktoren ab, zum Beispiel davon, welche Lebensmittel gerade verfügbar sind”, sagt sie. Aber die sozialen Medien sind ein Ort, an dem sich visuelle und soziale Hinweise treffen. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass man sich von Freunden in seinem sozialen Netzwerk, die regelmäßig über bestimmte Lebensmittel posten, so stark beeinflussen lässt das man sie nachahmt. Zudem deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass soziale Medien unsere Beziehung zu Lebensmitteln verändern und uns dazu bringen, anders über das zu denken, was wir essen. “Wenn alle deine Freunde in den sozialen Medien Bilder von sich posten, auf denen sie Fast Food essen, wird das zu einer Norm, die besagt, dass man Fast Food essen muss”, sagt Higgs.
Forschungsergebnisse legen nahe, dass wir uns eher mit Fotos von Fast Food beschäftigen, sagt Ethan Pancer, Professor für Marketing an der Saint Mary’s University in Halifax, Nova Scotia, Kanada. Dies gilt insbesondere für gesättigte Fette, da sie uns ein gutes Gefühl geben, indem sie Dopamin freisetzen und die Genusszentren im Gehirn stimulieren. Der Mensch ist biologisch darauf programmiert, kalorienreiche Nahrung zu suchen – eine Fähigkeit, die unseren Vorfahren beim Überleben half, als sie auf Nahrungssuche gingen.
Wissenschaftler sind zunehmend besorgt darüber, dass lebensmittelbezogene Inhalte in den sozialen Medien dazu führen, dass wir anders über Lebensmittel denken. Die Algorithmen der sozialen Medien fördern Inhalte, mit denen sich die Nutzer mehr beschäftigen. Wenn wir also mehr ungesundes Essen sehen, sehen wir auch mehr davon in unseren Social-Media-Feeds, sagt Pancer. Eine Studie schätzt, dass Kinder und Jugendliche zwischen 30- und 189-mal pro Woche Werbung für Lebensmittel in sozialen Medien sehen, wobei Fast Food und zuckerhaltige Getränke am häufigsten vorkommen.
Über 90 % der Jugendlichen haben mindestens ein Sozial-Media-Konto, und ihre Aktivität in den sozialen Medien nimmt weiter zu. Lebensmittel- und Getränkemarken machen sich diesen Trend zunutze, indem sie ihre Produkte über soziale Medien an Jugendliche vermarkten. Je nach Nährwert der beworbenen Produkte kann der Einfluss der Social-Media-Werbung zum Risiko der Entwicklung ungünstiger gesundheitlicher Folgen wie Fettleibigkeit, Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes beitragen. Aber es ist nicht nur die Werbung der Lebensmittelindustrie, die dafür verantwortlich ist – jedem von uns ist es heutzutage möglich, die Menschen online zu beeinflussen.
Studien haben zwar ergeben, dass soziale Medien uns dazu bringen können, anders über Lebensmittel zu denken, und dass wir uns in der Regel mehr mit Inhalten über ungesunde Lebensmittel beschäftigen, aber es ist noch ungewiss, ob sich dies tatsächlich auf unser Verhalten im Alltag auswirkt. Wie stark der Einfluss der sozialen Medien auf uns ist, variiert auch von Person zu Person, sagt Melissa Atkinson, Dozentin für Psychologie an der University of Bath, Großbritannien. “Es gibt große individuelle Unterschiede in der Art und Weise, wie wir auf Bilder in sozialen Medien reagieren, und zwar aufgrund unserer eigenen biologischen und psychologischen Prozesse”, sagt sie. Bei manchen Menschen ist die Belohnungsreaktion auf Lebensmittelreize höher, da das Gehirn beim Anblick bestimmter Lebensmittel Genusssignale aussendet”, sagt Atkinson. Bei diesen Menschen ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie auf Nahrungsmittelreize reagieren, egal wo sie sie sehen.
Aber auch ohne endgültige Antworten suchen Forscher nach Möglichkeiten, wie soziale Medien unsere Ernährung positiv beeinflussen können. Solange ungesunde Lebensmittel einen populäreren (d. h. sozial wünschenswerteren) Wert haben als gesunde Lebensmittel, könnten gesunde Lebensmittel einen zu starken Nachteil darstellen, um die Menschen zu überzeugen, ihren derzeitigen Konsum zu ändern.
Deshalb wird die Frage aufgeworfen, ob man den – derzeit weniger wünschenswerten – sozialen Wert gesunder Lebensmittel mithilfe von Anstößen verbessern und so die Menschen zu einer gesünderen Lebensmittelauswahl anregen kann. Anstöße oder auch “Nudges” genannt sind einfache Interventionen, die die Entscheidungsstruktur des Einzelnen verändern und ihn dazu bringen, in eine vorgegebene Richtung zu handeln, ohne seine Entscheidungsfreiheit einzuschränken. Größere Teller für gesundes Essen in Cafeterias, gesunde Lebensmittel in Augenhöhe in Geschäften, grüne Aufkleber, um die Gesundheit der Auswahl zu betonen.
Quellen
A. J. L. B.Dowdell, „Social media’s influence on adolescents′ food choices: A mixed studies systematic literature review,“ 1. Jan. 2022. [Online]. Verfügbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0195666321006723. [Zugriff am 30. Jan. 2022].
J. Brown, „How food influencers affect what we eat,“ 7. Dec. 2021. [Online]. Verfügbar unter: https://www.bbc.com/future/article/20211206-does-seeing-food-on-social-media-make-us-eat-more. [Zugriff am 30. Jan. 2022].
T. T. Karine Charrya, „I tweet, they follow, you eat: Number of followers as nudge on social media to eat more healthily,“ 9. Dec. 2020. [Online]. Verfügbar unter: https://www.sciencedirect.com/sdfe/pdf/download/eid/1-s2.0-S0277953620308145/first-page-pdf. [Zugriff am 30. Jan. 2022].