Die Frage nach Verantwortung im Design gibt es schon lange. Die ersten Proteste gegen die vorherrschende Designpraxis führten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zur „Arts and Crafts“-Bewegung unter William Morris. Kritisiert wurde vor allem die maschinelle Massenproduktion, mit ihrem Verlust an Qualität und Schönheit. „Morris machte die seelenlose Maschinenarbeit und die Profitinteressen der Unternehmer und Industriellen für die zunehmende Umweltverschmutzung sowie die verheerenden Lebensumstände der Arbeiterklasse verantwortlich. Deshalb forderte er eine Rückbesinnung zum verantwortungsvollen Kunsthandwerk“. Doch gegen die Vorteile der Serienfertigung und Massenproduktion hatten die Designer:innen, welche diese kritisierten keine Chance.
Weiter gehts im Jahr 1919. Das von Walter Gropius gegründete Bauhaus setzte sich für einen „sozialen Funktionalismus“ ein. Mit Funktionalismus wird eine Gestaltung, die durch den Verwendungszweck bestimmt wird, und bei der rein ästhetische Gestaltungsprinzipien in den Hintergrund treten, beschriebenen.
Unter Einfluss der De-Stijl-Gruppe der 20er Jahre, deren Merkmal die „Neue Sachlichkeit“ war, entstanden funktionale, einfache Formen. Die diesen Ansprüchen gerecht werdenden Gegenstände sollten effizient und preiswert produziert werden können, damit jeder sich diese leisten könne. „Das Bauhaus wollte für eine klassenlose Gesellschaft produzieren und folgte einem sozial ausgerichteten, funktionalistischen Ideal.“
Diese neuen Formen und Verantwortungen wurden viel kritisiert und nicht überall stoß das Bauhaus auf Verständnis. Durch den Nationalsozialismus gelang es dem Bauhaus nicht sich selbst mit seinen Grundverständnissen als Gesamtkonzept zu verwirklichen.
Wieder aufgenommen wurde dieser soziale Gedanke von der 1953 gegründete Hochschule für Gestaltung in Ulm. Diese prägte den Begriff der „Guten Form“. Damit bezeichnete man eine „einfache, funktionale und materialgerechte Form von zeitloser Gültigkeit mit hohem Gebrauchswert, langer Lebensdauer, guter Verständlichkeit, Verarbeitung und Technologie, ergonomischer Anpassung und ökologischer Nachhaltigkeit.“Die Ulmer Schule trennte Gestaltung von rein kommerziellen Zielen. Im Fokus lag dabei vor allem die Kritik am sogenannten „Styling“, einem Design, das ausschließlich dem Zweck der stetigen Neuerschaffung von Konsumwünschen diente. Die wirtschaftlich denkende Realität übernahm diese funktionalistischen Prinzipien allerdings nur dann,„wenn daraus eine effizientere Produktion und ein rationalistischerer Einsatz von Material erfolgte. Die sozialen Gedanken dahinter wurden jedoch so gut wie immer ignoriert.“
Weiter gehts mit den 50er und 60er Jahren – eine Zeit in der die Konsumkritik an ganz unterschiedlichen Stellen auftauchte und laut wurde. 1963, verfasste der Grafikdesigner Ken Garland sein Manifest „First Things First“. Darin prangerte er die Verantwortungslosigkeit unter Designern an und forderte eine Reflexion der Profession. Es wurde von zahlreichen namhaften Designern unterzeichnet.
First Things First:
„Wir, die Unterzeichnenden, sind Grafikdesigner, Fotografen und Studenten, die in einer Welt aufgewachsen sind, in der man die moderne Werbemaschinerie beharrlich als die lukrativste, effektivste und erstrebenswerteste Möglichkeit präsentiert hat, unsere Talente zu nutzen. Wir wurden mit Publikationen bombardiert, die sich diesem Glauben widmeten und die Arbeit derer hochjubelten, die ihre Fähigkeiten und ihre Kreativität darauf verschwendeten, Dinge zu verkaufen, wie:
Katzenfutter, Körperpuder, Waschmittel, Haarwuchsmittel, gestreifte Zahncreme, Rasierwasser, Rasierschaum, Diäten zum Zu- oder Abnehmen, Deodorants, Sprudelwasser, Zigaretten, Kosmetik, Windeln und Slipper.
Mit Abstand die meiste Zeit und der größte Aufwand derjenigen, die im Bereich der Werbeindustrie arbeiten, wird für derart triviale Zwecke verschwendet, die nichts oder nur sehr wenig zu unserem nationalen Wohlstand beitragen.
Gemeinsam mit einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung haben wir den Sättigungspunkt erreicht, an dem die schrillen Schreie der Konsumwerbung nur noch purer Lärm für unsere Ohren sind. Wir denken, dass es andere Dinge gibt, für die es sich eher lohnt, unsere Fähigkeiten und Erfahrungen einzusetzen. Das sind Schilder für den Straßenverkehr oder für Gebäude, Bücher und Zeitschriften, Kataloge, Gebrauchsanweisungen, Industriefotografie, pädagogische Förderungsmittel, Filme, Fernsehbeiträge, wissenschaftliche und wirtschaftliche Publikationen und all die anderen Medien, durch die wir unsere Branche, unsere Erziehung, unsere Kultur und unser größeres Bewusstsein für die Welt voranbringen können.
Wir befürworten nicht die Abschaffung der auf Hochtouren laufenden Endverbraucherwerbung: Das ist nicht möglich. Genauso wenig wollen wir dem Leben irgendeinen Spaß entziehen. Aber wir beabsichtigen eine Umkehr der Prioritäten zugunsten nützlicher und lang überdauernder Formen der Kommunikation. Wir hoffen, dass unsere Gesellschaft Werbeleuten, ranghohen Geschäftsmännern und geheimen Verführern überdrüssig wird, und dass der Bedarf an unseren Fähigkeiten vorrangig für erstrebenswerte Zwecke angefordert wird. Das alles im Hinterkopf, wollen wir unsere Erfahrungen und Ansichten teilen und sie somit Kollegen, Studenten und allen anderen Interessenten zugänglich machen.“
Das Manifest beschreibt vor allem einen wichtigen Punkt: Ohne ein Umdenken der Auftraggeber und Konsumenten, wird es schwierig, als Designer etwas zu verändern. „Wir hoffen, […] dass der Bedarf an unseren Fähigkeiten vorrangig für erstrebenswerte Zwecke angefordert wird“, heißt es im Manifest. Was fordert es also? Es fordert ein Umdenken der Gesellschaft. Für Designer beschreibt es mehr ein gemeinsames Warten und Hoffen auf eine „bessere Zeit“.
1970 erschien „Design for the Real World“ von Viktor Papanek, eine anklagende Streitschrift für sozial und ökologisch verantwortungsbewusstes Design. Papanek wollte damit aufrütteln und ein Zeichen setzten. Er sieht dabei alles aus dem Blickwinkel des Designers. Er attackiert ihn, „weil dieser seine Dienste der Industrie zur Verfügung stellt und sinnlose Produkte entwickelt und gestaltet.“
Er macht damit den Designer, die Designerin verantwortlich für den sozial und ökologisch unverantwortlichen Handel. Besonders wird dabei die Ausbildung der Designer*innen kritisiert. „Er brandmarkte die Design-Universitäten als Ausbildungsstätten von gewissenlosen Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft.“
In den 80er Jahren entstanden durch das neue Bewusstsein für die Verantwortung des Menschen gegenüber der Umwelt die Begriffe „Green Design“ und „Eco-Design“. Dabei ging es darum durch intelligenten Einsatz der verfügbaren Ressourcen einen möglichst großen Nutzen bei minimaler Belastung für die Umwelt zu erzielen. Dieses nachhaltige Design hat den Anspruch materialeffizient, materialgerecht, energieeffizient, Abfall vermeidend und recyclinggerecht und logistikfreundlich zu sein.
Im Jahr 1999 wurde Ken Garlands Manifest in einer überarbeiteten Version unter dem Titel „First Things First 2000“ im Adbusters-Magazin veröffentlicht. Es sollte zeigen, dass die Forderungen des Originalmanifestes nicht an Aktualität verloren haben.
Wie das Manifest in der Realität umgesetzt werden sollte war leider kein Teil der Publikation. In der Realität sahen die meisten in der Unterzeichnung wahrscheinlich eher einen symbolischen Akt, denn eine direkte Verpflichtung.
Erik Spiekermann sagte dazu: „First things first ist meine Theorie. Meine Praxis ist, dass ich nicht zehn Leute entlassen werde, wenn ich vor der Wahl stehe, entweder für den Teufel zu arbeiten oder meine Mitarbeiter zu feuern.“
First Things First 2000:
„Wir, die Unterzeichnenden, sind Grafikdesigner, Art-Direktoren und Kommunikationsdesigner, die in einer Welt aufgewachsen sind, in der man die moderne Werbemaschinerie beharrlich als die lukrativste, effektivste und erstrebenswerteste Möglichkeit präsentiert hat, unsere Talente zu nutzen. Viele Designdozenten und Mentoren fördern diesen Glauben und der Markt belohnt ihn; eine Flut an Büchern und Veröffentlichungen bestärkt ihn zusätzlich.
Dahingehend ermuntert, nutzen Designer ihre Fähigkeiten und ihre Kreativität, um Hundekuchen, Designer-Kaffee, Diamanten, Waschmittel, Haargel, Zigaretten, Kreditkarten, Turnschuhe, Fitnessgeräte, light-Bier und Hochleistungswohnmobile zu verkaufen. Weil kommerzielle Arbeit stets die Rechnungen der Designer bezahlt hat, ließen viele Grafikdesigner es zu, dass Kommerz das Wesen der Arbeit eines Grafikdesigners ausmacht. Daraus resultiert wiederum, wie die Welt Design wahrnimmt. Die Zeit und Energie der Profession wird benutzt um künstliche Nachfrage für Dinge zu kreieren, die bestenfalls sinnlos sind.
Mit dieser Auffassung von Design haben sich viele von uns zunehmend schwer getan. Designer, deren Bemühungen sich vor allem auf Werbung, Marketing und Marken-Entwicklung konzentrieren, unterstützen und befürworten ausdrücklich ein Umfeld, das mit Werbebotschaften so gesättigt ist, dass sich die Sprache, das Denken, das Fühlen, das Reagieren und Interagieren der konsumierenden Bürger verändert. In gewisser Weise fördern wir damit alle einen unglaublich schlechten Diskurs mit der Öffentlichkeit.
Es gibt allerdings Ansätze, die unsere Problemlösungskompetenz viel mehr benötigen: Beispiellose ökologische, soziale und kulturelle Krisen fordern unsere Aufmerksamkeit. Es gibt zahllose kulturelle Interventionen, Sozial-Marketing-Kampagnen, Bücher, Zeitschriften, Ausstellungen, pädagogische Hilfsmittel, TV-Sendungen, Filme, Aktionen für gemeinnützige und mildtätige Zwecke und anderes, die dringend unser Know-how benötigen und Design-Handlungsbedarf erfordern.
Wir beabsichtigen eine Umkehrung der Prioritäten zu Gunsten von mehr nützlichen, dauerhaften und demokratischen Formen der Kommunikation – ein Umdenken, weg vom Produkt-Marketing, hin zu einer Entwicklung und Produktion von neuen Zeichen. Der Umfang der öffentlichen Debatten schrumpft, er muss erweitert werden. Das Konsumverhalten läuft unbestritten weiter, daher muss es durch andere Sichtweisen herausgefordert und in Frage gestellt werden; zum Teil eben durch die visuelle Sprache und das Design.
Im Jahre 1964 unterzeichneten 22 Kommunikationsdesigern die ursprüngliche Aufforderung, unsere Fähigkeiten sinnvoller zu nutzen. Mit dem explosiven Wachstum der globalen kommerziellen Kultur, ist ihre Botschaft nun noch dringlicher geworden. Heute erneuern wir ihr Manifest in der Erwartung, dass nicht noch weitere Jahrzehnte vergehen, bis man es sich zu Herzen nimmt.“
Es liegt auf der Hand, warum es so schwer ist, eine Lösung zu entwicklen, an der sich Designer*innen in ihrem Handeln orientieren können. Es ist die verstrickte Rolle der Designer im Kontext. „Design ist eine der kompliziertesten, komplexesten und bedeutsamsten Entwicklungen im Kontext von Kultur, Ökonomie und Sozialität. Mit Design hat man nicht die Chance auszubüchsen, wie in der freien Kunst, Musik und Literatur. Man hängt mitten in den Widersprüchen.“
Quelle – Literaturhinweise
Küenzeln, Bjoern: Designhelps – Design und Verantwortung, Merz Akademie, HfG Stuttgart, 2007, S. 18
Wikipedia (DE): Funktionalismus (Design) wiki http://de.wikipedia.org/wiki/Funktionalismus_(Design)
Schneider, Beat: Design – Eine Einführung, Birkhäuser Verlag, Basel, Schweiz 2005, S. 114
Garland, Ken: First Things First, http://www.kengarland.co.uk/KG%20published%20writing/first%20things%20first/index.html
Stuiber, Peter: Victor Papanek: Der Designer als Missionar, in: diepresse.com, 20.06.2009, http://diepresse.com/home/leben/kreativ/488912/index.do Stand 05.01.2010
Wikipedia (DE): Ecodesign http://de.wikipedia.org/wiki/Ecodesign
Erik Spiekermann in: Baldwin, Jonathan / Roberts, Lucienne: Visuelle Kommunikation in Theorie und Praxis, Stiebner Verlag, München, 2007, S. 62
Frederic C. Erasmus, no no position: die Designer, der Designer, das Design, BoD – Books on Demand, 11. April 2012