Auf die Entwicklung von Rastersystemen kann mittlerweile schon auf mehr als über 150 Jahre zurückgeblickt werden. Geschichtliche, soziale Änderungen der Gesellschaft sowie technologischen Weiterentwicklungen spielten hierbei eine große Rolle. Als einschneidender Punkt gilt die industrielle Revolution im Jahre 1740, welche das Denken und Handeln der Gesellschaft veränderte. Somit wurde auch das Design immer wichtiger um die Verfügbarkeit von industriellen Gütern zu kommunizieren. Dazu kommt, dass die französische sowie die amerikanische Revolution dazu führte soziale Gerechtigkeit, öffentliche Bildung und die Alphabetisierung der Menschen vorantrieb.
Mit dieser Veränderung entstand auch viel Unsicherheit, die widersprüchlichen Gestaltungsansätze dieser Zeit wurden hinterfragt. So entstand aus diesen Reaktionen die Bewegung „Art-and-Craft“, bestehend aus jungen Architekten, Maler und Designstudenten, welche versuchte das tägliche ästhetische Leben England’s wieder zu beleben. Sie konzipierten das berühmte „Red House“ in England, welcher Grundriss auf rein asymmetrischen Räumen aufbaute. Davon ließen sich Arthur Mackmurdo and Emery Walker inspirieren und brachten diese Ansätze in die Typografie sowie ins Buchdesign. „The Hobby Horse“ ein Buch, dass sich auf dieselben Ansätze wie jene die zuvor beim „Red House“ konzentrierte und eine gezielte Portionierung des Raumes mit einer sorgfältigen Auswahl von Schriftgröße, Schrift, Ränder sowie Druckqualität setzt. Im Jahr 1891 gründete Morris die Kelmscott Press in Hammersmith und produziert exquisit gestaltete Bücher, in denen die Schriftarten, Holzschnitt-Illustrationen und Materialien auf ihre ästhetische Integration und einfache Herstellung hin konzipiert wurden.
Die „Arts-and-Crafts-Bewegung“ entwickelte sich weiter und wandelte sich in vielerlei Hinsicht in den sinnlich-organischen Stil des Jugendstils Stil, der in Frankreich als Art Nouveau bekannt ist; als malerischen, eher architektonischen Jugendstil in Deutschland und Belgien. Designer aller Art suchten nach neuen Ausdrucksformen, die den Zeitgeist ansprechen sollten.
Peter Behrens, ein aufstrebender junger deutscher Architekt, wuchs in Hamburg unter diesem neuen Einfluss und dem der Wiener Sezession, einer Gegenbewegung, die sich von den Glasgow Four und Wright inspirieren ließ, auf. Die Sezession zeichnete sich durch noch geradlinigere Ansätze in der Plakat- und Buchgestaltung sowie in der Architektur. Designer und Architekten wie Josef Homan, Koloman Moser und Josef Maria Olbrich verfolgten eine funktionale Schlichtheit und verzichteten auf Verzierungen. Im Jahr 1900 wurde verstärkt mit zahlreichen Layouts von Büchern und mit serifenlosen Schriften experimentiert.
Das Buch, Celebration of Life and Art, von Peter Behrens, gilt als der erste Fließtext in einer serifenlosen Schrift. Obwohl dieses Buch den Ansatz der Blockschrift beibehält, tritt es in die Fußstapfen Morris’ räumlich konzipierten Werke von Chaucer und legt dadurch die Grundpfeiler der Verwendung des Rasters mit dem Einsatz von serifenloser Schrift. Die einheitlichere Textur der serifenlosen Buchstabenformen schafft Neutralität im Text, sodass der Kontrast gegenüber dem Weißraum noch stärker unterstützt wird.
Lauweriks hatte einen systematischen Ansatz entwickelt, welcher auf der Zerlegung eines Kreises durch ein Quadrat, wodurch ein Raster aus proportionalen Räumen entstand, bestand. Behrens erkannte, dass dieses System genutzt werden konnte, um Proportionen in der Architektur und der Grafik zu vereinheitlichen. 1906 wandte er diese Theorie auf seinen Ausstellungspavillon und sein Plakat für die Anchor Linoleum Company an.
Einige Jahre später entwarf Behererns die visuelle Identität für das Industrieunternehmen AEG, welches als das erste Designsystem für ein Industrieunternehmen gilt. Beginnend mit dem Logo, entwarf er eine Firmenschrift, Farbschemata, Plakate, Anzeigen, Verkaufsräume und Produktionseinrichtungen. Jedes Element wurde mit bestimmten Proportionen und linearen Elementen sorgfältig gestaltet, was dazu verhalf die visuelle Präsentation von AEG als ein harmonisches Ganzes wahrzunehmen.
Das Bauhaus, die neue Norm
Als der Krieg in Europa zu Ende ging, wandten Designer und Architekten ihre Aufmerksamkeit auf den Wiederaufbau. In Deutschland wurde 1919 die Wiedereröffnung der ehemals renommierten Weimarer Kunstgewerbeschule mit der Ernennung des Architekten Walter Gropius, einem ehemaligen Lehrling von Peter Behrens, als neuen Direktor. Gropius formte die Schule neu als „Staatliches Bauhaus“. Hier wurden Experiment und Rationalismus zu Werkzeugen für den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung. Obwohl der Lehrplan zunächst auf den Expressionismus zurückgriff – beeinflusst von den Malern des Blauen Reiters, welche die Vorkurse entwickelten, verschwand langsam er der Ansatz vom Persönlichen und Malerischen. Die Bauhaus-Studenten und -Lehrer ließen sich vom Schweizer Maler Theo van Doesburg, inspirieren. dessen Stil einem strengen Dogma der Geometrie folgte. Einige Jahre später experimentiere der ungarische Künstler, Moholy mit asymmetrischen Layouts, Fotomontage, und erweiterte den geometrischen Ausdruck des Modernismus im Grafikdesign. Moholy und seine Schüler – insbesondere Herbert Bayer – verwendeten Balken, Lineale, Quadrate und asymmetrisch angeordnete Schriften auf einem Raster als Grundlage einer neuen Typografie.
Der Künstler Lissitsky, nahm Kontakt mit dem Bauhaus auf und beteiligte sich an Vorträgen, Buchentwürfen und Ausstellungen. Sein 1924 erschienenes Buch „The Isms of Art“, stellt einen Wendepunkt in der Entwicklung des Rasters dar.
Das Besondere an diesem Buch ist, dass der gleichzeitig laufende Text, welcher in drei Sprachen verfasst wurde, durch strenge Regeln in Form von Spalten organisiert ist. Bilder, Bildunterschriften und Folianten sind, in die Gesamtstruktur integriert und nach einer Reihe orthogonaler Ausrichtungen strukturiert. So bahnbrechend diese Entwicklungen im Design scheinen, mussten sie erst noch in die gängige Designpraxis umgesetzt werden. Die Verwendung von asymmetrischen Kompositionen, serifenlosen Schriften und der geometrischen Anordnung von Informationen waren relativ wenig in Kunst und Bildung bekannt. Der größte Teil der kommerziellen Welt wusste nicht viel von diesem neuen Zugang. Die Entwicklungen in der amerikanischen und europäischen Werbung hatten dazu beigetragen, das Kolumnensystem in die Produktion von Zeitungen und Zeitschriften einzuführen. Die meisten Druckerei und Gestalter waren jedoch visuell noch lange nicht so fortschrittlich.
Jan Tschichold
Jan Tschichold, änderte das. Während seiner Arbeit als Grafiker für den deutschen Insel Verlag, stieß Tschichold zufällig auf die erste Bauhaus-Ausstellung von 1923. Innerhalb eines Jahres verinnerlichte er die den typografischen Ansatz und die abstrakte Sensibilität. 1925 entwarf er eine vierundzwanzigseitige Beilage für die „Typographischen Mitteilungen“, einer deutschen Druckerzeitschrift, die diese Ideen einem großen Publikum von Schriftsetzern, Designern und Druckern zugänglich machte.
Die „Elementare Typographie“, wie sie bezeichnet wurde, löste eine enorme Begeisterung für das asymmetrische und rasterbasierte Layout. Tschichold plädierte für eine reduzierte und immanent funktionale Ästhetik. Er behauptete, dass das Weglassen von Ornamenten und die Bevorzugung serifenloser Schrift, die Struktur der Buchstabenformen unterstreichen würden, um Kompositionen der Moderne zu schaffen. Negative Räume, die Abstände zwischen Textbereichen und die Ausrichtung der Wörter zueinander bildeten die Grundlage für gestalterische Überlegungen. In Anlehnung an Lissitsky und dem Bauhaus, baute er seine Kompositionen bewusst auf ein System von vertikalen und horizontalen Ausrichtungen auf und führte eine hierarchische Gitterstruktur in Dokumenten wie Plakaten, bis hin zu Briefköpfen. Bereits 1927, ein Jahr bevor er sein bahnbrechendes Buch „Die Neue Typographie“ veröffentlichte, setzte Tschichold die Idee der Struktur fort und befürwortete eine Standardisierung von Druckformaten. Die heutige europäische DIN (Deutsches Institut für Normung, das Deutsche Institut für Normung). Ein System von Papierformaten – bei dem jedes Format, in der Hälfte gefaltet, das nächst kleinere Format ergibt.
Schweizer Grafikdesign
Die sich entwickelnde Designästhetik in Europa wurde jedoch in den 1930er Jahren abrupt unterbrochen. Designer und Künstler, die sich der neuen neue Bildsprache bedient haben, wurden verhaftet oder gezwungen, als die Nazis an die Macht kamen, sie als entartet zu bezeichnen. Das Bauhaus wurde 1932 offiziell geschlossen, und Moholy-Nagy, Gropius, Mies van der Rohe (Behrens’ anderer Lehrling aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg), Bayer, und andere verließen den Kontinent in Richtung Amerika.
Tschichold, nachdem er von den Nazis verhaftet und für kurze Zeit festgehalten wurde, zog in die Schweiz. Zusammen mit Tschichold waren mehrere Bauhaus Studenten in die Schweiz gekommen. Max Bill, der die Schule an der Kunstgewerbeschule in Zürich begonnen und am Bauhaus zwischen 1927 und 1929 studiert hatte, kehrte 1930 in seine Heimat zurück, ebenso wie Theo Ballmer, ein weiterer Bauhaus-Schüler. Die Schweizer Designer hatten eine Tradition entwickelt, die auf reduktive Techniken und symbolische Darstellung beruhen, verkörpert wurde dies durch das Werk des Plakatgestalters Ernst Keller.
Ballmer und Bill leiteten einen Übergang zu konstruktiven Ideen durch Arbeiten, die auf mathematischen Messungen und räumlichen Einteilungen beruhten. Max Bills Beitrag bestand aus zwei Teilen: erstens durch die Anwendung seiner mathematischen Theorien auf professionelle Projekte in den Bereichen Werbung und Corporate Identity, und zweitens durch die Einführung des Raster, bei der Gründung der einflussreichen Hochschule für Angewandte Kunst in Ulm in Deutschland 1950. Bills Arbeit und sein Unterricht prägten Generationen von Designern.
Josef Müller Brockmann
Dieser Ansatz wurde von Josef Müller-Brockmann, Carlo Vivarelli, Hans Neuberg und Richard Paul Lohse, die in ihren individuellen Praxis aktiv nach einem universellen visuellen Ausdruck suchten, aufgegriffen. Als Redakteure der Neuen Grafik in Zürich arbeiteten sie zusammen, um diesen internationalen Stil in die Welt hinauszutragen. Der für die Neue Grafik entwickelte Raster bestand aus vier Spalten und drei horizontale Bänder oder räumliche Zonen, die den gesamten Inhalt, einschließlich der Bilder ordneten.
Die Neue Grafik markierte bei ihrer ersten Umsetzung eine Entwicklung im rasterbasierten Design, die bereits bei der Konstruktion inbegriffen war: die Realisierung eines Moduls – einer kleinen Raumeinheit, die durch Wiederholung aller Teile einer Seite integriert. Müller-Brockmann verzichtete auf Bilder, zugunsten reiner Schriftkonstruktionen auf der Basis von Raster. Im Jahr 1960 veröffentlichte er sein erstes Buch, „Der Grafiker und seine Gestaltungsprobleme“ in dem er diese Form der rasterbasierten Gestaltung erstmals beschreibt.
Swiss International Style
Die rationale Zürcher Ästhetik repräsentiert den Swiss International Style, mit dem die meisten Designer vertraut sind. Im Gegensatz dazu verfolgten die Designer die an der Allgemeinen Gewerbeschule in Basel studieren, einen Ansatz, der zwar auf einer Ähnlichkeit beruht, sich aber auf die symbolischen Formen und kontrastierende optische Qualitäten in Abstraktion fokussierte. Der Ansatz, Schrift und Bild zu integrieren, stand hier im Fokus und war grundlegend für den Lehrplan der Schule. Im Jahr 1942 kam der in Zürich ausgebildete Emil Ruder als Typografielehrer an die AGS. Ruder setzte auf Gleichgewicht zwischen Funktion und nuancierten formalen Beziehungen; Seine Methodik vermittelte seinen Schülern einen erschöpfenden Prozess des visuellen Problemlösens.
Karl Gerstner, gilt als tragende Säule, welche zur Entwicklung des Rasters der modernen Designpraxis beitrug. Im Jahr 1968, veröffentlichte Gerstner sein erstes Buch, „Der typografische Raster”, dort schrieb er, “Der Raster ist eine proportionale Leitlinie für Text, Tabellen, Bilder, etc. Es ist ein formales Programm, a priori für ‘x’ unbekannte Inhalte. Das Problem ist: die Balance zu finden zwischen einem Maximum anKonformität und einem Maximum an Freiheit zu finden. Oder: die höchste Anzahl von Konstanten kombiniert mit der größtmöglichen Variabilität.”
Otl Aichinger
Rastersysteme begannen in den 1960 er Jahren das europäische und amerikanische Design zu dominieren. Es war ein besonders effizienter Weg, um Kommunikationsprogramme für große Organisationen, Veranstaltungen oder Unternehmen zu gestalten. Pionier hierbei war der deutsche Designer Otl Aichinger, welcher ein Designsystem für die deutsche Fluglinie, Lufthansa entwickelte. Er sorgte für standardisierte Formate und setzte den Raster zur Vereinheitlichung der Kommunikation bei der Verwendung von unterschiedlichen Gestaltungsmaßen, Materialien und Größe gezielt ein. Detaillierte Handbücher sorgten für visuelle Einheitlichkeit bei jeder Anwendung.
Weltweite Entwicklungen
Durch Max Bill, Müller-Brockmann, Otl Aicher und andere Exponenten des Internationalen Stilswurden auch zahlreiche internationale Designer darauf aufmerksam. In den Niederlanden entwickelt es sich in die Richtung des programmorientierten Designs, vorangetrieben von Wim Crouwel, Ben Bos und BrunoWissing.
In Amerika haben Studenten der Schweizer Schulen den Internationalen Stil – und den Raster zu einem großen Publikum verholfen. Paul Rand, der Pionier des modernen Designs in Amerika in den frühen 1940er Jahren, hatte maßgeblich dazu beigetragen Wirtschaft davon zu überzeugen, dass Design gut für sie war. In seinen Designhandbüchern von 1965 für Westinghouse entwickelte Rand komplexe Raster um die Kontinuität in unterschiedlichen Medien wie Verpackung, Printwerbung und Fernsehen zu veranschaulichen.
Im Zuge des Übergangs in das einundzwanzigste Jahrhundert wird die Verwendung von Rastern, die sich in den letzten 150 Jahren entwickelt hat, weiterhin eine wichtige Rolle im Design Thinking spielen. Das Internet hat sich als ein Medium herausgestellt, das von rasterbasiertem Denken profitiert. Wie sich Medien und das Design in den nächsten 150 Jahren entwickelt, ist noch schwer einzuschätzen, klar dürfte allerdings sein, dass der typografische Raster den Designern hilft, ihre Kommunikation zu strukturieren.