Analyse zweier Type Specimen als Grundlage zur Gestaltung eines Type Specimen Books für die Schrift The Minimalist.
Hat man eine Schrift gestaltet, die man auch für andere interessant machen möchte, kommt man nicht umhin, sogenannte Type Specimen zu gestalten – also Anschauungs- sowie Anwendungsbeispiele der Schrift. Diese schaffen einen Überblick über die Schrift, vermitteln ihren Charakter und die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten. Die Schrift The Minimalist, deren Entwicklung ich in den vorhergehenden Blogbeiträgen beleuchtet habe, soll nun mit einem Type Specimen Booklet präsentiert werden. Das finale Booklet wird erst in den kommenden Wochen fertig gestellt werden. Aus diesem Grund möchte ich in diesem und dem nächsten Blogbeitrag die Richtlinien eines Type Specimen Books näher beleuchten und erste Gestaltungen zeigen.
Type Specimen – Wovon ist die Rede?
Ein Type Specimen ist eine analoge oder digitale Publikation, die den Umfang einer Schrift und ihre Anwendung zeigt. Die Gestaltung von Schriftenbüchern zu ihrer Präsentation gehört seit jeher zum Handwerk von (Schrift-)Gestalter:innen. Früher wurden Type Specimen von Setzereien und Druckereien angefertigt, da Druckmedien direkt vor Ort gestaltet wurden. Heute werden Type Specimen entweder von den Type Designern selbst oder den Type Foundries, die sie vertreten, gestaltet. Früher galt es zu zeigen, welche Schriften eine Druckerei im Repertoire hatte. Somit umfassten die Schriftenbücher unterschiedliche kurze Texte, gedruckt mit den verfügbaren Lettern. Mit der digitalen Gestaltung von Publikationen nahmen Umfang und Ausdruck der Type Specimen zu. Heute zeigt man unterschiedliche, oft sehr experimentelle Gestaltungen mit derselben Schrift, um ihren Charakter zur Geltung kommen zu lassen und – wenn möglich – ihre vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten zu zeigen. Der Sinn eines Type Specimen ist jedoch derselbe geblieben: Schriftgestalter:innen möchten ihre Schrift zeigen, sie erklären und damit bewerben, um sie für Grafiker:innen interessant zu machen, die die Schrift kaufen und verwenden könnten. (Vgl. Lupton)
Beispiele von Type Specimen – Analyse zweier Schriftmusterbücher
Type Specimen können prägnant oder sehr umfangreich sein – je nachdem wie es die oder der Schriftgestalter:in. für notwendig erachtet. Anhand zweier Type Specimen, eines der Schrift Dahlia der Type Foundry vj-type des Designstudios Violaine et Jeremy und ein zweites der Schrift West von Daniel Perraudin, verfügbar über Fontwerk, möchte ich nachfolgend die unterschiedlichen Teile der Specimen analysieren. Die analysierten Strukturen sollen auch als Basis für das Type Specimen Book meiner Schrift The Minimalist dienen.
Analyse Type Specimen Dahlia
Das Specimen der Schrift Dahlia umfasst 34 Seiten. Die Schrift ist in drei verschiedenen Schnitten (Bold, Regular, Medium) verfügbar. Für jeden Schnitt wurden eigene Specimen-Seiten gestaltet. Dies scheint gerade bei Dahlia sinnvoll, da es sich um eine Display Font handelt, von der oftmals sicherlich nur ein Schnitt gekauft wird.
Nach dem Deckblatt, das die Glyphe a aus dem Regular-Schnitt zeigt, folgt ein kurzer Text über Entstehung, Charakter und Umfang der Schrift sowie die Möglichkeiten im Zuge der Open Type-Features. Nach zwei Seiten, die eine Gesamtübersicht über alle Glyphen eines Schnittes zeigt, folgen Schriftproben in unterschiedlichen Größen. Da es sich ausdrücklich um Display Fonts handelt, die sich für Headlines und kurze Texte eignen, zeigen auch die Schriftproben Texte in 80 pt, 40 pt und 20 pt. Die weiteren Seiten zeigen Gestaltungen mit den jeweiligen Schnitten Regular, Medium und Bold. Die Seiten zeigen oftmals Kombinationen aus Text und Illustration oder Fotografie. Dahlia wird als eine Schrift beschrieben, die von der Natur – vor allem von Pflanzen – inspiriert ist. Aus diesem Grund zeigen auch die Illustrationen und Fotos Pflanzen und Blumen. Alles dient der Betonung des Charakters der Schrift. Da es sich um Display Fonts handelt, die in ihrer Form sehr grazil und exzentrisch sind, macht dies durchaus Sinn: Die Gestaltungen zeigen, für welche Art von Design sich Dahlia eignet. Sie ist eine Schrift, die nicht überall und immer einsetzbar ist. Dem trägt auch das Specimen Rechnung. Abschließend folgen noch Seiten mit Einzelworten, die unterschiedliche Buchstabenkombinationen zeigen. Auch hier wird der Rhythmus der Schrift deutlich zur Geltung gebracht.
Zusammenfassend besteht das Type Specimen von Dahlia also aus folgenden Teilen:
1 Deckblatt
2 Beschreibung der Schrift (Stil, Umfang, Open Type Features)
3 Übersicht der Glyphen
4 Schriftproben in unterschiedlichen Größen
5 Gestaltungen mit Illustrationen und Fotos6 Einzelwörter (Buchstabenkonbinationen)
Analyse Type Specimen West
Das Specimen der Schrift West umfasst 18 Seiten. Auf das Deckblatt folgt ein Informationsblatt mit allen Angaben zu den beteiligten Personen: Daniel Perraudin als Schriftgestalter sowie die Teammitglieder der Type Foundry Fontwerk, über die West vertrieben wird. Bereits dieses Informationsblatt ist vollkommen in der West gesetzt. Somit zeigt bereits das zweite Blatt des Specimen, dass die Schrift von Headline bis Fließtext vielseitig einsetzbar ist.
West umfasst insgesamt neun Schnitte von Hairline bis Black und die jeweilige Kursive dazu, also insgesamt 18 Fonts. Zwei Seiten zeigen Worte, die in den unterschiedlichen Schnitten gesetzt wurden, ergänzt um jeweils ein Foto eines modernistischen Industriegebäudes. Die Fotos verweisen auf den Charakter der Schrift, der im Specimen selbst als „a compelling mix of conciseness and pragmatism“ beschrieben wird. Pragmatik und Prägnanz zeichnen auch den Modernismus in der Architektur aus, womit der Einsatz der Fotografie – wie beim Specimen von Dahlia – der Präsentation des Schriftstils dient. Die darauffolgenden Seiten bestehen aus unterschiedlichen Kompositionen an Wörtern, die in verschiedenen Schnitten und Stilen (normal oder kursiv) gesetzt sind. Die Kompositionen sind klar darauf ausgelegt, die Vielfalt und Flexibilität von West zeigen. Im Gegensatz zu Dahlia, einer exzentrischen Display Schrift, die um Aufmerksamkeit wirbt, ist West eine Grotesk mit eindeutigem, aber unaufdringlichem Charakter, die sich vielseitig einsetzen lässt.
Der Großteil der Seiten ist der Präsentation dieser Vielseitigkeit gewidmet. Auf eine Gesamtübersicht über alle Schnitte und Stile folgen Gestaltungen mit Kombinationen aus Hairline und Bold/Black, die die Harmonie innerhalb der Schrift zeigen. Während sich bei Dahlia der Einsatz einer einzelnen Font anbietet, macht bei West vor allem die Kombination von Schnitten die Attraktivität der Schrift aus. Analog dazu steht auch im Specimen selbst ausdrücklich:The range of West is also something rather special in the geometric genre: nine font weights ranging from Hairline to Black, matching italics as well as variable fonts that are all included in the Complete Package, giving the user full flexibility, which is perfect for branding and editorial projects.
Wie sehr sich West für Editorial Design anbietet, soll auch durch eine Seite ersichtlich werden, die den Aufbau eines Artikel mit Titel, Untertitel und Bodytext in unterschiedlichen Größen zeigt – alles gesetzt in unterschiedlichen Schnitten der West.
Eine Liste der unterstützten Sprachen und eine Übersicht über alle Glyphen sowie Stylistic Sets (Open Type Features) folgen. Den Abschluss macht ein Text über die Entwicklung der West, den Einfluss der geometrischen Tradition von Dreieck, Quadrat und Kreis und Wests Unabhängigkeit von eben dieser durch gezielte Designentscheidungen des Schriftgestalters Daniel Perraudin. Eine weitere Seite widmet sich dem Designer selbst, seinem Werdegang und seiner Expertise in typografischen Projekten.
Zusammenfassend besteht das Type Specimen von West also aus folgenden Teilen:
1 Deckblatt
2 Informationsblatt
3 Einzelwörter (Buchstabenkombinationen), ergänzt im Fotos
4 Übersicht über alle Schnitte und Stile
5 Kombination der Schnitte
6 Präsentation eines Editorial-Aufbaus
7 Sprachen
8 Übersicht aller Glyphen
9 Übersicht aller Stylistic Sets
10 Beschreibung der Schrift (Entwicklung und Charakter)
11 Kurztext zum Schriftgestalter
Fazit
Die Analyse der beiden Type Specimen war eine wichtige Recherchearbeit für die Entwicklung des Type Specimen meiner Schrift The Minimalist. Die beiden Unterlagen zeigen wie unterschiedlich Specimen ausfallen können, gerade auch in Gegenüberstellung einer reinen Display Schrift und einer universell einsetzbaren Grotesk. Trotz unterschiedlichem Stil und anderem inhaltlichen Aufbau, ähneln sich die Specimen hinsichtlich bestimmter Präsentationsweisen: Auf eine Übersicht der Glyphen und unterschiedlichen Schnitte/Stile, eine Beschreibung der Schrift und Gestaltungen mit einzelnen Worten oder Absätzen, um Stil und Rhythmus der Schrift zu zeigen, darf nicht verzichtet werden. Was im Falle von Dahlia überraschend, aber für mich hinsichtlich The Minimalist sehr bereichernd war, war die Deutlichkeit, in der das Specimen den Charakter der Schrift vermittelt hat. Der Schriftgestalter Jeremy Schneider hat Dahlia in ihrer Formensprache einen sehr besonderen Charakter verliehen, den er auch in ihrer Anwendung bei anderen Grafiker:innen sehen möchte. Dahlia bringt immer einen Hauch von exzentrischer Eleganz und Verspieltheit mit. Soll ein Design dies kommunizieren, ist Dahlia die Schrift der Wahl. Dies wird durch das Specimen sehr gut vermittelt – eine Lehre, die mir auch in der Gestaltung meines Type Specimen Books helfen wird.
Quellen
Lupton, Ellen. Type Specimen [online]. In: Thinking with Type. Letzter Zugriff am 18.06.2022. Verfügbar über: http://thinkingwithtype.com/misc/type_spec_project.htm
Download Type Specimen „Dahlia“: https://vj-type.com
Download Type Specimen „West“: https://fontwerk.com/de/fonts/west