Type Design: Die Schrift “The Minimalist”

Nun ist die Schrift The Minimalist soweit ausgestaltet, um deutsche und englische Texte setzen zu können. Sie verfügt über Versalien und Gemeine des lateinischen Alphabets, über die deutschen Umlaute und das scharfe ß, den Zahlensatz von 0 bis 9 sowie die Basis der notwendigen Interpunktionszeichen.

Gedanken zur Gestaltung 

Das geometrische System, das der Schrift zugrunde liegt, besteht aus Rechtecken sowie Kreisen, Halb- oder Viertelkreisen mit bestimmten Breiten. Mit diesen Formen ließ sich der Großteil der Buchstaben problemlos und kohärent zeichnen. Herausforderungen waren zuerst alle Buchstaben, die eine Diagonale aufweisen – doch auch hier wurden für A, W und Y  Lösungen gefunden, die mit Rechtecken und Kreisausschnitten funktionieren. Diagonalen wurden deshalb tatsächlich nur für Z und V benötigt. Diese wurden in Relation an die Strichstärke von Geraden und Kreisen angepasst. Neben den Diagonalen bricht auch das S aus dem geometrischen Baukastensystem aus. Hier wurde der Radius des Kreises zwar für die Form der versalen S-Bögen verwendet, jedoch der Schwung frei gezeichnet. Dass V, Z und S das starre System brechen, tut der Schrift jedoch gut – es belebt sie. Für A und H gibt es jeweils zwei unterschiedliche Balkenhöhen, für F, E, L und P jeweils eine eckige Variante als Basis und eine runde Variante als Open-Type-Feature. 

Das Spacing

Buchstaben zu zeichnen ist bei der Schriftgestaltung nur die halbe Miete. Schon während der Gestaltung sollte an das Spacing gedacht und ansatzweise passende Werte eingetragen werden. „Spacing“ bezeichnet den Abstand zwischen den einzelnen Glyphen. Hierfür legt man einen bestimmten Abstand jeweils vor und nach dem Zeichen fest. D.h. der Abstand, der auf ein Zeichen folgt, ergibt zusammen mit dem Abstand vor dem nächsten Zeichen den Gesamtabstand. Um die richtigen Werte für das Spacing zu finden, geht man zunächst bei den Versalien von H und O aus. H steht stellvertretend für alle geraden Buchstaben, O für alle runden. Wichtig ist hier, dass die Schrift immer denselben Grauwert aufweist. Egal, ob Geraden aufeinander folgen oder Rundungen oder diese sich abwechseln. Zudem verträgt eine geometrische Hairline-Schrift wie The Minimalist auch einen größeren Zeichenabstand. Sie darf ruhig luftig sein. Hat man für H und O optimale Abstände gefunden, kann man diese auf die anderen Buchstaben übertragen. Beispiel: Bei einem D wird das Spacing des H für die linke Seite übernommen und das Spacing des O für die rechte Seite. Auch hier gibt es natürlich wieder Ausnahmen: Offene Buchstaben wie C, T oder S müssen jeweils in Relation zu den anderen eigens gespaced werden. Am besten übernimmt man jedoch die festgelegten Werte zunächst für alle Buchstaben und arbeitet dann direkt im Textmodus von Glyphs, gibt unterschiedliche Buchstabenkombination ein und passt die Werte wiederum durch Doppelklick auf ein Zeichen an. Die zuvor beschriebene Vorgangsweise wendet man nicht nur bei den Versalien an, sondern auch bei den Gemeinen. Auch hier sucht man sich zwei Buchstaben, die stellvertretend für gerade und runde Formen stehen und deren Spacing gut auf andere übertragen werden kann. In der Folge muss auch das Spacing für die Zahlen und die Interpunktionszeichen vorgenommen werden. Da The Minimalist über relativ „runde“ Geraden und relativ „gerade“ Rundungen verfügt, weichen die Spacingwerte gar nicht so sehr voneinander ab. Es fanden sich relativ schnell stimmige Werte sowohl für die einzelnen Buchstaben und Zahlen als auch die Interpunktionszeichen. Ein Glück, denn Spacing kann durchaus einen langen Atem benötigen! 

Beim Spacing geht man in der Regel von zwei Buchstaben aus, die für die Gruppe der geraden und jene der runden exemplarisch sind. Bei den Versalien sind das H und O.

Der Charakter von „The Minimalist”

Die Schrift hat zugleich harmonische und exzentrische Züge. Sie ist eine Display-Font, die in großen Größen ab circa 20 Punkt verwendet werden sollte, da sie bei Fließtexten in kleineren Schriftgrößen schwer lesbar ist. Inspiriert ist die Schrift natürlich zunächst vom ausgehenden Signage, das im vorhergehenden Blogbeitrag gezeigt wurde. Ihr Charakter soll aber auch Eleganz und Simplizität vereinen – wie es Coco Chanel tat. Dieser Vergleich mag anmaßend klingen, soll es aber nicht. The Minimalist versucht nicht, sich an den Großen da draußen zu messen. Ganz im Gegenteil: Die Schrift ist eine Hommage an die Inspiration und das Sich-Ausprobieren. Hätte sich Gabrielle Chanel nicht am Schneidern versucht, wäre sie niemals als Coco in die Geschichte eingegangen. Chanel war eine Rebellin, die zu dem stand, was sie war und vor allem, was sie sein wollte. The Minimalist soll genau dieses Gefühl vermitteln: Es geht nicht darum, sich im Opulenten zu wälzen, sich üppig zu schmücken, sondern vielmehr sich auf das Essentielle zu beschränken. Die Qualität über die Quantität stellen und dabei das Schöne am Wenigen – am Minimalistischen – erkennen. Die langen Geraden des Lebens wollen mit den vielen Rundungen, ob hoch oder tief, verbunden werden. Auf Chichi wird gerne verzichtet. Manchmal fällt man, wie das s, dabei auch aus der Reihe. Aber auch das ist völlig okay.

The Minimalist ist auch eine Hommage an Gabrielle Chanel, die Eleganz und Simplizität zu vereinen vermochte.
Wenn nur die Linie bleibt, kann das auch aussehen wie diese Schrift: The Minimalist.

Type Design #2: Die ersten Buchstaben

Wie im vorherigen Beitrag beschrieben, widmet sich dieses Type Design-Experiment der Gestaltung einer Schrift auf Basis eines bestehenden Schriftzugs, dessen Ursprung jedoch unbekannt ist. In diesem Beitrag möchte ich die Vorgehensweise der Gestaltung der ersten Buchstaben beleuchten. 

Gemeinsame Formen erkennen und nachzeichnen

Zuerst habe ich das Bild auf einer Illustrator-Zeichenfläche platziert und die Formen nachgezogen (siehe Abb. 1). Da die Buchstaben aus einfachen Geraden und regelmäßigen Bögen bestehen, versuchte ich, alle Lettern des Wortes „lyric“ mit einem Rechteck bzw. Halbkreis nachzuzeichnen. Diese beiden Formen zog ich dann als Basis für alle weiteren Formen heran. Dass die Schrift eine Hairline werden sollte, ergab sich natürlich aus dem bestehenden Schriftzug. 

Um ein Gespür für die angedachte Formensprache zu entwickeln, wechselte ich die digitale Software gegen Bleistift und Papier und fing an, Buchstaben zu skizzieren – soweit wie möglich immer aus Geraden in 90°-Winkeln und Bögen bestehend (siehe Abb.2 und Abb. 3). Für den Großteil der Versalien sowie Gemeinen funktionierte dieser Ansatz überraschend gut, sodass bald viele Buchstaben des Alphabets ihre Form erhielten. Als schwierig entpuppten sich vor allem jene Buchstaben, die Diagonalen enthielten – X, Y, W, Z – sowie auch S und K, jeweils als Groß- und Kleinbuchstaben, da diese das grafische System sprengten und nach alternativen Formen verlangten, die mit den bereits bestehenden trotzdem harmonierten. Als die Skizzen für Versalien und Gemeine soweit standen, wechselte ich wieder an den Laptop, in die Type Design-Software Glyphs. 

Erste Buchstaben in Glyphs

Da die Glyphen in Glyphs auf quadratischen Zeichenflächen von 1000px x 1000px angelegt werden, hatte ich auch die Zeichenflächen im Illustrator bereits in diesen Größen festgelegt. So musste ich die Formen, die ich zunächst im Illustrator gezeichnet hatte, in Glyphs nicht mehr skalieren. Die Klein- und Großbuchstaben waren in Glyphs bereits angelegt. So kopierte ich jeweils die Formen für l, y, r, i und c in die dafür vorgesehenen Felder. Ich startete mit dem l, bestehend aus einem Rechteck und einem Halbkreis. Ich schob die Formen dabei lediglich ineinander und wandelte sie nicht in eine durchgehende Form um. Dies ermöglichte mir die weitere flexible Verwendung der beiden Formen für alle anderen Buchstaben. Obwohl es sich in diesem Fall um eine Grotesk handelt, beschloss ich, die Oberlänge der Gemeinen höher zu setzen als die Höhe der Versalien – eigentlich etwas, das vor allem bei Serifenschriften der Fall ist. Bei Sans Serif-Schriften kann darauf verzichtet werden. Da meine Schrift aber einem sehr strikten grafischen System zugrunde liegt, wollte ich bewusst Akzente setzen, die für Lebendigkeit im Schriftbild sorgen. 

Schritt für Schritt zeichnete ich mit den Formen die weiteren Buchstaben des Wortes „lyric“ und legte bereits an dieser Stelle für alle Buchstaben ein Spacing fest, das in etwa passen konnte (siehe Abb.3 bis Abb. 8). Auch wenn es an dieser Stelle noch nicht möglich war, ein finales Spacing vorzunehmen, war es mir wichtig, bereits hier für einen Rhythmus zwischen den Buchstaben zu sorgen, der die Luftigkeit der entstehenden Hairline-Schrift spiegelte. Kontrollieren konnte ich dies durch das Text-Werkzeug in Glyphs, mit dem man sogleich die ersten gezeichneten Buchstaben tippen und gegebenenfalls auch im Vergleich zu den anderen Buchstaben Korrekturen an den Glyphen vornehmen kann. Welche genauen Werte für das Spacing notwendig sein würden, konnte ich jedoch erst auf Basis mehrerer Buchstaben feststellen. 

Weitere Schritte

Bis zum nächsten Beitrag möchte ich alle Versalien sowie Gemeinen, Umlaute und teilweise Interpunktionen gezeichnet haben und diese präsentieren. Im Zuge dessen werde ich auch das Spacing vornehmen – und je nach Bedarf das Kerning gewisser Buchstabenpaare.