Typografie – Einstieg

Schrift existiert beinahe überall. Typografie ist damit ein essentieller Bestandteil unseres Lebens. Sie hilft uns, uns in der komplexen Welt zurechtzufinden. Schrift visualisiert Sprache, mittels Sprache kommunizieren wir und wir können nicht nicht kommunizieren (wie wir von Paul Watzlawick wissen). Laut Erik Spiekermann wird dem Menschen die Bedeutung von Schrift aber vor allem erst dann bewusst, wenn er (oder sie) diese nicht mehr versteht. Jeder, der bereits in Japan war, aber keine japanischen Schriftzeichen lesen kann, versteht, was Spiekermann meint: Kann man keine Straßenschilder, keine Zeitungsüberschriften, keine Nachrichten oder Fahrpläne mehr lesen, fühlt man sich völlig verloren. Ein weiteres, noch. Extremeres Beispiel von Spiekermann: Einkaufen. Wie wüssten wir ohne Schrift auf dem Etikett, welches Müsli in einer Packung ist oder welches Öl in einer Flasche ist? Über diese reine Vermittlung von Inhalt hinausgehend, ist Schrift aber nicht gleich Schrift. Hier kommt die Typografie ins Spiel. 

Wer meint, er verstehe etwas von Schrift, weil er ja lesen könne, irrt sich gar sehr.

Jan Tschichold

Ein Text ist grundsätzlich die Abfolge von zu Wörtern zusammengesetzten Buchstaben. Die Schrift als einziges Darstellungsmittels des Textes wirkt sich dabei auf seine Wahrnehmung aus. Die Vielfalt an unterschiedlichen Schriftarten und das entwickelte Reglement für ihre Anwendung spricht für die Bedeutung der Form von Schriftzeichen. Um klarer mit den Begriffen „Schrift“ und „Typografie“ arbeiten zu können, gilt es diese zunächst zu definieren. 

Definition von Schrift und Typografie 

Laut dem Duden ist Schrift die „Gesamtheit der in einem System zusammengefassten grafischen Zeichen, besonders Buchstaben, mit denen Laute, Wörter, Sätze einer Sprache sichtbar festgehalten werden und so die lesbare Wiedergabe ermöglichen.“ Diese Definition verweist in keinerlei Hinsicht auf die Form der einzelnen Schriftzeichen. Spricht man von Schrift im Allgemeinen, ist es zunächst unwichtig, ob das A nun Serifen hat oder nicht – dies unterscheidet Schrift im allgemeinen Sprachgebrauch von Typografie. Schrift ist (oder sollte) für jeden von Bedeutung sein, der sich mit Text befasst. Forssmann und de Jong dazu:

Schrift ist der Werkstoff des Typografen – und damit ist nicht nur der professionelle Typograf gemeint: Wer am Rechner einen Brief tippt, E-Mails verschickt, Präsentationsunterlagen gestaltet oder eine private Einladungskarte erstellt, betreibt zwangsläufig Typografie.

Wer sich näher mit Typografie beschäftigt, verwendet das Wort “Schrift” nicht nur für die Gesamtheit aller Zeichen eines Schriftsystems, wie vom Duden angeführt. “Schrift(en)” bezeichnen innerhalb der Typografie auch die unterschiedlichen Typen von Schriften (Schriftarten, engl. typefaces, fälschlicherweise auch oft als fonts bezeichnet – diese meinen jedoch den einzelnen Schriftschnitt innerhalb einer Schriftfamilie. Doch Licht in dieses Begriffsdunkel möchte ich in einem weiteren Blogpost bringen.) Forssmann und de Jong schreiben dazu: “Im Zeitalter der digitalen Satzsysteme sind mit “Schriften” digitalisierte Schriften gemeint.” In dieser Betrachtungsweise können Schriften von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus analysiert werden: aus Perspektive der historischen Entwicklung und Herkunft, hinsichtlich der Ästhetik der Einzelformen und ihrem harmonischen Zusammenwirken, aus technisch-funktionaler Sicht mit Fokus auf Schriftgestaltung, Schriftentwurf und Lesbarkeit und schlussendlich aus Anwendungsperspektive mit der Frage, welche Schrift warum und für welchen Zweck gut oder schlecht funktioniert und wie man damit umgehen muss.

Was meint aber nun eigentlich “Typografie”? Eine Definition der Typografie zu finden, scheint heute gar nicht so einfach. Etymologisch stammt “Typo” vom altgriechischen typos, das ursprünglich “Schlag” oder “Stoß” bedeutete, später aber auch “Eindruck, Muster, Bild” – analog zum lateinischen typus, das “Figur, Bild, Muster” meint. “Graphie” stammt ebenso vom Altgriechischen ab: graphia bezeichnet das “schreiben, darstellen, zeichnen”. Nun haben wir als Designer:innen natürlich eine Vorstellung davon, was Typografie ist – auch wenn wir diese nicht auf den Punkt definieren können. Der Duden führt für “Typografie” zwei Definitionen: Die „Kunst der Gestaltung von Druck-Erzeugnissen nach ästhetischen Gesichtspunkten; Buchdruckerkunst“ sowie „typografische Gestaltung (eines Druck-Erzeugnisses)“. Auffällig ist dabei die stete Verwendung von „Druck-Erzeugnis“, obwohl es doch ganz augenscheinlich ist, dass Typografie auch in digitalen Medien eine große Rolle spielt. Warum ist das so? Kulturhistorisch wurde der Begriff  der Typografie tatsächlich für sämtliche Bereiche der Buchdruckerkunst und damit synonym zu dieser verwendet. Die Typografie meinte damit alles vom konkreten Entwurf der Druckschrift (Typometrie) über den Letternguss und Methoden zur drucktechnischen Vervielfältigung bis hin zur formalen Gestaltung von Druckwerken. Aufgrund der technologischen Weiterentwicklung und der Einführung des Bildschirms zur Textdarstellung hat sich die Bedeutung des Begriffs „Typografie“ jedoch gewandelt (– und der Duden hat scheinbar verabsäumt, seine Definition anzupassen). Heute verbindet man Typografie nicht mehr automatisch mit dem Buchdruck, sondern vielmehr mit dem materiellen oder digitalen Schriftbild als solchem – egal, worauf gedruckt wurde oder welches digitale Medium den Text darstellt. Typografie meint also das Schriftbild als solches, ob für Druck oder Screen, mit allen unterschiedlichen Parametern, die bei der Gestaltung des geschriebenen Textes verwendet werden. Neben der Typografie existiert auch die „Typografik“. Im Gegensatz zur Linguistik als Sprachlehre, beschäftigt sich die Typografik mit der Lehre der Schrift. 

Was ist nun der Zweck der Typografie? 

Im Grunde könnte jede Schrift überall immer gleich aussehen. Das wäre jedoch nicht nur schrecklich langweilig, sondern auch der Verständlichkeit von Texten abträglich. Ein Grundprinzip der Typografie und ihr erster Zweck ist die Lesbarkeit und damit einhergehende Verständlichkeit von Texten. Um dieser Rechnung zu tragen, wird man bei komplexeren typografischen Arbeiten selten mit einer einzigen Schrift auskommen, sondern wird für Auszeichnungen innerhalb des Fließtextes, Überschriften oder zur Kennzeichnung unterschiedlicher Textebenen unterschiedliche Varianten einer Schrift oder mehrere Schriftarten verwenden.

Über die Lesbarkeit hinaus vermittelt Typografie auch Immer eine gewisses Gefühl, gibt dem Text einen visuellen Charakter. Damien und Claire Gaultier argumentieren, dass „Untersuchungen gezeigt [haben], dass der Leser eine stilistische Verbindung zwischen einem Schriftzeichen und einem Text sehr wohl wahrnimmt und würdigt: ein Schrifttyp scheint ihm für einen bestimmten Zweck besser geeignet als ein anderer.“ Damit muss Typografie also nicht nur die Lesbarkeit von Texten gewährleisten, sondern kann mittels Visualisierung Einfluss auf die holistische Wahrnehmung der Leser:innen nehmen. 

Auch Leser:innen nehmen die stilistische Verbindung von Text und Inhalt durchaus wahr und empfinden Schriften als passend oder unpassend für gewisse Zwecke.

Die Würde des Textes

Auch wenn – oder gerade weil –  sich mittels der Typografie die Wahrnehmung eines Textes beeinflussen lässt, ist der bedachte und gekonnte Einsatz von Typografie so wichtig. Der Typograf und Autor Robert Bringhurst betont in seinem Werk The Elements of Typographic Style, dass die Würde des Textes respektiert werden muss. Er meint damit: Der Inhalt eines Textes steht an erster Stelle und alles andere – also die gesamte Typografie – hat diese Würde zu respektieren. Ina Saltz fügt diesem Gedanken hinzu, dass natürlich auch jede Schrift und jede typografische Gestaltung ihren Respekt verdienen – jedoch haben sie die Aufgabe, die Botschaft des Textes zu verdeutlichen und ihr einen entsprechenden Rahmen zu geben. Bringhurst plädiert deshalb für typografische Sorgfalt bei den scheinbar einfachsten Texten, seien es auch nur Busfahrpläne. Saltz geht mit diesem Gedanken sogar vor Gericht: 

Welche Verantwortung haben wir also gegenüber dem Text? […] Jeder Designer trifft moralische (bin ich mir für so etwas zu schade?) und pragmatische (werde ich meinen Job/Kunden verlieren, wenn ich den Auftrag ablehne?) Entscheidungen, doch mit der Würde des Textes ist es wie vor Gericht: Jeder hat das Recht auf einen Anwalt und fairen Prozess und ist so lange unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. 

Kurzum: Jeder Text verdient es, typografisch einwandfrei dargestellt zu werden. Als Designer:innen sollten wir typografische Expert:innen sein, um jedem Text, lang oder kurz, typografisch gerecht werden zu können.

Klassifikation der Typographie

Auch in der Typographie unterscheidet man zwischen Theorie und praktischer Anwendung. Im Typolexikon, einem populärwissenschaftlichen Langzeitprojekt, das sich als Fachenzyklopädie rundum Schrift, Typografie und Grafikdesign versteht, klassifiziert Autor Wolfgang Beinert Typografie in unterschiedliche Wissenschaftsbereiche und nennt u.a. folgende, aus meiner Sicht für den Designberuf besonders relevante: 

  • Historische und neuere Schriftgeschichte 
  • Klassifikation von Print und Screen Fonts und deren kunstgeschichtliche Zuordnung
  • Wissen über die Arten des Lesens und Betrachtens
  • Die Lehre von der ästhetischen, künstlerischen und funktionalen Gestaltung von Buchstaben, Satz- und Sonderzeichen, gesamten Schriften
  • Die typografische Anwendung in Druckwerken, digitalen Medien und im dreidimensionalen Raum 

Bereiche und Disziplinen der angewandten Typografie

Die letzten beiden Punkte der obigen Aufzählung beschreiben die Anwendung der Typografie. Die angewandte Typografie ist wiederum in Teilbereiche gegliedert. Zunächst kann die Anwendung von Schrift in Makrotypografie und Mikrotypografie unterteilt werden. Mikrotypografie wird auch Detailtypografie genannt und bezieht sich auf alle typografisch relevanten Parameter innerhalb einer Zeile, zum Beispiel Anführungszeichen, Binde- und Gedankenstrich, Interpunktion, Apostroph und Ligatur, Kerning, Abstände und Laufweite, Zahlen etc. Makrotypografie bezieht sich damit auf alle typografisch relevanten Parameter über die Zeile hinaus, u.a. Zeilenabstand, Spalten, Spaltenbreite, Format und Raster, Seitenränder und Satzarten. Mikro- und Makrotypografie existieren jedoch nicht unabhängig voneinander – es ist nicht möglich, eine Komposition makrotypografisch zu gestalten, also ihr Layout zu erstellen, ohne dabei auf die mikrotypografischen Gegebenheiten in der Zeile Rücksicht zu nehmen. 

Mikrotypografie bezieht sich auf alle Parameter innerhalb einer Zeile – von den einzelnen Zeichen bis zur Laufweite zwischen den Glyphen. Makrotypografie umfasst die gesamte typografische Gestaltung über die Zeile hinausgehend. Die Übergänge zwischen diesen Bereichen ist jedoch fließend, da sie in der Anwendung nicht ohneeinander funktionieren.

Neben der Unterscheidung von Mikro- und Makrotypografie wird die angewandte Typografie auch in Disziplinen unterteilt: 

  • Lesetypografie (Basistypografie)
  • Corporate Typography (Schrift im Corporate Design, Leit- und Informationssystemen)
  • Gebrauchstypografie (Akzidenz- und Werbetypografie)
  • Kunsttypografie (Typografie für künstlerische Zwecke)
  • Plastische Typografie (Lapidartypografie, dreidimensionale Schrift im Raum)
  • Schriftgestaltung (Type Design)
  • Animationstypografie (Schrift in Bewegung, Schriftanimation)

Ausblick

Der Einstieg ins große Thema „Typografie“ wäre damit getan. Im Weiteren geht es nun um eine Wissensanreicherung aus möglichst vielen Bereichen der Typografie – mit dem Ziel, dass sich irgendwo irgendwann ein Forschungsgebiet oder eine Forschungsfrage ergibt, bei der ich „hängenbleibe“. 


 

Literatur

Beinert, Wolfgang. Typografie [online]. Typolexikon. [Letzter Zugriff am 2021-12-22] Verfügbar über:https://www.typolexikon.de/typografie/

Duden. Suchbegriff: Schrift [online]. [Letzter Zugriff am 2021-12-22] Verfügbar über: https://www.duden.de/suchen/dudenonline/schrift

Duden. Suchbegriff: Typografie [online]. [Letzter Zugriff am 2021-12-22] Verfügbar über: https://www.duden.de/rechtschreibung/Typografie

Forssmann, Friedrich und Jong, Ralf de. Detailtypografie. Mainz: Schmidt, 2004. 

Gaultier, Damien und Claire. Gestaltung, Typografie etc. Ein Handbuch. Salenstein: Niggli, 2009.

Kramer, Lindsay. Typeface vs. Font: Was ist der Unterschied und spielt er eine Rolle? [online]. 99designs. [Letzter Zugriff am 2021-12-22] Verfügbar über: https://99designs.de/blog/design-tipps/typeface-vs-font/

Saltz, Ina. Typografie. 100 Prinzipien für die Arbeit mit Schrift. München: Stiebner, 2010. 

Spiekermann, Erik. Stop Stealing Sheep & find out how type works. Kalifornien: Adobe Press Mountain View, 1993.