Zum Abschluss des dritten Semesters möchte ich diesen Blogeintrag der Vorstellung meiner weiteren Recherchearbeit widmen und damit gleichzeitig davon erzählen, womit ich mich auch für meine Masterarbeit auseinandersetzen möchte. Im Zuge einer Lehrveranstaltung wurde ich mit der Frage konfrontiert: Wie einfach kann es sein und wie komplex muss sein, damit die Gestaltung funktioniert? Dies führte mich in meinen Überlegungen über das tatsächliche Projekt hinaus und ich begann mich zu fragen, welche Rolle die Reduktion auf das Wesentliche für mich als Texterin und Gestalterin spielt. Ich stellte fest, dass die Frage nach der Essenz – also dem, was wirklich kommuniziert werden soll – immer den Anfang bildet. Wird dieser Kern nicht klar herausgearbeitet und der Inhalt damit ungenau definiert, wird Gestaltung nicht zum kommunikativen Instrument, sondern zur inhalts- und ausdrucksschwachen Behübschung. In weiterer Folge fiel mir auf, dass eben die Besinnung und die darauffolgende Reduktion auf den Kern einer Sache viele Bereiche des Lebens bereichert. Wie der Literat Antoine de Saint Exupéry sagte: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ Ganz ähnlich auch die Worte von Albert Einstein, also einer Stimme der Wissenschaft: „Man soll die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher.“ Einfachheit, Reduktion, Simplizität, Minimalismus – all diese Begriffe spielen für mich persönlich eine wichtige Rolle und ich begann, sie in einem weiteren Kontext zu betrachten.
Einfach zu viel
Wir befinden uns an einem Punkt, in dem sich die Gesinnung eines „Immer-Mehr“ nicht als zukunftsfähig erwiesen hat. Überfluss trägt weder im materiellen (Besitz) noch im immateriellen (Information, Macht) Sinn zu einer Lebensweise bei, die auf Ressourcen achtet und Lebensqualität fördert. Durch die Anhäufung von Besitz, Information oder Macht beuten wir uns selbst und unsere Erde aus. Mithilfe von Technologie hat der Mensch Vernetzung und Informationsaustausch vorangetrieben. Dies hat viele positive, jedoch auch negative Auswirkungen. Die Menge an zu verarbeitenden Informationen, die durch die Digitalisierung gestiegen ist, führt u.a. zur emotionalen Erschöpfung1. Die Freiheit, auf Webseiten und Social Media Informationen als Fakten auszugeben, die mangelnd recherchiert sind und nicht der Wahrheit entsprechen („Fake News“) lassen das Vertrauen von Menschen in die Kommunikation über alle Medien hinweg schwinden. Zunehmend macht sich eine Müdigkeit gegenüber dem Medienkonsum breit2. Als Kommunikationsdesigner:innen dürfen diese Entwicklungen nicht spurlos an uns vorübergehen.
Kommunikationsdesign: Verantwortung und Chance
Die Augen liefern dem Menschen rund 80 Prozent seiner Sinneswahrnehmung3. Das, was wir sehen ist also maßgeblich daran beteiligt, wie vielen Informationen wir ausgesetzt sind und wie wir unsere Umwelt begreifen. Als Gestalter:innen tragen wir Botschaften hinaus in die Welt und damit einen Großteil dazu bei, was und wie Menschen etwas sehen. Daraus resultiert die Verantwortung, uns genau überlegen zu müssen, was und wie kommuniziert wird. In beratender und ausführender Tätigkeit können wir diese Verantwortung nützen und uns auf das konzentrieren, was den zuvor beschriebenen Konsequenzen des Überschusses entgegenwirkt: Kommunikation, die zu sinnvollem Informationsaustausch beiträgt und Lebensqualität nicht schmälert, sondern fördert. Damit wir eine solche glaubwürdige und bereichernde Kommunikation wieder in den Fokus der gestalterischen Arbeit rücken, müssen wir uns auf das Wesen des Inhalts konzentrieren und uns damit auseinandersetzen, wie wir diesem Wesen in authentischer textlicher und visueller Form Ausdruck geben. Es geht um die Frage, was wirklich wichtig ist, was wirklich gesagt oder gezeigt werden soll. Diese Besinnung auf das Wesentliche ist in vielen Bereichen unseres Lebens gängige Praxis: In Form des postmodernen Minimalismus ist Reduktion zum Designtrend geworden. Psychologie, Medizin, Sport oder Glauben wenden diese jedoch bereits seit Langem methodisch an. Nicht zuletzt spielt in all diesen Bereichen auch die Frage nach unserer eigenen Identität und der Essenz des Lebens eine bedeutende Rolle.
Ausblick der Arbeit und weitere Schritte
Diese Arbeit soll sich auf die Suche nach dem Essentiellen machen. Zunächst möchte ich der eigentlichen Bedeutung von Kommunikation auf den Grund gehen. Durch die Verbindung unterschiedlicher Disziplinen möchte ich versuchen, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie wir uns sowohl als Menschen als auch Gestalter:innen auf das besinnen, was wirklich wichtig ist. Der derzeitige Einstieg in das Thema ist bewusst breit und offen angelegt. Anhand von Literaturrecherche, Gesprächen sowohl mit Vertreter:innen der Kreativbranche als auch anderer Disziplinen und eigener Erfahrung während meines bevorstehenden Praktikums in Berlin soll zunächst die tatsächliche Forschungsfrage definiert werden. Damit wird das Thema der Suche nach dem inhaltlichen Kern auch zum Gebot der bevorstehenden Zeit.
Wer sinnerfassend lesen kann, ist klar im Vorteil – so heißt es im zynischen Spaß. Mir erging es im Falle dieser Aufgabe nicht ganz so; jedenfalls nicht, was das Lesen der Aufgabenstellung betrifft. Aus diesem Grund analysierte ich zwei Masterarbeiten anstelle von einer. Tatsächlich haben sich im Vergleich aber spannende Aspekte herauskristallisiert, weshalb ich beide Analysen präsentieren möchte.
In meiner eigenen Masterarbeit möchte ich die Methoden der Konkrete Poesie in der typografischen Arbeit behandeln und selbst ausprobieren. In der Konkreten Poesie verlässt das Wort den poetischen Vers und wird zur visuellen Konstellation. Diese Handhabung von Inhalt und Schrift begann bereits bei den Futuristen und setzte sich in der Konkreten Poesie vor allem ab den 1950er-Jahren fort. Gerade in der zuletzt genannten Zeit wurde der Ansatz des Konkreten auch häufig für die Werbetypografie verwendet. In meiner Recherche nach Literatur zum Thema kam mir eine Masterarbeit am Institut für Germanistik an der Karl-Franzens-Universität Graz unter: „Leerstellen und Konkrete Poesie. Eine Analyse der Verwendungs- und Wirkfaktoren von Zwischenräumen im poetischen Werk von Franz Mon“, verfasst von Karin Bachmayer. Dass die Konkrete Poesie sowohl Gegenstand der visuellen Gestaltung als auch ein Forschungsthema der Literaturwissenschaft ist, liegt in der Natur ihrer Form. Als Texterin und Grafikdesignerin ist es genau diese Schnittstelle zwischen Inhalt und Form, die für mich so spannend ist. Aus diesem Grund wählte ich die Masterarbeit von Karin Bachmayer als (ersten) Gegenstand der Bewertung einer wissenschaftlichen Arbeit.
Da diese Masterarbeit aber nicht aus meinem Fachbereich stammte, sich aber thematisch für mein Thema eignete, wollte ich noch eine zweite Masterarbeit aus dem Bereich des Communication Designs analysieren. Diese zweite Arbeit mit dem Titel „The Spoken Word in Typography“ von Ondrej Jelinek beschäftigt sich inhaltlich mit einem ähnlichen Thema wie die erste Arbeit, jedoch unterscheidet sie sich aufgrund des Fachbereichs hinsichtlich einiger Aspekte doch sehr.
Ich möchte die nachfolgende Präsentation mit der Analyse der Arbeit aus meinem eigenen Fachbereich beginnen und hänge die Analyse der zweiten Arbeit aus dem Bereich Germanistik an.
Masterarbeit aus dem Fachbereich Communication Design
Diese Masterarbeit von Ondrej Jelinek beschäftigt sich mit den gestalterischen Möglichkeiten, nonverbale Aspekte gesprochener Sprache in geschriebener bzw. gedruckter Form darzustellen. Zunächst behandelt die Arbeit semiotische und linguistische Theorien zur Verbindung von gesprochener und geschriebener Sprache. Daraufhin werden Beispiele aus der Konkreten Poesie bzw. aus Wort-Klang-Kompositionen analysiert. Anhand unterschiedlicher typografischer Werkzeuge wird im praktischen Teil der Arbeit erforscht, wie nun nonverbale Aspekte grafisch dargestellt werden können. Das Ziel der Arbeit ist, das gesammelte theoretische Wissen praktisch anzuwenden und durch die vorliegenden Experimente einen Nährboden für weitere Diskussion zu bieten.
Titel: The Spoken Word in Typography
Autor: Ondrej Jelinek
Universität: University of Applied Science and Arts Northwestern Switzerland
Fachbereich: Master of Arts in Visual Communication and Iconic Research
Publikationsjahr: 2013
Gestaltungshöhe
Die Gestaltungshöhe dieser Arbeit ist – meiner Meinung nach – als relativ hoch einzuschätzen. Dies ist der Fall, da der Verfasser es schafft, Typografie und Layout einer wissenschaftlichen Arbeit entsprechend in Einklang zu bringen. Die Gestaltung ist sehr klar und strukturiert, nimmt sich aber zurück. Dies vermittelt Ruhe und gibt dem textlichen Inhalt genügend Bühne. Die Wahl des Verfassers fiel auf Blocksatz mit eingerückten Absätzen. Für Titel und Navigation (Kolumnentitel, Inhaltsverzeichnis) wurde eine moderne Grotesk verwendet, für den Fließtext eine Serifenschrift. Die Schriftwahl zeugt vom Wissen des Verfassers, welche Schrift sich für lange Body Copies eignet und inwiefern trotzdem ein gewisser visuell auffallender Stil erreicht werden kann.
Innovationsgrad
Die Typografie setzt sich in der Regel mit dem geschriebenen Wort und seiner Anordnung auf einer Fläche auseinander. Diese Arbeit geht auf die Darstellung des gesprochenen Wortes ein, was vor allem in Grundlagenwerken der Typografie selten bis niemals Beachtung findet (Ich selbst kenne kein solches Werk.) Anhand von experimenteller Arbeit möchte der Verfasser versuchen, die nonverbalen Aspekte des gesprochene Wortes grafisch darzustellen. Es gibt Literatur im Bereich der experimentellen/expressiven Typografie bzw. Artikel über Typografie, die nach Willberg und Forssmann als „inszenierend“ klassifiziert werden kann, die auf Darstellung der Augenblicklichkeit gesprochener Sprache eingehen. Jedoch konnte innerhalb der Recherche keine Masterarbeit ausfindig gemacht werden, die sich anhand von Experimenten diesem Thema so eingehend widmet.
Selbstständigkeit
Der Verfasser setzt sich im ersten Teil der Arbeit mit den theoretischen Grundlagen auseinander und lässt diesen anhand praktischer Experimente Taten folgen. Diese praktische Arbeit erfolgt reflektiert und dokumentiert. Durch die Abbildung des Rechercheprozesses sowie die Entwicklung seiner Ergebnisse zeigt der Verfasser, dass er selbstständig an seinen Experimenten gearbeitet hat. Zudem schreibt er immer wieder, was und inwiefern sein Interesse für die Fragestellung der Arbeit geweckt wurde, womit er seine Eigeninitiative zu verdeutlichen versucht. Somit ist davon auszugehen, dass der Verfasser selbstständig gearbeitet hat. Inwiefern die betreuende Person Hilfestellungen gegeben hat, ist nicht beurteilbar.
Gliederung und Struktur
Die Arbeit ist logisch aufgebaut bzw. gegliedert, folgt jedoch keiner Nummerierung. Die Kapitel tragen lediglich Titel, das Inhaltsverzeichnis führt diese Titel an und die Seite, auf der sie beginnen (siehe Abb. 1). Auf die Einleitung folgen einige Kapitel zur Theorie, deren Inhalte im praktischen Teil eine Verbindung erfahren. Da sich der Verfasser mit der Darstellung des gesprochenen Wortes auseinandersetzt, findet er unterschiedliche wissenschaftliche Bereiche, sich dem Thema zu nähern: Sprachwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und typografische Theorien.
Anhand der theoretischen Grundlagen erarbeitet der Verfasser konkrete Fragen, die er innerhalb des Kapitel „The Design Process“ beantworten möchte: What can be transmitted to the reader within the letterform? It is possible to visually represent the sound image of a word and thus narrow down its possible explanations? Where is the boundary between phonetic and visual? Can a form be articulated? Etc. Der Designprozess gliedert sich eigentlich in weitere Unterkapitel, die sich den unterschiedlichen Aspekten im Design widmen („Coding“, „Composition“, „Expression“). Diese werden jedoch im Inhaltsverzeichnis nicht angeführt, was für Leser:innen irreführend ist. Die (Nicht-)Strukturierung bzw. Nicht-Nummerierung der Arbeit mag gestalterisch ansprechend sein, ist aber für Lesende unpraktisch und unübersichtlich.
Auf die Darstellung des Designprozess folgt die Zusammenfassung. In dieser fasst der Verfasser zusammen, welche theoretischen Ergebnisse seine Recherche erzielt hat. Seinen eigenen Designprozess nennt er „a journey without a certain ending, aiming to visually capture some of the invisible concepts we know.” und lässt eine Bewertung seiner praktischen Arbeit aus eigener Sicht völlig offen. Auf die Zusammenfassung folgen das Literaturverzeichnis sowie eine sehr umfangreiche Dokumentation des Designprozesses. In der gesamten Prozessdokumentation wird keinerlei Kommentar vorgenommen. Die Dokumentation ist eine reine Aneinanderreihung von titellosen Bildern. Aus meiner Sicht benötigt man nach Lektüre der Arbeit auch keinen Kommentar, jedoch wäre eine Art Navigation innerhalb der Dokumentation doch hilfreich um Querverbindungen zum Kapitel „Designprozess“ herstellen zu können.
Kommunikationsgrad
Obwohl es sich um eine Arbeit an einer Schweizer Hochschule für Gestaltung handelt, wurde die Arbeit auf Englisch verfasst. Der Verfasser verfügt dennoch über das notwendige sprachliche Niveau, in englischer Sprache eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen und seine Beobachtungen innerhalb des Designprozesses verständlich beschreiben zu können. Der Text liest sich flüssig und logisch, auch wenn manchmal deutlich wird, dass es sich nicht um das Englisch eines Native Speakers handeln kann. Die Formulierungen sind jedoch – wie es das Englische vorsieht – kurz und aussagekräftig gehalten. Der Verfasser beherrscht es, mit wenigen Worten viel zu sagen und distanziert sich vom häufigen Gebrauch des „I“ oder „my“. Vielmehr wird oft das Passiv verwendet, was der wissenschaftlichen Tonalität gerecht wird. Lediglich die klare Kommunikation des inhaltlichen Aufbaus (siehe Gliederung) lässt zu wünschen übrig.
Umfang der Arbeit
Die Arbeit umfasst insgesamt 230 Seiten, wobei 88 Seiten die eigentliche Arbeit darstellen und der Rest die Prozessdokumentation. 54 Seiten sind der Theorie gewidmet, 18 Seiten beschreiben den Designprozess selbst. Obwohl sich das Kapitel des Designprozesses eher kurz hält (ist er doch so maßgeblich für diese Arbeit), zeigt die Dokumentation des Prozesses, dass eingehende Recherche und Experimentieren vonstatten gegangen war. Damit ist der Umfang der Arbeit für den Abschluss eines Masterstudiums sicherlich in Ordnung.
Orthografie sowie Sorgfalt und Genauigkeit
Orthografisch konnten keine Mängel festgestellt werden. Theorie und auch praktisches Experiment zeigen Sorgfalt in der Erarbeitung. Was nochmals festzuhalten gilt, ist die Prägnanz, mit der Gedanken wiedergegeben werden. Dies ist gerade im Vergleich zu einer auf Deutsch verfassten Arbeit sehr auffallend. Es bedurfte hier nicht vieler Worte, um doch viel Inhalt wiederzugeben.
Literatur
Die verwendete Literatur ist eine Mischung aus gedruckten Werken und Weblinks, wobei im Vergleich zu anderen aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten wenige Quellen aus dem Internet verwendet wurden (23 Printmedien versus 5 Webquellen). Die Bibliografie umfasst ältere Werke (vor 2006) sowie neuere Werke (nach 2006). Hinsichtlich der Tatsache, dass die Arbeit 2013 publiziert wurde, ist es jedoch auffallend, dass kein Werk in den letzten drei Jahren vor Publikation der Arbeit erschienen ist. Zwei Jahre stammen aus 2010 bzw. 2009, alle anderen sind älter.
Die Zitationsweise, mit der der Verfasser arbeitete, beinhaltet keine Fuß-, sondern Endnoten: Zitate wurden mit Nummern versehen, die in einem Register von „Endnotes“ gelistet wurden. Dort findet man die Quelle, aus der das Zitat stammt. In einem separaten Literaturverzeichnis, das in „Bibliography“ und „Internet Sources“ gegliedert ist, findet sich die alphabetische Liste der Quellen. Bei den Endnoten sowie dem Literaturverzeichnis wurde sorgfältig gearbeitet.
Masterarbeit aus dem Fachbereich Germanistik
In ihrer Arbeit behandelt Karin Bachmayer die Leerstelle als gestalterisches Mittel in literarischen bzw. poetischen Texten. Das Augenmerk der Analyse liegt im Weiteren auf den Texten von Franz Mon. Bachmayer stuft die Leerstelle als Teil der Konkreten Poesie ein. Durch Betrachtung und Vergleich erläutert sie zunächst den Begriff der Leerstelle und leitet auf die Konkrete Poesie über. Sie stellt sich die Frage, welche Rolle das Wort und die Fläche auf der semantischen Ebene von Texten bzw. in der Konkreten Poesie spielt. Bachmayer möchte mit ihrer Arbeit darlegen, wie die Verbindung von Wort und Fläche auf Leser:innen wirken kann und soll. Sie betrachtet diese Verbindung zunächst im Allgemeinen und dann im Konkreten anhand der Poesie von Franz Mon.
Titel: Leerstellen und Konkrete Poesie
Untertitel: Eine Analyse der Verwendungs- und Wirkfaktoren von Zwischenräumen im poetischen Werk von Franz Mon
Autorin: Karin Bachmayer
Universität: Karl-Franzens-Universität Graz
Fachbereich: Germanistik
Publikationsjahr: 2018
Gestaltungshöhe
Die Arbeit liegt als digitales PDF vor, ist im Bestand der Universitätsbibliothek jedoch auch in gedruckter Version verfügbar. Am Institut für Germanistik gibt es formale Richtlinien, wie eine wissenschaftliche Arbeit zu gestalten ist. Die Arbeit entspricht diesen Richtlinien. Die Masterarbeit von Karin Bachmayer ist gut strukturiert und übersichtlich gestaltet. Die Arbeit wurde mit einer Serifen-Schrift (vermutlich Times New Roman) verfasst, die in unterschiedlichen Schnitten und Größen zur Anwendung kommt. Diese formale Gestaltung dient jedoch lediglich der hierarchischen Strukturierung und Übersichtlichkeit und scheint keine weiteren gestalterischen Ambitionen zu verfolgen. Die einzige Ausnahme hinsichtlich des Schrifteneinsatzes bildet die Seitenzahl, die in Calibri gesetzt ist. Dies hätte – auch innerhalb des vorgegebenen formalen Rahmens – an die ansonsten verwendete Schrift angeglichen werden können, ist vermutlich aus Gründen der Unachtsamkeit aber nicht erfolgt. Grundsätzlich zielt die Arbeit in ihrer Gestaltungshöhe vorrangig auf die klare Präsentation des Inhalts ab. Der Großteil der Arbeit besteht aus einem textlichen Layout. Abbildungen wurden integriert, um Inhalte oder konkrete Beispiele zu veranschaulichen. Dabei erfüllt die gestalterische Anordnung völlig ihren Zweck. Die Gestaltungshöhe bleibt demnach über das gesamte Dokument hinweg auf einem Grundniveau, das den Anforderungen an eine wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Literaturwissenschaftlich entspricht und das – aufgrund der vorgegebenen Richtlinien der Universität Graz bzw. des Instituts für Germanistik – wohl nicht hätte überschritten werden können. Zugleich zeigt die Inkonsistenz zwischen Fließtext und Seitenzahl aber, dass die Verfasserin der Gestaltung wohl auch wenig Beachtung geschenkt hat.
Innovationsgrad
Im Zuge meiner Recherche stieß ich auf einige Aufsätze, die darauf hinweisen, dass die Konkrete Poesie in der Literaturwissenschaft oftmals vernachlässigt wird, da diese ja mehr der typografischen Gestaltung von Worten zuzuordnen sei. Alleine aus diesem Aspekt heraus, kann der Arbeit von Karin Bachmayer ein gewisser Innovationsgrad innerhalb ihres Fachgebietes zugeschrieben werden, da dieses in der Masse an Forschungsarbeit eher marginale Betrachtung erfährt. Dem gegenüber steht das Grafikdesign, das sich in Publikationen immer wieder mit der Konkreten Poesie als prägende Methode für die (Werbe-)Typografie auseinandersetzt. Ende 2021 erschien hier, zum Beispiel, das Buch „worte formen sprache. Über konkrete Poesie, Typografie und die Arbeit von Eugen Gomringer“, herausgegeben von Simon Mager. Karin Bachmayer setzt sich vor allem mit der Wirkung der Leerstelle innerhalb eines Textes auseinander – also einem eigentlich gestalterischen Detail, das jedoch auch inhaltliche Wirkung hat. Im Grafikdesign gibt es seit jeher Beiträge zur Bedeutung des Weißraumes, jedoch konnte ich keine Aufsätze aus der Designforschung finden, die sich konkret mit der Leerstelle als Weißraum innerhalb des Textes auseinandersetzen. Mit ihrer sehr spezifischen Fragestellung widmet sich Karin Bachmayer meiner Meinung nach einem Thema, das sowohl für die Literatur als auch das Grafikdesign von Bedeutung und deshalb durchaus innovativ ist.
Selbstständigkeit
Die Arbeit gliedert sich in drei größere Themenbereiche: die Leerstelle und ihre Definition, die Leerstelle innerhalb der Konkreten Poesie und die Analyse der Leerstelle in den Texten von Franz Mon. Karin Bachmayer stützt ihre eigene Analyse im dritten Teil zunächst auf die Theorie, die sie in den vorangegangenen zwei Kapiteln darlegt. Unterschiedliche theoretische Grundlagen und Gedanken wurden darin auf eine verständliche Art und Weise zusammengetragen. Zudem erarbeitet sie einen Kriterienkatalog für ihre eigene Analyse. Dieser basiert zwar durchaus auch auf Beobachtungen und Beurteilungen aus anderen Schriften, jedoch schien die konkrete Auswahl der Kriterien und Konzeption des Kataloges selbstständig erfolgt zu sein. Auch die Analyse im dritten Teil der Arbeit erfolgt schlussendlich selbstständig. (Inwiefern die Betreuungsperson in dieser Analyse leitend war, ist aus externer Sicht nicht zu beurteilen). Bachmayer greift immer wieder auf analysierende Gedanken des Dichters selbst zurück, um Rückschlüsse auf konkrete Beispiele ziehen zu können. Auch dies scheint mir aus eigenständiger Recherche heraus passiert zu sein. Die Selbstständigkeit der Arbeit ist aus meiner Sicht also aus hoch einzustufen.
Gliederung und Struktur
Die Gliederung der Arbeit folgt einem logischen und verständlichen Aufbau. Auffällig ist, dass keine Abstracts inkludiert wurden, wobei davon auszugehen ist, dass dies wohl nicht aus Unachtsamkeit geschah, sondern keine formale Anforderung des Instituts für Germanistik war, an dem die Arbeit verfasst wurde.
Ab der Einleitung werden alle Kapitel mit lateinischen Ziffern nummeriert. Zwei Kapitel widmen sich den theoretischen Grundlagen, ein drittes der Analyse. Das erste der Theorie-Kapitel verfügt über eine weitere hierarchische Ebene (2.1. bis 2.7.), das zweite Theorie-Kapitel sowie das Analyse-Kapitel werden um eine weitere hierarchische Ebene ergänzt (siehe Foto). Nachfolgend soll ein kurzer Überblick über die inhaltlich relevanten Kapitel gegeben werden.
Kapitel 1 – Einleitung
In der Einleitung legt Karin Bachmayer den Inhalt ihrer Arbeit sowie die Überlegungen zum Aufbau sehr detailliert dar – meiner Meinung nach, fast schon zu detailliert. Grundsätzlich gilt es ja, die Einleitung am Ende des Verfassungsprozess einer wissenschaftlichen Arbeit zu schreiben, da man nur zu diesem Zeitpunkt wirklich weiß, was im Weiteren folgen wird. Das hat Bachmayer definitiv getan, ist dabei aber etwas ausufernd geworden. Zu Beginn wird dargelegt, warum sich die Verfasserin mit Leerstellen befasst, welche Literatur verwendet wird und welches Ziel mit der Arbeit verfolgt wird. In der Folge gibt die Einleitung noch einen ausgedehnten inhaltlichen Überblick über die nachfolgenden Kapitel. Die Einleitung konzentriert sich damit weit mehr auf die inhaltliche Angabe als auf eine Herleitung der Relevanz der Arbeit oder spannende Aspekte/Resultate, die Leser:innen zum Weiterlesen animieren sollen. Diese inhaltliche Ausrichtung der Einleitung kann bewusst entschieden worden oder aus einem Mangel an Reflexion über die Relevanz der Arbeit entstanden sein.
Kapitel 2 – Leerstellen: Definition und Konkretisierung
In diesem Kapitel wird auf die unterschiedlichen Arten von Leerstellen und die Rolle der Leser:innen in der Rezeption von Leerstellen eingegangen. Dies soll einerseits Lesenden einen Überblick über die Einteilungen geben, im Weiteren aber auch der Verfasserin die Möglichkeit bieten, die analysierten Leerstellen in Kapitel 3 einer Kategorie zuzuordnen.
Kapitel 3 – Leerstellen und Konkrete Poesie
Dieses Kapitel befasst sich mit der Rolle der Leerstelle in der Konkreten Poesie. Die Verfasserin zeigt auf, wieso Leerstellen ein maßgeblicher Teil der Konkreten Poesie sind und warum Letztere oftmals aufgrund der Leerstelle erst funktioniert. Die Verfasserin geht in der Folge auch auf den Begriff des „Konkreten“ ein. Hierfür zieht sie Definiitonen unterschiedlicher konkreter Lyriker heran. Das Konkrete äußerst sich einerseits im Worte, andererseits in der Fläche, die das Wort umgibt und damit zum essentiellen Teil dieser Poesie wird. Über die Bedeutung der Fläche wird die Verbindung zur Leerstelle im Text hergestellt, deren semantische, syntaktische und materielle Wichtigkeit damit untermauert wird. Die bis dato erschlossene Theorie wird am Ende dieses Kapitel dazu verwendet, einen Kriterienkatalog für die weitere Analyse zu erstellen.
Kapitel 4 – Leerstellen in poetischen Texten von Franz Mon
Karin Bachmayer analysiert die Bedeutung und Wirkung von Leerstellen anhand von sechs Poesie-Beispielen von Franz Mon. Sie erarbeitet hier einen zentralen Aspekt von Mons Texten: die grafische Darstellung. Die Anordnung des Textes, also seine Typografie, hat für die Verfasserin maßgeblichen Einfluss darauf, inwiefern die Leerstellen in den Texten nach Bedeutung und Wirkung den Kategorien zugeordnet werden können.
Kapitel 5 – Zusammenfassung
In ihrer Zusammenfassung führt die Verfasserin aus, was das Ziel der Arbeit war, inwiefern sie dieses Ziel erreichen konnte und wo Probleme bei der aussagekräftigen Interpretation der Analyseergebnisse auftraten. Sie betont nochmals die Rolle der Leser:innen im Schaffen von Bedeutung und Wirkung von Leerstellen, bleibt den Lesenden jedoch einen Ausblick hinsichtlich weiterer Forschungsmöglichkeiten schuldig.
Kommunikationsgrad
Die Verfasserin beherrscht das literarische Jargon und die wissenschaftliche Tonalität, sodass die die Sprache ihrer Arbeit absolut angemessen ist. Ihr Formulierungen sind schlüssig – weder zu prägnant, noch zu verschachtelt. Obwohl die Erläuterungen teilweise kurzweiliger sein könnten, erschließt sich den Leser:innen stets, wovon die Rede ist. Inhaltliche Wiederholungen gibt es kaum. Die Verfasserin stellt zudem Bezüge zwischen den Kapiteln her, verweist auf bereits Erwähntes, was zu einem guten Verständnis ihrer Vorgehensweise führt.
Umfang der Arbeit
Die Arbeit umfasst insgesamt 94 Seiten. Sie enthält 44 Seiten Theorie sowie einen Analyse-Teil zu 31 Seiten. Die Analyse umfasst sechs unterschiedliche Werke, denen sich die Verfasserin eingehend widmet. Dadurch schafft sie eine gute Balance zwischen theoretischen Grundlagen und Überlegungen (Erstellung des Kriterienkatalogs) und ihrer praktischen Arbeit.
Orthografie sowie Sorgfalt und Genauigkeit
In der Lektüre der Arbeit ließen sich keine orthografischen Fehler feststellen. Auch das Literaturverzeichnis in seiner Gesamtheit sowie die einzelnen Zitationen bzw. Fußnoten am unteren Seitenrand scheinen sehr akkurat und sorgfältig erstellt worden zu sein. Hinsichtlich der Sorgfalt soll hier nochmals kurz auf die Gestaltung eingegangen werden: Es wurde bereits erwähnt, dass für den gesamten Inhalt eine Schrift verwendet wurde, die lediglich bei den Seitenzahlen nicht zum Einsatz kam. Da anzunehmen ist, dass dies keine gestalterische Entscheidung war, ist diese Inkonsistenz im Erscheinungsbild wohl auf eine Ungenauigkeit in der Schriftwahl zurückzuführen. Im Gesamten ist anzumerken, dass die Verfasserin inhaltlich und strukturell sehr sorgfältig gearbeitet hat, der Gestaltung über die formalen Anforderungen hinaus aber keine Bedeutung beimaß.
Literatur
Die Verfasserin verwendete unterschiedliche Primärliteratur für ihre Analyse. Die verwendete Sekundärliteratur setzt sich aus einer ausgewogenen Mischung aus Druckwerken und Online-Ressourcen zusammen. Auffallend ist die Verwendung vieler älterer Werke. Nur drei Werke stammen aus den letzten fünf Jahren vor der Publikation der Arbeit 2018. Viele Werke stammen aus den 1960er- und 1970er-Jahren, teilweise aus den 1990er-Jahren. Dies ist womöglich darauf zurückzuführen, dass die Konkrete Poesie von 1950 bis 1970 ihre Hochphase erlebte und vor allem in dieser Zeit auch Beachtung genoss. Am Anfang dieser Analyse wurde bereits angemerkt, dass die Erforschung der Konkreten Poesie innerhalb der Literaturwissenschaft eher eine Randerscheinung darstellt. Aus diesem Grund kann auch ein Mangel an fundierter zugänglicher Literatur entstanden sein.
Erste Seiten des Type Specimen Books von The Minimalist
Um diese Lehrveranstaltung für dieses Semester abzuschließen, möchte ich in diesem letzten Blogbeitrag die ersten Seiten meines Type Specimen Books präsentieren. Die Analyse anderer Specimen Books, die ich zum Inhalt des letzten Beitrages gemacht habe, diente nun als Grundlage für diese ersten Layouts: eine kurze Beschreibung der Schrift, eine Übersicht über alle in der Schrift vorhandenen Zeichen sowie Beispieltexte in unterschiedlichen Größen. Des Weiteren sollen anhand typografisch sehr unterschiedlich gestalteter Seiten die Möglichkeiten der Schrift gezeigt werden. Jedes Layout soll dabei trotzdem den Charakter der Schrift optimal in Szene setzen. Die Essenz der Schrift The Minimalist ist die Reduktion auf das Wesentliche: die simple Linie. Nahezu kein Kontrast in der Strichstärke und Formen, die aus der Symbiose von Kreis und Geraden entstehen zeichnen die Schrift aus. Die Schrift umfasst einen Schriftschnitt (Regular), der als Display Font Verwendung finden soll. Als solche vermittelt sie dem Layout einen minimalistischen Stil, sanft und luftig. Opulenz hat keinen Platz und soll es auch nicht haben. The Minimalist schafft Bühne für das Wort.
Analyse zweier Type Specimen als Grundlage zur Gestaltung eines Type Specimen Books für die Schrift The Minimalist.
Hat man eine Schrift gestaltet, die man auch für andere interessant machen möchte, kommt man nicht umhin, sogenannte Type Specimen zu gestalten – also Anschauungs- sowie Anwendungsbeispiele der Schrift. Diese schaffen einen Überblick über die Schrift, vermitteln ihren Charakter und die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten. Die Schrift The Minimalist, deren Entwicklung ich in den vorhergehenden Blogbeiträgen beleuchtet habe, soll nun mit einem Type Specimen Booklet präsentiert werden. Das finale Booklet wird erst in den kommenden Wochen fertig gestellt werden. Aus diesem Grund möchte ich in diesem und dem nächsten Blogbeitrag die Richtlinien eines Type Specimen Books näher beleuchten und erste Gestaltungen zeigen.
Type Specimen – Wovon ist die Rede?
Ein Type Specimen ist eine analoge oder digitale Publikation, die den Umfang einer Schrift und ihre Anwendung zeigt. Die Gestaltung von Schriftenbüchern zu ihrer Präsentation gehört seit jeher zum Handwerk von (Schrift-)Gestalter:innen. Früher wurden Type Specimen von Setzereien und Druckereien angefertigt, da Druckmedien direkt vor Ort gestaltet wurden. Heute werden Type Specimen entweder von den Type Designern selbst oder den Type Foundries, die sie vertreten, gestaltet. Früher galt es zu zeigen, welche Schriften eine Druckerei im Repertoire hatte. Somit umfassten die Schriftenbücher unterschiedliche kurze Texte, gedruckt mit den verfügbaren Lettern. Mit der digitalen Gestaltung von Publikationen nahmen Umfang und Ausdruck der Type Specimen zu. Heute zeigt man unterschiedliche, oft sehr experimentelle Gestaltungen mit derselben Schrift, um ihren Charakter zur Geltung kommen zu lassen und – wenn möglich – ihre vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten zu zeigen. Der Sinn eines Type Specimen ist jedoch derselbe geblieben: Schriftgestalter:innen möchten ihre Schrift zeigen, sie erklären und damit bewerben, um sie für Grafiker:innen interessant zu machen, die die Schrift kaufen und verwenden könnten. (Vgl. Lupton)
Beispiele von Type Specimen – Analyse zweier Schriftmusterbücher
Type Specimen können prägnant oder sehr umfangreich sein – je nachdem wie es die oder der Schriftgestalter:in. für notwendig erachtet. Anhand zweier Type Specimen, eines der Schrift Dahlia der Type Foundry vj-type des Designstudios Violaine et Jeremy und ein zweites der Schrift West von Daniel Perraudin, verfügbar über Fontwerk, möchte ich nachfolgend die unterschiedlichen Teile der Specimen analysieren. Die analysierten Strukturen sollen auch als Basis für das Type Specimen Book meiner Schrift The Minimalist dienen.
Analyse Type Specimen Dahlia
Das Specimen der Schrift Dahlia umfasst 34 Seiten. Die Schrift ist in drei verschiedenen Schnitten (Bold, Regular, Medium) verfügbar. Für jeden Schnitt wurden eigene Specimen-Seiten gestaltet. Dies scheint gerade bei Dahlia sinnvoll, da es sich um eine Display Font handelt, von der oftmals sicherlich nur ein Schnitt gekauft wird.
Nach dem Deckblatt, das die Glyphe a aus dem Regular-Schnitt zeigt, folgt ein kurzer Text über Entstehung, Charakter und Umfang der Schrift sowie die Möglichkeiten im Zuge der Open Type-Features. Nach zwei Seiten, die eine Gesamtübersicht über alle Glyphen eines Schnittes zeigt, folgen Schriftproben in unterschiedlichen Größen. Da es sich ausdrücklich um Display Fonts handelt, die sich für Headlines und kurze Texte eignen, zeigen auch die Schriftproben Texte in 80 pt, 40 pt und 20 pt. Die weiteren Seiten zeigen Gestaltungen mit den jeweiligen Schnitten Regular, Medium und Bold. Die Seiten zeigen oftmals Kombinationen aus Text und Illustration oder Fotografie. Dahlia wird als eine Schrift beschrieben, die von der Natur – vor allem von Pflanzen – inspiriert ist. Aus diesem Grund zeigen auch die Illustrationen und Fotos Pflanzen und Blumen. Alles dient der Betonung des Charakters der Schrift. Da es sich um Display Fonts handelt, die in ihrer Form sehr grazil und exzentrisch sind, macht dies durchaus Sinn: Die Gestaltungen zeigen, für welche Art von Design sich Dahlia eignet. Sie ist eine Schrift, die nicht überall und immer einsetzbar ist. Dem trägt auch das Specimen Rechnung. Abschließend folgen noch Seiten mit Einzelworten, die unterschiedliche Buchstabenkombinationen zeigen. Auch hier wird der Rhythmus der Schrift deutlich zur Geltung gebracht.
Zusammenfassend besteht das Type Specimen von Dahlia also aus folgenden Teilen:
1 Deckblatt
2 Beschreibung der Schrift (Stil, Umfang, Open Type Features)
3 Übersicht der Glyphen
4 Schriftproben in unterschiedlichen Größen
5 Gestaltungen mit Illustrationen und Fotos6 Einzelwörter (Buchstabenkonbinationen)
Analyse Type Specimen West
Das Specimen der Schrift West umfasst 18 Seiten. Auf das Deckblatt folgt ein Informationsblatt mit allen Angaben zu den beteiligten Personen: Daniel Perraudin als Schriftgestalter sowie die Teammitglieder der Type Foundry Fontwerk, über die West vertrieben wird. Bereits dieses Informationsblatt ist vollkommen in der West gesetzt. Somit zeigt bereits das zweite Blatt des Specimen, dass die Schrift von Headline bis Fließtext vielseitig einsetzbar ist.
West umfasst insgesamt neun Schnitte von Hairline bis Black und die jeweilige Kursive dazu, also insgesamt 18 Fonts. Zwei Seiten zeigen Worte, die in den unterschiedlichen Schnitten gesetzt wurden, ergänzt um jeweils ein Foto eines modernistischen Industriegebäudes. Die Fotos verweisen auf den Charakter der Schrift, der im Specimen selbst als „a compelling mix of conciseness and pragmatism“ beschrieben wird. Pragmatik und Prägnanz zeichnen auch den Modernismus in der Architektur aus, womit der Einsatz der Fotografie – wie beim Specimen von Dahlia – der Präsentation des Schriftstils dient. Die darauffolgenden Seiten bestehen aus unterschiedlichen Kompositionen an Wörtern, die in verschiedenen Schnitten und Stilen (normal oder kursiv) gesetzt sind. Die Kompositionen sind klar darauf ausgelegt, die Vielfalt und Flexibilität von West zeigen. Im Gegensatz zu Dahlia, einer exzentrischen Display Schrift, die um Aufmerksamkeit wirbt, ist West eine Grotesk mit eindeutigem, aber unaufdringlichem Charakter, die sich vielseitig einsetzen lässt.
Der Großteil der Seiten ist der Präsentation dieser Vielseitigkeit gewidmet. Auf eine Gesamtübersicht über alle Schnitte und Stile folgen Gestaltungen mit Kombinationen aus Hairline und Bold/Black, die die Harmonie innerhalb der Schrift zeigen. Während sich bei Dahlia der Einsatz einer einzelnen Font anbietet, macht bei West vor allem die Kombination von Schnitten die Attraktivität der Schrift aus. Analog dazu steht auch im Specimen selbst ausdrücklich:The range of West is also something rather special in the geometric genre: nine font weights ranging from Hairline to Black, matching italics as well as variable fonts that are all included in the Complete Package, giving the user full flexibility, which is perfect for branding and editorial projects.
Wie sehr sich West für Editorial Design anbietet, soll auch durch eine Seite ersichtlich werden, die den Aufbau eines Artikel mit Titel, Untertitel und Bodytext in unterschiedlichen Größen zeigt – alles gesetzt in unterschiedlichen Schnitten der West.
Eine Liste der unterstützten Sprachen und eine Übersicht über alle Glyphen sowie Stylistic Sets (Open Type Features) folgen. Den Abschluss macht ein Text über die Entwicklung der West, den Einfluss der geometrischen Tradition von Dreieck, Quadrat und Kreis und Wests Unabhängigkeit von eben dieser durch gezielte Designentscheidungen des Schriftgestalters Daniel Perraudin. Eine weitere Seite widmet sich dem Designer selbst, seinem Werdegang und seiner Expertise in typografischen Projekten.
Zusammenfassend besteht das Type Specimen von West also aus folgenden Teilen:
1 Deckblatt
2 Informationsblatt
3 Einzelwörter (Buchstabenkombinationen), ergänzt im Fotos
4 Übersicht über alle Schnitte und Stile
5 Kombination der Schnitte
6 Präsentation eines Editorial-Aufbaus
7 Sprachen
8 Übersicht aller Glyphen
9 Übersicht aller Stylistic Sets
10 Beschreibung der Schrift (Entwicklung und Charakter)
11 Kurztext zum Schriftgestalter
Fazit
Die Analyse der beiden Type Specimen war eine wichtige Recherchearbeit für die Entwicklung des Type Specimen meiner Schrift The Minimalist. Die beiden Unterlagen zeigen wie unterschiedlich Specimen ausfallen können, gerade auch in Gegenüberstellung einer reinen Display Schrift und einer universell einsetzbaren Grotesk. Trotz unterschiedlichem Stil und anderem inhaltlichen Aufbau, ähneln sich die Specimen hinsichtlich bestimmter Präsentationsweisen: Auf eine Übersicht der Glyphen und unterschiedlichen Schnitte/Stile, eine Beschreibung der Schrift und Gestaltungen mit einzelnen Worten oder Absätzen, um Stil und Rhythmus der Schrift zu zeigen, darf nicht verzichtet werden. Was im Falle von Dahlia überraschend, aber für mich hinsichtlich The Minimalist sehr bereichernd war, war die Deutlichkeit, in der das Specimen den Charakter der Schrift vermittelt hat. Der Schriftgestalter Jeremy Schneider hat Dahlia in ihrer Formensprache einen sehr besonderen Charakter verliehen, den er auch in ihrer Anwendung bei anderen Grafiker:innen sehen möchte. Dahlia bringt immer einen Hauch von exzentrischer Eleganz und Verspieltheit mit. Soll ein Design dies kommunizieren, ist Dahlia die Schrift der Wahl. Dies wird durch das Specimen sehr gut vermittelt – eine Lehre, die mir auch in der Gestaltung meines Type Specimen Books helfen wird.
Nun ist die Schrift The Minimalist soweit ausgestaltet, um deutsche und englische Texte setzen zu können. Sie verfügt über Versalien und Gemeine des lateinischen Alphabets, über die deutschen Umlaute und das scharfe ß, den Zahlensatz von 0 bis 9 sowie die Basis der notwendigen Interpunktionszeichen.
Gedanken zur Gestaltung
Das geometrische System, das der Schrift zugrunde liegt, besteht aus Rechtecken sowie Kreisen, Halb- oder Viertelkreisen mit bestimmten Breiten. Mit diesen Formen ließ sich der Großteil der Buchstaben problemlos und kohärent zeichnen. Herausforderungen waren zuerst alle Buchstaben, die eine Diagonale aufweisen – doch auch hier wurden für A, W und Y Lösungen gefunden, die mit Rechtecken und Kreisausschnitten funktionieren. Diagonalen wurden deshalb tatsächlich nur für Z und V benötigt. Diese wurden in Relation an die Strichstärke von Geraden und Kreisen angepasst. Neben den Diagonalen bricht auch das S aus dem geometrischen Baukastensystem aus. Hier wurde der Radius des Kreises zwar für die Form der versalen S-Bögen verwendet, jedoch der Schwung frei gezeichnet. Dass V, Z und S das starre System brechen, tut der Schrift jedoch gut – es belebt sie. Für A und H gibt es jeweils zwei unterschiedliche Balkenhöhen, für F, E, L und P jeweils eine eckige Variante als Basis und eine runde Variante als Open-Type-Feature.
Das Spacing
Buchstaben zu zeichnen ist bei der Schriftgestaltung nur die halbe Miete. Schon während der Gestaltung sollte an das Spacing gedacht und ansatzweise passende Werte eingetragen werden. „Spacing“ bezeichnet den Abstand zwischen den einzelnen Glyphen. Hierfür legt man einen bestimmten Abstand jeweils vor und nach dem Zeichen fest. D.h. der Abstand, der auf ein Zeichen folgt, ergibt zusammen mit dem Abstand vor dem nächsten Zeichen den Gesamtabstand. Um die richtigen Werte für das Spacing zu finden, geht man zunächst bei den Versalien von H und O aus. H steht stellvertretend für alle geraden Buchstaben, O für alle runden. Wichtig ist hier, dass die Schrift immer denselben Grauwert aufweist. Egal, ob Geraden aufeinander folgen oder Rundungen oder diese sich abwechseln. Zudem verträgt eine geometrische Hairline-Schrift wie The Minimalist auch einen größeren Zeichenabstand. Sie darf ruhig luftig sein. Hat man für H und O optimale Abstände gefunden, kann man diese auf die anderen Buchstaben übertragen. Beispiel: Bei einem D wird das Spacing des H für die linke Seite übernommen und das Spacing des O für die rechte Seite. Auch hier gibt es natürlich wieder Ausnahmen: Offene Buchstaben wie C, T oder S müssen jeweils in Relation zu den anderen eigens gespaced werden. Am besten übernimmt man jedoch die festgelegten Werte zunächst für alle Buchstaben und arbeitet dann direkt im Textmodus von Glyphs, gibt unterschiedliche Buchstabenkombination ein und passt die Werte wiederum durch Doppelklick auf ein Zeichen an. Die zuvor beschriebene Vorgangsweise wendet man nicht nur bei den Versalien an, sondern auch bei den Gemeinen. Auch hier sucht man sich zwei Buchstaben, die stellvertretend für gerade und runde Formen stehen und deren Spacing gut auf andere übertragen werden kann. In der Folge muss auch das Spacing für die Zahlen und die Interpunktionszeichen vorgenommen werden. Da The Minimalist über relativ „runde“ Geraden und relativ „gerade“ Rundungen verfügt, weichen die Spacingwerte gar nicht so sehr voneinander ab. Es fanden sich relativ schnell stimmige Werte sowohl für die einzelnen Buchstaben und Zahlen als auch die Interpunktionszeichen. Ein Glück, denn Spacing kann durchaus einen langen Atem benötigen!
Beim Spacing geht man in der Regel von zwei Buchstaben aus, die für die Gruppe der geraden und jene der runden exemplarisch sind. Bei den Versalien sind das H und O.
Der Charakter von „The Minimalist”
Die Schrift hat zugleich harmonische und exzentrische Züge. Sie ist eine Display-Font, die in großen Größen ab circa 20 Punkt verwendet werden sollte, da sie bei Fließtexten in kleineren Schriftgrößen schwer lesbar ist. Inspiriert ist die Schrift natürlich zunächst vom ausgehenden Signage, das im vorhergehenden Blogbeitrag gezeigt wurde. Ihr Charakter soll aber auch Eleganz und Simplizität vereinen – wie es Coco Chanel tat. Dieser Vergleich mag anmaßend klingen, soll es aber nicht. The Minimalist versucht nicht, sich an den Großen da draußen zu messen. Ganz im Gegenteil: Die Schrift ist eine Hommage an die Inspiration und das Sich-Ausprobieren. Hätte sich Gabrielle Chanel nicht am Schneidern versucht, wäre sie niemals als Coco in die Geschichte eingegangen. Chanel war eine Rebellin, die zu dem stand, was sie war und vor allem, was sie sein wollte. The Minimalist soll genau dieses Gefühl vermitteln: Es geht nicht darum, sich im Opulenten zu wälzen, sich üppig zu schmücken, sondern vielmehr sich auf das Essentielle zu beschränken. Die Qualität über die Quantität stellen und dabei das Schöne am Wenigen – am Minimalistischen – erkennen. Die langen Geraden des Lebens wollen mit den vielen Rundungen, ob hoch oder tief, verbunden werden. Auf Chichi wird gerne verzichtet. Manchmal fällt man, wie das s, dabei auch aus der Reihe. Aber auch das ist völlig okay.
The Minimalist ist auch eine Hommage an Gabrielle Chanel, die Eleganz und Simplizität zu vereinen vermochte. Wenn nur die Linie bleibt, kann das auch aussehen wie diese Schrift: The Minimalist.
Wie im vorherigen Beitrag beschrieben, widmet sich dieses Type Design-Experiment der Gestaltung einer Schrift auf Basis eines bestehenden Schriftzugs, dessen Ursprung jedoch unbekannt ist. In diesem Beitrag möchte ich die Vorgehensweise der Gestaltung der ersten Buchstaben beleuchten.
Gemeinsame Formen erkennen und nachzeichnen
Zuerst habe ich das Bild auf einer Illustrator-Zeichenfläche platziert und die Formen nachgezogen (siehe Abb. 1). Da die Buchstaben aus einfachen Geraden und regelmäßigen Bögen bestehen, versuchte ich, alle Lettern des Wortes „lyric“ mit einem Rechteck bzw. Halbkreis nachzuzeichnen. Diese beiden Formen zog ich dann als Basis für alle weiteren Formen heran. Dass die Schrift eine Hairline werden sollte, ergab sich natürlich aus dem bestehenden Schriftzug.
Abb. 1 // Formen im Illustrator
Um ein Gespür für die angedachte Formensprache zu entwickeln, wechselte ich die digitale Software gegen Bleistift und Papier und fing an, Buchstaben zu skizzieren – soweit wie möglich immer aus Geraden in 90°-Winkeln und Bögen bestehend (siehe Abb.2 und Abb. 3). Für den Großteil der Versalien sowie Gemeinen funktionierte dieser Ansatz überraschend gut, sodass bald viele Buchstaben des Alphabets ihre Form erhielten. Als schwierig entpuppten sich vor allem jene Buchstaben, die Diagonalen enthielten – X, Y, W, Z – sowie auch S und K, jeweils als Groß- und Kleinbuchstaben, da diese das grafische System sprengten und nach alternativen Formen verlangten, die mit den bereits bestehenden trotzdem harmonierten. Als die Skizzen für Versalien und Gemeine soweit standen, wechselte ich wieder an den Laptop, in die Type Design-Software Glyphs.
Abb. 2 // Erste Skizzen des Alphabets mit Bleistift und Papier
Erste Buchstaben in Glyphs
Da die Glyphen in Glyphs auf quadratischen Zeichenflächen von 1000px x 1000px angelegt werden, hatte ich auch die Zeichenflächen im Illustrator bereits in diesen Größen festgelegt. So musste ich die Formen, die ich zunächst im Illustrator gezeichnet hatte, in Glyphs nicht mehr skalieren. Die Klein- und Großbuchstaben waren in Glyphs bereits angelegt. So kopierte ich jeweils die Formen für l, y, r, i und c in die dafür vorgesehenen Felder. Ich startete mit dem l, bestehend aus einem Rechteck und einem Halbkreis. Ich schob die Formen dabei lediglich ineinander und wandelte sie nicht in eine durchgehende Form um. Dies ermöglichte mir die weitere flexible Verwendung der beiden Formen für alle anderen Buchstaben. Obwohl es sich in diesem Fall um eine Grotesk handelt, beschloss ich, die Oberlänge der Gemeinen höher zu setzen als die Höhe der Versalien – eigentlich etwas, das vor allem bei Serifenschriften der Fall ist. Bei Sans Serif-Schriften kann darauf verzichtet werden. Da meine Schrift aber einem sehr strikten grafischen System zugrunde liegt, wollte ich bewusst Akzente setzen, die für Lebendigkeit im Schriftbild sorgen.
Schritt für Schritt zeichnete ich mit den Formen die weiteren Buchstaben des Wortes „lyric“ und legte bereits an dieser Stelle für alle Buchstaben ein Spacing fest, das in etwa passen konnte (siehe Abb.3 bis Abb. 8). Auch wenn es an dieser Stelle noch nicht möglich war, ein finales Spacing vorzunehmen, war es mir wichtig, bereits hier für einen Rhythmus zwischen den Buchstaben zu sorgen, der die Luftigkeit der entstehenden Hairline-Schrift spiegelte. Kontrollieren konnte ich dies durch das Text-Werkzeug in Glyphs, mit dem man sogleich die ersten gezeichneten Buchstaben tippen und gegebenenfalls auch im Vergleich zu den anderen Buchstaben Korrekturen an den Glyphen vornehmen kann. Welche genauen Werte für das Spacing notwendig sein würden, konnte ich jedoch erst auf Basis mehrerer Buchstaben feststellen.
Abb.3 bis Abb. 8 // Die ersten Buchstaben der Hairline-Schrift in Glyphs
Weitere Schritte
Bis zum nächsten Beitrag möchte ich alle Versalien sowie Gemeinen, Umlaute und teilweise Interpunktionen gezeichnet haben und diese präsentieren. Im Zuge dessen werde ich auch das Spacing vornehmen – und je nach Bedarf das Kerning gewisser Buchstabenpaare.
Auf Basis einer Wortmarke soll eine gesamte Schrift entstehen
Mit meinem letzten Blogbeitrag habe ich den aktuellen Zeichensatz meines ersten Type Design-Experiments vorgestellt – der Variable Font „Play“. Auch wenn für „Play“ noch viel Muse und Zeit aufgebracht werden müsste, um daraus eine wirklich solide Variable Font zu machen, habe ich beschlossen, dieses erste Experiment vorerst abzuschließen, da ich noch weiter in der Schriftgestaltung experimentieren möchte.
Ausgangspunkt zum zweiten Experiment
Als zweites Type-Experiment möchte ich eine weitere, dieses Mal jedoch statische Schrift gestalten. Unter der Anleitung des Lehrbeauftragten der FH Joanneum Daniel Perraudin habe ich mich auf die Suche nach Straßenschildern in Graz sowie einzelnen Wortabbildungen im World Wide Web begeben, die mich zur Gestaltung einer Schrift inspirieren würden. Die Idee dabei ist, nur ein Wort, bestehend aus wenigen Buchstaben, zu finden, die wiederum die Grundlage für eine gesamte neue Schrift bilden. Im besten Fall sollte es sich dabei um Custom Logos, also speziell gezeichnete Wortmarken, handeln, damit die daraus entstehende Schrift neue Züge aufweist und keine Kopie einer bereits bestehenden Schrift wird. Natürlich ist es schwierig, eine völlig neue Schrift zu gestalten, die sich von der bestehenden Fülle an Schriften völlig abhebt. Dies ist hier auch nicht der vorrangige Anspruch. Vielmehr geht es in diesem Projekt darum, sich mit der Form einiger weniger gegebener Buchstaben eingehend zu befassen, diese zu analysieren und ihren gemeinsamen Charakter herauszufiltern. Von diesen inhärenten Merkmalen ausgehend bzw. ableitend, sollen dann alle fehlenden Zeichen des Alphabets (Versalien und Gemeine) sowie auch Interpunktionszeichen und Zahlen gezeichnet werden.
Herausforderungen des Projekts
Die größte Herausforderung liegt im Herausfiltern der Eigenschaften und der Ableitung signifikanter Merkmale für ein grafisches System, das auf den restlichen Zeichensatz anzuwenden ist. In der Gestaltung einer Schrift geht es nicht nur um das Zeichnen einzelner Buchstaben, sondern vor allem auch um ihre Verwandtschaftsbeziehung. Höhen und Breiten, Rundungen und Stämme stimmen zwischen Buchstaben ähnlicher Form überein, damit die Schrift als einheitlich wahrgenommen wird. Darüber hinaus gilt es auch für das Spacing der Buchstaben sowie das Kerning einzelner Buchstabenpaare eine Einheitlichkeit zu finden, die den Satz homogen wirken lässt. Um diese Homogenität möglichst effizient zu erzielen, startet man in der Regel mit der Gestaltung jener Buchstaben, aus denen möglichst viel abzuleiten ist: dem kleinen n für die Gemeinen (x-Höhe, Kontrast und Bogenrundung) sowie H und O für die Versalien (Stamm bzw. Bogenrundung und dessen Übertretung der Grundlinie und Versalhöhe). (Vgl. Grabner: 2018, 30–41) Da im vorliegenden Projekt bereits Buchstaben gegeben sind, gilt es nun umgekehrt von diesen ausgehend einzelne Details abzuleiten und wiederum eine konstante Linie zu entwickeln.
Vorlage für die Schriftentwicklung
Nachfolgend zeige ich die Abbildung, die als Grundlage für die Schrift dienen wird.
Abb.1 Eine Wortmarke an einer Mauer als Basis für eine neue Schrift
Das Bild zeigt ein Logo als Signage an einer Betonmauer und stammt aus dem Internet. Es handelt sich dabei um eine sehr reduzierte Groteskschrift. Die Einfachheit der Schrift sagt dabei jedoch wenig bis nichts über die Schwierigkeit der Schriftgestaltung aus. Groteskschriften mögen einfacher in ihrer Form scheinen als Serifen-Schriften, jedoch verzeiht die Gestaltung keine Makel:
„Schriftgestalter bemerken schnell, dass sich die Fehlertoleranz bei diesen Schriften jedoch verringert. Wo das menschliche Auge nicht durch Details wie Serifen geleitet wird, fällt der kleinste Fehler in der Proportion, im Grauwert oder in der Balance sofort ins Gewicht und wird wahrgenommen.“ schreibt Valentina Grabner (2018:31) in ihrer Masterarbeit zur Entwicklung ihrer Schrift Diva Olivia. Oder kurz: „Schlichte Eleganz macht die meiste Arbeit.“ so Karen Cheng (2014:114).
Warum gerade diese Wortmarke?
Zugegeben: Es gäbe in Graz eine Vielzahl an alten Wortmarken an Hausfassaden, Tür- oder Geschäftseingängen, die ebenso gut Ausgangspunkt dieses Projektes sein hätten können. Warum also ein Bild aus dem Internet? Ich wollte schlicht nicht „irgendein“ Logo heranziehen, sondern eine Wortmarke, die ich selbst als überaus ansprechend und ästhetisch empfinde. Viele der alten Wortmarken, die ich auf einem Spaziergang durch Graz fand, waren üppig gestaltet, laut und schrill oder mit Schnörkel verziert. Mich selbst zieht es jedoch immer zur reduzierten Gestaltung. Ich stelle mir oft die Frage: Was kann meine Gestaltung noch entbehren? Was braucht sie eigentlich nicht, um trotzdem vollends das zu kommunizieren, was sie soll? Ganz im Sinne von Antoine de Saint-Exupéry, der sagte: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ Was der Schriftsteller in seinen nur 44 Lebensjahren erkannte, ist zu einer leitenden Denke vieler heutiger Designer:innen geworden. Dem Maximalismus steht der Minimalismus gegenüber, der Reduktion und Simplizität zu seinem Leitbild erklärt hat.
Der Designer Ken’ya Hara strebt mit seinem Gestaltungsansatz über diesen westlichen Minimalismus noch hinaus und folgt dem japanischen Konzept des „kanso“: „[Japanese Design is]fundamentally different from the European version of simplicity because Japanese minimalist design was not the result of pursuing the most rational, functional design.“, so Hara. Er führt weiter aus: “For the Japanese, it was a conscious, strategic materialization of nothing-ness. It was a careful process of eliminating each and every excessive frill in order to create an empty vessel, at once a vacuum but with a powerful center of gravity, toward which people’s consciousness and creativity would be drawn.” Er nennt diese Art des Gestaltens aus diesem Grund nicht Minimalismus, sondern „kanso“, was auf Japanisch so viel bedeutet wie „keine Rüschen, einfach und rein„ oder emptiness“, also Leere.
Haras Vorstellung geht dabei weit über die erleichternde Reduktion auf das Wesentliche hinaus. Er bringt sein Konzept mit einem ökonomischen Vorteil in Verbindung, der die Zukunft maßgeblich beeinflussen soll:
He [Ken’ya Hara ] believes that locally unique aesthetics such as [the Japanese] “emptiness” can be critical economic resources to elevate our future beyond today’s materialistic society created by the globalized economy. He reminds us that “aesthetics” – our own ability to find beauty, excellence and happiness through our own senses and behaviors – has always been the third “hidden” button, after natural resources and resources, that we push to advance technology and quality of life, especially in Japan. We just forgot the importance of aesthetics as we busied ourselves in the game of economic efficiency. Now it is time to shift our focus towards aesthetics, suggests Hara, now that the ROI of efficiency-driven economic system is rapidly diminishing and our world is starting to suffer from its side effects such as resource constraints and climate change. Hara believes that by letting our world compete based on aesthetics, not the GDP, we could re-define affluence and happiness. (vgl. Fuji: 2017)
Hara propagiert also einen Paradigmenwechsel. Nach der Ausbeutung natürlicher und vom Menschen erzeugter Ressourcen zum Zwecke des technologischen Fortschritts sollen nun lokale Ästhetik-Konzepte wie das japanische „Kanso“ genützt werden. Nicht durch ein Immer-mehr, Immer-größer, Immer-schneller, sondern durch ein System des wertschätzenden Wettbewerbs ästhetischer Konzepte könnten nachhaltiges Glück und nachhaltiger Reichtum erreicht werden.
Geprägt von Haras Gedanken hat sich meine Suche nach einer geeigneten Wortmarke als Basis für eine Schrift sehr an feinen Formen und Linien orientiert, die Buchstaben nur soweit zeichnen wie es nötig zu sein scheint. Ich frage mich: Mit wie wenigen Strichen kann eine Schrift auskommen und trotzdem spannend bleiben? Jedenfalls möchte ich meiner Schrift Raum zum Atmen und Spielraum für Interpretation geben. Während sich andere Schriften vielleicht an den gestalterischen Merkmalen vergangener Kunstepochen orientieren oder ein ganz bestimmtes Gefühl erzeugen sollen, möchte ich meiner Schrift möglichst viel „Leere“ schenken. Ihre Herkunft und ihr Charakter sollen nicht in, sondern zwischen den Zeilen gelesen werden.
Quellenverzeichnis
Cheng, Karen. Anatomie der Buchstaben. Basiswissen für Schriftgestalter. 2. Auflage. Mainz: Verlag Hermann Schmidt, 2013
Fuji, Mihoyo. Kenya Hara and the aesthetics of “emptiness” [online]. 17.02.2007. In: zero = abundance. design your own happiness. Letzter Zugriff am 24.04.2022. Verfügbar über: https://www.interactiongreen.com/kenya-hara/
Grabner, Valentina. Diva Olivia. Ein Werk über eine Schrift, welche die Theorie sucht und scharfsinnig, elegant in die Welt hinausruft, unv. MA. Fachhochschule Joanneum, 2018.
Abb.1: Eine Wortmarke an einer Mauer als Basis für eine neue Schrift. Quelle: Pinterest / Urheber anonym
Manchmal geht es einfach darum zu spielen – auch als Grafiker:innen. Gamification hat längst Einzug in unsere Arbeitswelt gehalten und der Tischfußballtisch zählt für viele ohnehin zum Basisinventar eines Büros. Darum freue ich mich, den heutigen Blogpost einer Schrift widmen zu können, die aus reinem Spiel entstanden ist.
Aus der anfänglichen Frage, ob eine Variable Font zwischen einer Grotesk und einer tatsächlich handgeschriebenen Script interpolieren kann, entstand in den letzten Wochen eine Schriftdatei mit zumindest 48 Zeichen:
26 Großbuchstaben des lateinischen Alphabets
3 Umlaute (Ö, Ä, Ü)
10 Ziffern von 0 bis 9
8 Interpunktionszeichen
1 Ligatur (TT)
Passend zur spielerischen Entstehungsgeschichte trägt meine erste Schrift den Namen: PLAY. Die Achse interpoliert zwischen den Extremen „Strict“ und „Playful“. Die Anfänge und Fortschritte dieses Typo-Experiments wurden bereits im vorangegangenen Beitrag beschrieben – nun möchte ich dieses kleine Projekt in Form von einigen Anwendungen präsentieren. Dabei ist mir wichtig zu zeigen, dass man mit dieser einen Schrift ganz unterschiedliche Stimmungen erzeugen und in einem Poster kontrastieren kann. Kontrast ist dabei das Stichwort: Alle Poster wurden mit „Play“ gesetzt, die kontrastreichen Schnitte immer anhand der Interpolationsachse erzeugt. Dabei scheinen einige der Glyphen bewusst unperfekt, mit unregelmäßigem Spacing je mehr „playful“ es wird – genau wie die menschliche Handschrift selbst. Andere Glyphen verdienten noch eine weitere detailliertere Bearbeitung, weshalb ich dieses Projekt nur vorübergehend als abgeschlossen betrachte. Sobald es Zeit und Muse zulassen, möchte ich weiter an diesem Schriftsatz arbeiten. Zum derzeitigen Stand geht es aber vielmehr um das typografische Experiment und das Spiel – und das macht bereits jetzt schon großen Spaß. In diesem Sinne: Don’t forget to play!
Im ersten Semester habe ich mich eingehend mit Grundlagen der Typografie beschäftigt. Im zweiten Semester geht es nun ans Experimentieren. So unzählig die Schriften am Markt sind, so vielfältig sind natürlich auch die Möglichkeiten, welche Experimente man mit Typografie anstellen könnte. Da mich nicht nur das Setzen von Schrift interessiert, sondern auch die Gestaltung von Schrift per se, habe ich beschlossen, mich weiter ins Type Design vorzuwagen.
Erste Schritte in der Schriftgestaltung: Eine Variable Font, die zwischen Grotesk und Script interpoliert.
Basiswissen Schriftgestaltung
Was mir bei meinem Plan in die Hände spielt, ist ein Lehrveranstaltung zu Type Design am Ende des letzten Semesters. Wir machten unsere ersten Schritte in Glyphs, einem Font Editor, und beschäftigten uns näher mit der Gestaltung variabler Schriften. Dabei stand vielmehr der Versuch im Fokus als das Ergebnis. Soll heißen: Es ging darum, die Software kennenzulernen, zu verstehen, wie zwischen zwei Schriftmastern interpoliert wird und welche ernsthaften, aber auch witzigen, absurden, kecken oder überraschenden Ergebnisse erzielt werden können. Dazu sollten wir uns überlegen, welche beiden Master wird heranziehen möchten. Mit „Master“ sind in Glyphs die beiden Pole oder Extreme gemeint, zwischen denen sich die Buchstaben formal bewegen lassen. Bei einer Variable Font müssen beide Master gestaltet werden und alle möglichen Formen dazwischen entstehen durch die Verwandlung von einer Buchstabenform in die andere (Interpolierung).
Erste Erfahrungen mit Gylphs und einer Variable Font
Ich mag zu einer aussterbenden Rasse gehören, wenn ich sage: Ich schreibe sehr gerne mit der Hand. Das liegt wohl daran, dass Handschrift immer persönlich wirkt – sei sie nun „ästhetisch“ oder nicht. Tatsächlich ist es mehr ein Gekrakel oder Gekritzle, das ich im Zusammenspiel mit sehr nüchternen Grotesken oft charmant finde. Kalligraphie – also die Kunst des schönen Schreibens – liegt mehr eher fern. So beschloss ich Buchstaben einer Variable Font zu gestalten, die sich zwischen diesen beiden Extremen bewegten: einer Grotesk und einer gekritzelten Handschrift. Ich wollte ausprobieren, wie Buchstaben aussehen würde, die sich irgendwo in der weiten Welt zwischen strenger Sans Serif und spielerischer Script aufhielten und ob nicht auch innerhalb dieses Spielraums ansprechende Formen entstehen konnten.
Prozedere der Gestaltung
Zuerst schrieb ich einige Male das Alphabet in Großbuchstaben auf ein Blatt Papier, digitalisierte jene Varianten, die mir gefielen und schliff sie im Illustrator fein. (Abb. 1) Aus Zeit- und Erfahrungsgründen wählte ich eine Grotesk, die als Grundlage für meinen Master dienen sollte – die Suisse Int’l. Bei der Vorbereitung im Illustrator war wichtig, dass die Buchstaben beider Master immer dieselbe Anzahl an Ankerpunkten aufwiesen, damit bei der Interpolierung keine Fehler auftreten konnten. Bei der Interpolierung einer Variable Font bewegen sich nämlich die einzelnen Punkte von A nach B. Existiert nun im Buchstaben des Master A ein Punkt, den es im Master B nicht mehr gibt, weiß das System nicht, wohin der Punkt transferiert werden soll.
Abb. 1 – Vorlage in Illustrator
In Glyphs legte ich nun zwei Master an – einen für den Grotesk-Pol und einen für den Handschrift-Pol. Danach kopierte ich die einzelnen handschriftlichen Buchstaben aus Illustrator in Glyphs und fügte sie jeweils in beide Master ein. Bis auf einzelne Feinschliffe konnte ich die Handschrift-Buchstaben so belassen, wie sie in Illustrator entstanden waren. Ich musste sie nur so auf die Grundlinie setzen, dass eine typische handschriftliche (und damit gewollte) Unebenheit im Satz entstand, und das Spacing anpassen (Abb. 2–4). Die größte Arbeit ging also im Grotesk-Master vonstatten: Ich hatte zuerst grob auf einem Blatt Papier skizziert, wo die einzelnen Ankerpunkte in den jeweiligen Buchstabenvarianten saßen – also wo sie in der Handschrift-Version positioniert waren und wo in der Grotesk (Abb. 5-6).
Abb. 2 – Anpassung der handschriftlichen Lettern Abb. 5–6 – Skizze für Verteilung der Ankerpunkte
Mit dieser Skizze bearbeitete ich jeden Buchstaben im Grotesk-Master in Glyphs und setze die Ankerpunkte der zunächst noch handschriftlichen Zeichen an jene Stelle, sodass der Grotesk-Buchstabe entstand (Abb. 7–8). Als Anhaltspunkt kopierte ich mir die jeweiligen Buchstaben der Suisse Int’l in den Hintergrund, damit die Form auch wirklich passte (Abb. 9). Zug um Zug entstand so das Großbuchstaben-Alphabet meiner ersten Variable Font.
Abb. 7–8 – Die Ankerpunkte des handschriftlichen Buchstaben (links) wurden zum Grotesk-Buchstaben angeordnet. Dabei verschwand, zum Beispiel, der i-Punkt völlig im Stamm. Abb. 9 – Die Buchstaben der Suisse Int’l galten als Vorlage für den Grotesk-Master und lieferten im Hintergrund die Anhaltspunkte, wo die jeweiligen Ankerpunkte platziert werden mussten.
Das Minimum einer Schrift?
Vom Ehrgeiz gepackt, wollte ich nicht nach ein paar Buchstaben aufhören – auch wenn unsere Lehrveranstaltung bereits zu Ende war. So gestaltete ich weiter bis ich alle 26 Buchstaben des Alphabets hatte (Abb. 10–11). Um die Schrift auch wirklich verwenden zu können, mussten jedoch noch einige Interpunktionszeichen her, die ich nach dem gleichen Schema zuerst per Hand schrieb, digitalisierte, in Illustrator bearbeitete und schlussendlich in Glyphs in zwei Mastervarianten verwandelte (Abb. 12).
Abb. 10–11 – Hier sind die jeweils 26 Buchstaben der beiden Master der Variable Font zu sehen.
Abb. 12 – Um die Schrift wirklich verwenden zu können, bedarf es zumindest einem Minimum an Interpunktionszeichen.
Fazit und Ausblick
Da ich selbst hauptsächlich auf Deutsch und Englisch schreibe, möchte ich nun noch die Umlaute des Deutschen als Großbuchstaben zeichnen sowie einige Glyphen feinschleifen und damit dieses erste Schrift-Experiment abschließen. Ich freue mich, die (vorübergehend?) finale Schrift im nächsten Blogbeitrag präsentieren zu können. Und wer weiß? Vielleicht küsst mich die Muse noch für weitere Glyphen und die fehlenden Kleinbuchstaben. Die Lehrveranstaltung im letzten Semester sowie das weitere Ausprobieren im Type Design hat jedenfalls bereits großen Spaß gemacht. Ich war und bin fasziniert, wie toll sich das Erschaffen einer eigenen Schrift anfühlt. Für mich ist es eine neue Form und weitere Dimension des „Formgebens“. So wähle ich nicht nur eine passende Schrift, die bereits existiert und gestalte damit einen Text typografisch, sondern erschaffe Buchstaben-Formen, die in dieser Art und Weise noch nicht bestanden, mit ihrer Entwicklung jedoch reproduzierbar werden.
Nach Abschluss dieser ersten Schritte, möchte ich mich in diesem Semester einem neuen Experiment der Schriftgestaltung widmen – eventuell wieder in Form einer Variable Font, jedoch mit zwei experimentelleren Mastern. Um eine finale Entscheidung zu treffen, wie das Experiment inhaltlich aussehen soll, möchte ich den Start einer weiteren Type Design-Lehrveranstaltung abwarten, die ich zusätzlich für Design & Research 2 besuchen werden. Die Lehrveranstaltung widmet sich wiederum den Grundlagen der Schriftgestaltung und liefert mir sicherlich weiteren Input, welche Versuche ungewöhnlich, überraschend und/oder spannend wären. In diesem Sinne: Experiment to be continued …
Typografie ist mehr als das simple Darstellen von Texten, weshalb Schriften nicht alleine aus einem ästhetischen Bestreben heraus entstehen sollten. Jede Schrift sollte einen Charakter haben, der nicht versucht nachzuahmen was bereits existiert, sondern einen Mehrwert im bereits existierenden Schriftenpool darstellen. Schriftwahl und typografischer Satz unterstreichen die Botschaft eines Textes oder – falls gewollt – stellen diese auf die Probe. Ein Type Designer, dessen Schriften stark politisch aufgeladen sind, ist Tré Seals. Durch seine Arbeit wurde mir als Grafikerin klar, wie uniform viele der heutigen Designs sind und wie viel Typografie, die bewusst historisch, politisch oder gesellschaftskritisch aufgeladen ist, bewirken kann. Schrift ist ein Bedeutungsträger, der Leser:innen auf Unbedachtes oder Unbeachtetes aufmerksam machen kann. Es gibt wohl zu viele Schriften, die nur gefallen wollen oder sich zum Verwechseln ähnlich sehen – und eben wesentlich zu wenige, die eine Form-inhärente Botschaft tragen und sich dadurch von der Masse abheben.
Inwiefern Schriften selbst zum Bedeutungsträger werden können, möchte ich anhand der Arbeiten des zuvor erwähnten Type Designers Tré Seals in diesem Blogbeitrag beleuchten.
Seals Weg zu politischer Schriftgestaltung
Tré Seals ist Afro-Amerikaner, lebt und arbeitet in den Vereinigten Staaten. Er absolvierte sein Kommunikationdesignstudium 2015 und gründete ein Branding-Studio. Im Sommer 2016 war er auf der Suche nach Inspiration für ein Projekt. Dabei fiel ihm auf, dass viele Arbeiten sehr ähnlich aussahen. Kurz darauf fiel ihm eine Tabelle des U.S. Bureau of Labor Statistics zur Demografie in der Designbranche in die Hände. Diese besagte, dass nur 3 bis 3,5 Prozent der Designer:innen in Amerika schwarz waren und rund 85 Prozent weiß. Darin lag für Tré Seals der Grund in der Uniformität vieler Webseiten. Auf seiner eigenen Webseite schreibt Seals dazu: »Until recently, the majority of all designers in America were men. So if you’re a woman or if you’re of African, Asian, or Latin dissent, and you see an advertisement that you feel does not accurately represent your race, ethnicity, and/or gender, this is why.«
Seals argumentiert weiter, dass es in einer Branche, die von einer einzigen Sichtweise – nämlich einer männlich-weißen – geprägt ist, auch nur eine Art des Denkens, Lehrens und Schaffens geben kann. Ein Mangel an Vielfalt in Rasse, ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht führt zu einem Mangel an Vielfalt in Systemen, in Ideen und Kreativität.
So beschloss Seals, einen Weg zu finden, um die Vielfalt und Empathie in der Designbranche zu erhöhen. Er war sich bewusst, dass er die Demografie oder das Bildungssystem nicht ändern konnte. So fand er einen Weg, ein nicht-stereotypisiertes Stück Minderheitskultur selbst in das Design einzubringen. Er setzte dabei bei der Typografie an – ihm zufolge die Basis jedes guten Designs – und gründete seine Type Foundry Vocal Type. Mit den entstehenden Schriften möchte Seals ein Zeichen für mehr Vielfalt im Design setzen und Bewusstsein für Minderheiten in den Vereinigten Staaten schaffen, die durch die vorherrschende Designszene unterrepräsentiert sind.
Die Entwicklung der Schrift Du Bois
Als Tré Seals das erste Mal Rassismus erlebte, begann er sich mit der Geschichte der Afro-Amerikaner:innen auseinanderzusetzen. Im Zuge seiner Recherche stieß er auf den afro-amerikanischen Bürgerrechtler und ersten schwarzen Harvard-Doktoranden William Edward Burghardt Du Bois, der von 1886 bis 1963 lebte. Für die Weltausstellung 1900 in Paris hatte Du Bois Infografiken gezeichnet, die den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt der Afro-Amerikaner:innen seit dem Ende der Sklaverei 1865 visualisierten. Zugleich zeigten die Grafiken auch den systematischen Rassismus, den Schwarze seitdem erleb(t)en. Tré Seals war sehr beeindruckt von diesen Infografiken, auf deren Basis er eine Schrift entwickeln wollte. Diese Schrift sollte das Bewusstsein für die Geschichte der Afro-Amerikaner:innen in sich tragen.
Info-Grafiken des Soziologen und Bürgerrechtlers W. E. B. Du Bois für die Pariser Weltausstellung 1900.
Er analysierte zunächst die handgeschriebenen Buchstaben in den Grafiken von Du Bois, die eine starke Kohärenz aufwiesen. Er fertigte Skizzen mit Bleistift und Kugelschreiber an und importierte sie in den Fonteditor Glyphs. Dort zeichnete er die Buchstaben nach. Er fertigte unzählige Varianten der Buchstaben an, um schlussendlich jene Formen zu finden, die nahe am Original waren und zugleich als moderne Schrift funktionierten. Neben einigen Lettern, die sehr viel Zeit in Anspruch nahmen wie das Ampersand oder das Prozent-Zeichen, musste Seals auch viele Buchstaben völlig selbst zeichnen, da sie in den Grafiken der Weltausstellung nicht vorkamen – u.a. alle Kleinbuchstaben sowie mathematische Zeichen. Aus den Buchstaben, die der Bürgerrechtler Du Bois vor circa 120 Jahren von Hand schrieb, ließ der 27-jährige Schriftgestalter schlussendlich eine streng geometrische Sans-Serif entstehen. Zusätzlich fertigte er elf Style-Sets mit Formenvarianten an, durch die einzelne Lettern sehr unterschiedlich aussehen können: mit Art Déco-Touch oder als Slab Serif. Die Schrift Du Bois mag nicht die All-time-Variante werden, auf die Grafiker:innen im Zweifelsfall gerne zurückgreifen, doch eben darum ging es Seals eigentlich auch – endlich eine Schrift, die nicht wie alle anderen, sicheren Varianten aussah. Denn eines ist Du Bois gewiss: eine Schrift, die sich durch ihre starke Symbolik von der Masse abhebt und beweist, wie viel Verantwortung und Möglichkeit im Schriftdesign stecken.
Von Bürgerrechtsbewegung bis Gay Pride: Die Vielfalt von Vocal Type
Elf Schriften hat Tré Seals Vocal Type derzeit im Programm. Alle Schriften weisen eine Verbindung zu Minderheiten und ihren Geschichten auf: von der Bürgerrechtsbewegung in den USA über die weltweite Frauenwahlrechtsbewegung bis hin zu den Stonewall-Unruhen 1969, die als Beginn der Gay Pride Bewegung gelten oder einer eigenen Schrift für ein Buch des schwarzen Filmemachers und Schauspielers Spike Lee.
Erste Reihe: Schrift Martin in Anlehnung an den Protestmarsch, der kurze Zeit nach der Ermordung von Martin Luther King Jr. erfolgte. Darunter: Schrift Carrie ist eine Hommage an die Frauenwahlrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten.
Wichtig ist Tré Seals, dass seine Schriften jedoch nicht nur für politische Botschaften eingesetzt werden – vielmehr sollen sie in die Alltagsanwendung von Typografie Eingang finden, um so für mehr Vielfalt und Bewusstsein zu sorgen. So soll Du Bois, zum Beispiel, die ja von einem schwarzen Bürgerrechtler inspiriert ist, in Projekten mit völlig anderem Hintergrund wie dem Corporate Design eines Restaurants oder Modegeschäfts angewendet werden. So bestünde die Möglichkeit, so Seals, dass die Geschichte der Schrift von Leuten wahrgenommen wird, die sich ansonsten niemals damit beschäftigt hätten. Abschließen möchte ich diesen Beitrag mit Tré Seals Appell an alle Kreativen im Manifesto von Vocal Type:
This is a type foundry for creatives of color who feel that they don’t have a say in their industry. This is for creative women who feel that they don’t have a say in their industry. This is for the creative that is tired of being “inspired” by the same designs over and over again. Vocal is for the creative that cares about telling the stories of the people we serve and not the false history of the industry we work in. Vocal is for the creative that wants to build a community—not a following.
Tré Seals, Type Designer und Gründer von Vocal Type
Literatur
Dohmann, Antje. „Type that matters“, in Günder, Gabriele (Hrsg.), Page 03.21.