Die Kunstschulreform als Ursprung der Bauhausidee
Das Bauhaus steht hundert Jahre nach seinem Wirken immer noch als ideale Blaupause einer Designausbildung da. Seine ideologischen Wurzeln liegen in der sogenannten Kunstschulreform, jene akademischen Tendenzen, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Erneuerung der Ausbildungen von Künstlern, Kunstgewerblern und Architekten anstrebten. Das war auch dringend notwendig. Die Kunst-Akademien des 19. Jahrhunderts hatten den Sprung auf den sich in voller Fahrt befindlichen Zug der Industrialisierung verpasst. Besonders deutlich wurde dies auf der ersten Londoner Weltaustellung 1851 – von schlechter Qualität und technisch Mangelhaft waren die meisten Produkte, und von Produktgestaltung war man weit entfernt, ein nachträgliches beladen mit Ornamenten führte zu schlechten Ergebnissen und offener Kritik.
Einer der wichtigsten Kritiker – und nicht in dogmatischer Maschinenkritik verhaftet wie William Morris – war der deutsche Architekt Gottfried Semper. Er prangerte das Auseinanderklaffen von industrieller Gebrauchsform und »Veredelung« durch den akademischen Künstler an. Die an den Akademien ausgebildeten freien Künstler waren auch gar nicht daran interessiert, sich mit der industriellen Formgebung von Produkten zu beschäftigen. Sempers Lösung war der »allgemeine Volksunterricht des Geschmackes« den er durch die Einrichtung von Kunstgewerbemuseen mit ergänzenden Lehrveranstaltungen mit dem allgemeinem Themenbereich Kunst und Industrie; im Speziellen Keramik, Textil, Holz und Stein; erreichen wollte. Ein Zusammenwirken der Lehrbereiche unter dem Vorsitz der Architektur sowie eine Förderung des Werkstättenunterrichts waren Teil seiner Ideologie – und ebenso Grundpfeiler des Bauhaus-Systems fast 80 Jahre später.
Umgesetzt wurden seine Ideen zum Teil in Wien, 1864 wurde das Österreichische Museum für Kunst und Industrie gegründet, wenig später eine Kunstgewerbeschule angegliedert, der Werkstättenunterricht ließ sich nur aus Platzmangel nicht in Sempers Ideee umsetzen. Josef Hoffman und Koloman Moser gelang dies erst einiges später, sie waren mit der Wiener Werkstätte ab 1903 Vorreiter.
Die Krise der Akademien konnten Sempers Ansätze jedoch nicht bewältigen und auch die Kunstgewerbeschulen hatten Ende des 19. Jahrhunderts viel vom ursprünglichen Erneuerungsgedanken eingebüßt. Aus diesem Grund – und tief verwurzelt in den großen sozialen und kulturellen Umwälzungen der Jahrhundertwende – entstanden die Forderungen der Kunstschulreformer. Die von vielen als Fehlentwicklungen angesehenen gesellschaftlichen und kulturellen Tendenzen (Intellektualismus, Materialismus und seine Folgen für den Menschen) wurden einerseits in revolutionären Strömungen begegnet (Marx und Engels) oder aber in evolutionärer Veränderung zu ändern versucht – Ästhetisierung der Alltagswelt zur Verbesserung der Gesellschaft. Künstler der Jugendstils, des Deutschen Werkbundes und Vertreter von modernen Bewegungen – unter anderem Peter Behrens und in dessen Einfluss Walter Gropius – sahen folgende wesentliche Erkenntnisse und daraus resultierende Veränderungen in der Kunstschulausbildung notwendig:
Die Akademie als Ort der Kunstausbildung ist veraltet. Die Ausbildung dieser Zeit konnte keinen im modernen beruflichen Wettbewerb überlebensfähigen Künstler hervorbringen. Fern jeglicher Realität wurden veraltete Ansichten vermittelt, alte Meister kopiert.
Lehrbar ist nur das Handwerk. Da die Kunstlehre versagt hatte, sollte sich die Reform aus dem Handwerk ergeben. Man sah das Handwerk als die notwendige Grundlage allen bildnerischen Schaffens an und postulierte im Umkehrschluss, das Kunst im allgemeinen nicht lehrbar sei, einzig die handwerklichen Techniken als Basis. Dies sah auch Bauhaus-Gründer Gropius so, der jedoch den Fokus auf die Einheit von Kunst und Handwerk legte und die Kunst lediglich als Steigerung des Handwerks sah.
Werkstatt anstelle der Schule. Wie schon von den Kunstgewerbeschulen angestrebt, sollte die praktische Ausbildung in der Werkstatt gelebt werden. Diese Ansicht war keineswegs neu, in der durch die industrialisierte Produktion verunsicherten Arbeitswelt gab es immer wieder Strömungen, die das mittelalterliche System des Handwerks idealisierten und romantisierten – am konsequentesten eben William Morris’ Arts and Craft Bewegung. Was bei den Reformern umstritten blieb, war die Frage, ob die Werkstätten reine Lehrwerkstätten seien sollten, oder als Produktivwerkstätten für die Wirtschaft arbeiten sollten – was einerseits dem populären Tenor nach realitätsbezogenem tätigen Lernen entsprach, andererseits zu Abhängigkeiten von der Wirtschaft führen konnte.
Die Lösung ist die Einheitsschule. Eine Verbindung von Kunst, Kunstgewerbe und Baukunst wurde als Ideal angesehen, mit einer gemeinsamen Anfangsstufe – so forderte u. a. auch Peter Behrens. Die Kunst-Akademien sollten – in Ateliers umgestaltet – mit den Kunstgewerbeschulen und den Architekturabteilungen der Technischen Schulen in eine »Hochschule des Gestaltens« vereint werden. Ein Begriff, der noch lange Bestand hatte. Die Vereinigung sollte auch die sozialen Klassen vereinen, was ganz im politischen Sinne der Zeit lag (Revolution in Russland).
Vorherrschaft der Architektur. Die Auflösung der alten Einheit der Künste und die Zerteilung in Architektur, Malerei, Plastik und Kunsthandwerk war als negativ empfunden worden. Dies wollte man umkehren und wieder erneut vereinen, unter der als »Mutter aller Künste« angesehenen Baukunst als Schirmherrin. Die Konzentrierung in Bauhütten als Verbund aller Künste wurde propagiert – und auch zum Namensgeber des Bauhauses.
Einführung von Vorklassen. Gerade dieser Ansatz wird oftmals als reine Errungenschaft des Bauhauses angesehen. In der Schweiz waren Vorkurse schon 1879 in Zürich, 1899 in Bern und 1908 in Basel eingeführt worden (Gottfried Semper hatte lange in der Schweiz gewirkt) – jedoch meist zum erlernen der technischen Zeichengrundlagen. Die Kunstschulreformer forderten diese Kurse jedoch konkret als Vorstufe zum Zwecke der Selbsterfahrung, Selbstfindung und Entscheidungshilfe für eine spezielle Fachrichtung. Gleichsam wichtig sollte in diesen Vorklassen aber auch das grundsätzliche Prinzip der Gestaltung gelehrt werden. Sie sollten demnach dem Schüler zur Selbstfindung und Orientierung, und der Schule zur Grundlagenlehre und Probezeit dienen.
Das Bauhaus steht unzweifelhaft im direkten Einfluss dieser Reformbewegungen. Es war natürlich nicht die einzige Schule, die diese Ideen umsetzte, wohl aber jene, die es am konsequentesten und erfolgreichsten machte und konnte auch noch wesentliche eigene Impulse setzen – nicht zuletzt auch durch die lange Liste an Namhaften Vertretern der modernen Kunst, die am Bauhaus lehrten.
Das Bauhaus war eine Idee, und ich glaube, dass die Ursache für den ungeheuren Einfluss, den das Bauhaus auf jede fortschrittliche Schule in der Welt gehabt hat, in der Tatsache zu suchen ist, dass es eine Idee war. Eine solche Resonanz kann man nicht mit Organisation erreichen und nicht mit Propaganda. Nur eine Idee hat die Kraft, sich so weit zu verbreiten
Ludwig Mies van der Rohe
Walter Gropius: Gründungsgedanken des Bauhauses
Eigentlich hatte das Bauhaus zur Zeit seiner Gründung 1919 erstaunlich wenig konkretes Konzept und Plan. Definitiv steht es im Einfluss – neben vielen weiteren – des ersten Weltkrieges und der damit einhergehenden allgemeinen Ernüchterung. Die spiegelte sich in den ersten Jahren des Bauhauses wider; der expressionistischeren Phase. Zentral war von Beginn an die Einheit von Kunst und Technik, wie es schon vor dem Krieg der Werkbund gedacht hatte und auch nach dem Krieg praktiziert wurde. Daneben waren es aber eine Reihe an – vor allem pädagogischen – Eigenheiten, die dem Bauhaus seinen Erfolg einbrachten.
Gropius als Gründer hatte am eigenen Leib erfahren, dass die Architekturausbildung dieser Zeit nicht mehr den modernen technischen Gegebenheiten entsprach. Daraus resultierte sein stark antiakademisch geprägter Stil, er hatte die Ideen der Kunstschulreform genau verfolgt und propagierte diese auch, unter anderem das starke Plädoyer für die Versöhnung des Künstlers mit der Technik. Es sollte eine für die Aufgaben von Gegenwart und Zukunft gewappnete Kombination aus Kunst und Technik gelehrt werden. Dazu eigentlich im Gegensatz stehend waren seine Ansichten, die kleinstrukturellen Arbeitsgemeinschaften des Mittelalters wieder aufleben zu lassen. Er sah die Bauhütten dieser Zeiten als romantisches Ideal und lies sie sogar zum Namensgeber seiner Schule werden. Mit dieser Rückwärtsutopie war er nicht allein, als Antwort auf die industrielle Vernichtung und die darauffolgende Sinnkrise des ersten Weltkrieges waren solche Ansätze verbreitet in den Nachkriegsjahren.
Die fundierte handwerkliche Ausbildung in Probier- und Werkplätzen war Teil seiner Gründungsidee. Die Lehre wurde in drei Lehrgänge eingeteilt, einen für Lehrlinge, einen für Gesellen und einen für Jungmeister. Über vor ihm gedachte Prinzipien hinaus entwickelte Gropius den Ansatz des dualen Systems aus künstlerischer Ausbildung und voller, regulärer Handwerkslehre – für alle Schüler obligatorisch und mit Gesellenprüfung abgeschlossen. Der handwerkliche Charakter war jedoch nie Mittel zum Zweck; es sollte kein singuläres Werkstück entstehen, sondern es wurde in der handwerklichen Lehrstruktur der Grundgedanke eines sozialen und gemeinschaftlichen Organismus mit dem Zweck einer sich von innen heraus reformierenden Industriellen Gesellschaft gesucht. Eine humanere, sozial gerechtere auf dem Harmonieprinzip beruhende Gesellschaftsordnung war das Ziel dieser Bestrebung.
Dies zeigte sich ganz praktisch in der Wichtigkeit der sogenannten praktischen Harmonielehre, die am Bauhaus von Gertrud Grunow unterrichtet wurde. Die Einheit von Ton, Farbe und Form, also eine Zuordnung der Tonleiter zu konkreten Farben und wiederum zu konkreten Formen, mutet heute sehr metaphysisch an, war aber für Gropius von großer Wichtigkeit. Der Mensch als Ganzes, in Ausgeglichenheit und Harmonie sollte die Versöhnung von Rationalität und Sinnlichkeit schaffen sowie ein Gleichgewicht von Handwerk und Denken erreichen. Der »ganzheitliche Mensch«, wie schon im antiken Griechenland war das Ziel.
Vor allem in den Anfangsjahren waren diese romantisch-expressionistischen Bestrebungen pädagogische Realität und wurden speziell auch von einem der berühmtesten Lehrer des Bauhauses – Johannes Itten – auch in starkem eigenem Interesse praktiziert. Die persönliche Entfaltung der Schüler stand in den ersten Jahren im Fokus, jedoch mussten diese ideologischen Gedanken bald einer praktischeren pädagogischen Denkweise Platz machen – was sich nicht zuletzt auch in der Trennung von Johannes Itten zeigte. Die zunehmende Rationalisierung musste der Betonung des Individuellen weichen, die Lösung objektiver Gestaltungsaufgaben rückte in den Fokus. Nicht mehr die Utopie eines neuen »gotischen Zeitalters«, Zentrum einer neuen, besseren Gesellschft zu sein war für das Bauhaus prägend, sondern die Frage, wie sich durch die schulische Vermittlung ästhetischer und sozialer Kompetenzen der Entwurf von gut gestalteten und gleichzeitig leistbaren Gebrauchsgegenständen erreichen lies. Es sollten Prototypen für die Industrie entstehen, die Industrialisierung des Bauens sollte erreicht werden um – nicht zuletzt wiederum gesellschaftlich-sozial wertvoll – eine Verbesserung der Existenz einer breiten Bevölkerungsschicht zu schaffen.
Ein zentrales Phänomen des Bauhaus-Systems blieb aber weiterhin der Vorkurs, zu Beginn einsemestrig, später auf ein Jahr erweitert. Wie bereits erwähnt war dieser keine reine Bauhauserfindung, ist aber in seiner Ausformung dennoch prägend gewesen und verdient deshalb einen eigenen Blogeintrag. Next time.