Oder: Schweizer Ausbildung als Basis für den Swiss-Style.
Ende der 1940er Jahre ist ein Wandel in der Designwelt der Schweiz in der Luft, das Berufsbild des Grafikers ist am Scheideweg. Nach der überladenen Welt von Art Deco und Jugendstil hatte sich vor allem in der für die noch junge Disziplin des Grafik-Design repräsentativen Plakatgestaltung eine Art »magischer Realismus« durchgesetzt. Die beworbenen Objekte wurden nun überhöht und idealisiert, frei von jedem Beiwerk in Szene gesetzt und dies mit einer zeichnerisch/malerischen Fertigkeit die die Perfektion anstrebte und oft auch erreichte. Allen voran Niklaus Stoeklin und Peter Birkhäuser schufen so Meisterwerke in diesem Ikonischen Stil.
Die mit raffinierten Darstellungstechniken bewirkte Übersteigerung der Dingtreue, die extrem realistische Stofflichkeit, die geschickt eingesetzte Lichtführung, verbunden mit einer »unnatürlichen« Isolation des Gegenstandes, all dies verleiht dem Dargestellten eine magische Strahlkraft.
Willy Rotzler
Dieser Ansatz erfordert natürlich eine äußerst gute Ausbildung in zeichnerischen Dingen und die Schweiz steht in der pädagogischen Tradition von Pestallozzi, Grasset und Ritter auf guten Füßen. Parallel dazu entwickelt sich – im Ursprung begründet in den pädagogischen Ansätzen der Reduktion der Kompositionsmittel auf Grundformen und durch nationale und internationale künstlerische Strömungen beflügelt (und nicht zuletzt wohl auch durch die Schweizer Mentalität gefördert) – eine analytische, ornamentlose Stilrichtung. Beeinflussend war auf diesem Wege unter anderem der Fotograf Hans Finsler, der mit seiner sachlichen Herangehensweise in der Produktfotografie viele namhafte Grafiker prägte. Unter strenger inhaltlicher Dominanz konzentriert er sich auf die unverfälschte Darstellung des Materials mithilfe von Aspekten der Bildkomposition und des Bildausschnitt. Dreieck, Kreis und Diagonale spielen wichtige Rollen. An der Kunstgewerbeschule in Zürich lehrt er – selbst beeinflusst von Grasset – dies in seiner Fotoklasse und verbindet Fotografie auch mit Grafikdesign und Typografie. Von Finslers Partner Alfred Willimann werden unter anderem Armin Hofmann und Emil Ruder entscheidend geprägt.
Ebenso starken Einfluss hat die vor allem in Zürich starke Strömung der konkreten Kunst, bei der den Werken geometrische Elemente, Maßsysteme, Wiederholungen und Zahlenreihen zugrunde gelegt werden. Anders als in der Abstrakten Kunst liegt jedoch keine Abstraktion zugrunde, es ist eine vom Gegenstand unabhängige Kunst, welche schnell Architektur, Grafik und Typografie beeinflusst. Max Bill als wichtiger Vertreter dieser Kunst sieht den grafischen Informationsauftrag für einen der konkreten Kunst anhängenden Gestalter in einer klaren, einfachen und verständlichen Informationsvermittlung. Er zieht eine klare Grenze zwischen Kunst und Grafik, Kunst ist für ihn ausschließlich Träger von ästhetischen Informationen, Grafik immer ein Kommunikationsmittel und somit Träger einer visuellen Information. Vor allem Zürich ist stark von diesem konkreten Kunst-Ansatz geprägt.
In dieser zwiegespaltenen Grafikdesign-Schweiz werden an der kunstgewerblichen Abteilung der Gewerbeschule Basel zu dieser Zeit Vorkurse, Tagesfachklassen (u.A. die Grafik-Fachklasse) sowie die Lehrlingsklassen unterrichtet. Nach wie vor ist das Gewerbemuseum direkt an die Schule angehängt. In den 40er Jahren – in einer Zeit, wo Basel als das Zentrum des illustrativen, hyperrealsitischen Plakatstils gilt – werden hier richtungsbestimmende personelle Entscheidungen getroffen: in der allgemeinen Gewerbeschule werden mit Hermann Eidenbenz, Emil Ruder, Berchthold von Grünigen und Armin Hofmann vier Vertreter dieser modernen Ansicht von Grafikdesign eingestellt. Sie setzen durch ihre Arbeit und Lehre in der Grafik-Fachklasse, Buchdruck- und Typografie-Abteilung sowie der allgemeinen Lehrplangestaltung wichtige Akzente. Parallel dazu bleibt aber mit einem starken Fokus auf die zeichnerische Ausbildung und somit einem Bekenntnis zum Basler Illu-Plakatstil eine diplomatische Doppellösung zwischen Avantgarde und Bildlichem die Premisse.
Emil Ruder – der seine Lehransätze später in sein Standardwerk zur Typografie kondensiert – steht in dieser Zeit einerseits für ein gestärktes Berufsbild des Typografen; der keine reine handwerklich untergeordnete Rolle einnimmt, sondern eine eigenständige künstlerische Gestaltungsarbeit leistet; andererseits für eben jene avantgardistisch-modernen, reduzierten Strömungen. Ruder begründet und leitet den einjährigen Weiterbildungskurs für gelernte Schriftsetzer und Buchdrucker, er wirkt aber auch in der Grafik-Fachklasse.
optische Einflüsse auf geometrische Formen (optische Mitte, Größenwirkung, …) Übungen zu Proportion… … und die Umsetzung am praktischen Beispiel
Im Vorkurs werden die allgemeinen, in der Fachklasse die speziellen Grundlagen gelehrt, auf Basis derer sich später die individuellen Interessen der einzelnen SchülerInnen entwickeln sollen. In den Fachklassen sind künstlerische, technische und theoretische Fächer zeitlich exakt aufeinander abgestimmt um sich in idealer Reihenfolge gegenseitig zu ergänzen. Zu den Fächern gehört neben der strengen Gebrauchsgrafik (eben jener reduzierte, konstruktivistische Stil) und der realistischen Gebrauchsgrafik (Illustrative Basler Schule) unter anderem historische Schrift, Schriftkomposition, Gedächtniszeichnen, Licht und Schatten, Strukturzeichnen, Skulpturenzeichnen, Museums- und Akt bzw. figürliches Zeichnen.
Die Fachklasse für Grafik unter Hofmann ist ein vierjähriger Studiengang, dem für die meisten Studierenden ein Vorkurs vorausgeht. Nach dem ersten Jahr werden nur noch eine geringe Zahl von Studenten zur Ausbildung zugelassen: 1950 7 Studenten (von 30 Bewerbern), 12 im Jahr 1961. Unter den Schülern, die diese Ausbildung absolvieren, sind insbesondere Karl Gerstner (1945–1948), Gerard Ifert (1945–1949), Nelly Rudin (1947–1950) und Dorothea Schmid.
Hofmanns Gegenpart ist Donald Brun als Lehrender des realistischen Stils der Gebrauchsgrafik, genannt Grafik B. Er steht für die Bedürfnisse des Marktes, von Beginn an werden die Schüler durch konkrete Aufgabenstellungen aus der Praxis des Plakat-Designs gefordert, die mit Bleistift und Tusche und anschließend mit Pinsel und Farbe auf Papier als druckfertige Vorlage abzugeben sind. Er stellt die eigene künstlerische Selbstverwirklichung hinter der kommerziellen Funktionalität an und lehrt folgerichtig keinen speziellen Stil oder Technik sondern ein großes Repertoire an Fertigkeiten, die je nach Zweck einzusetzen sind. Die Grundlagen setzt er aus dem Vorkurs voraus.
Hofmanns »strenge« Grafik, genannt Grafik A, sieht die grundlegende Schrift- und Bildgestaltung als Ziel. Formstudien von geraden, runden und diagonalen Schriftelementen, ihre Zusammensetzung zum Buchstaben und weiter zu Wort und Zeile sollen die Grundlagen der Gestaltung und Komposition aus dem Vorkurs weiterführen. Er bewegt sich an der Grenze zwischen Schrift und Bild. Der Prozess des Abstrahierens und Umsetzens in spiegelverkehrter Form für die Lithografie wird von einfachen Grundelementen ausgehend in immer komplexer werdenden Übungen gesteigert.
Neben der Grafik-Fachklasse unterrichtet Hofmann auch in der Lehrlingsausbildung. Das duale Bildungs-System ist in der Schweiz fest verankert, Lehrlinge der verschiedensten Lehrberufe werden einmal wöchentlich unterrichtet. Hierdurch bleibt auch für Hofmann der direkte Kontakt zu den Anforderungen der Praxis erhalten, die Lehrlinge werden die restliche Zeit in den Betrieben praktisch ausgebildet. Emil Ruder als Leiter der Lehrlingsklassen ergänzt sich perfekt mit Hofmann und beide sorgen für eine immer wirksamere Präsenz der »strengen« Grafik.
Ab 1949, also nur zwei Jahre nach dem Beginn von Hofmanns Lehrtätigkeit an der Gewerbeschule Basel, beginnt die strenge Grafik in die Wirtschaft einzusickern und erste Erfolge zu feiern. Eindeutig von den Ansätzen der Lehre Hofmanns beeinflusste Arbeiten finden positiven Widerhall und lösen eine breite Bewegung aus. Wesentlich daran beteiligt ist das Chemieunternehmen Geigy. Im wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit wird bei Geigy ein firmeninternes Atelier gegründet – inhouse Grafik würde man heute (oft auch abfällig) sagen. Ein direkter Dialog zwischen Gewerbeschule und Geigy-Atelier entsteht und die Gestaltungsansätze von Ruder und Hofmann erweisen sich als äußerst brauchbar für die Darstellung von teilweise sehr abstrakten Vorgängen dieser Branche. Aufgrund von älteren Netzwerken arbeiten im Geigy Atelier bald Max Schmidt als Leiter (Vorkurs Basel Absolvent und Lehring im Atelier Bühler, in dem Hofmann und Karl Gerstner; ein Schüler Ruders; zu der Zeit arbeiten) und anfangs eben Hofmann und Gerstner an der grafischen Umsetzung von Geigy-Projekten. In weiterer Folge stellt Schmid gezielt ausgewählte Absolventen von Ruder und Hofmann ein und sichert somit die andauernde Qualität des Teams – im Laufe der Zeit arbeiten nicht weniger als 20 von diesen Absolventen im Geigy-Atelier.
Die Grundlagen von Grafik und Typografie die in der Ausbildung in Basel gelehrt werden, bilden den Rahmen für den Wiedererkennungswert des Geigy-Stils, der keineswegs durch dogmatische Prinzipien und gleichgeschalteter Grafik erzwungen wird. Durch die Internationale Ausrichtung des Konzerns findet der Stil bald positives Echo und bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung des Swiss-Style und bestätigt somit das Lehrkonzept der Basler Schule.