Typografie – ein kurzes Glossar

Den Unterschied zwischen Typeface und Font merkt man sich noch recht leicht. Doch wer (oder was) gehört zur Schriftfamilie und wie ist das Verwandtschaftsverhältnis zur Schriftsippe? Was sind Schriftfetten im Gegensatz zu Schriftbreiten und gibt es ein Reglement für Bezeichnungen von extra light über halbfett bis ultra? Wie unterscheidet man eine echte Kursive von einer unechten? Was verbirgt sich typografisch hinter dem Begriff Displays und warum sollten Grafiker:innen ein Auge für die Schriftkontur entwickeln? Fragen über Fragen, die ich als Designerin beantworten können möchte. Beschäftigt man sich mit Schrift und Typografie, ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit typografischen Begriffen unumgänglich. Es ist wie beim Sprachenlernen: Ohne Vokabeln geht’s nicht. Deshalb möchte ich diesen Beitrag der Klärung einiger Begriffe widmen, die ständige Begleiter in der Arbeit mit Schrift sind (oder sein sollten).  

1 Schrift(art), Typeface, Schriftschnitt und Font

Was wir im Deutschen mit Schrift oder Schriftart bezeichnen, heißt im Englischen Typeface. Also Helvetica ist eine Typeface. Typefaces tragen Namen und unterscheiden sich in bestimmten Designmerkmalen der Glyphen, zum Beispiel das Vorhandensein oder Fehlen von Serifen, Proportionen oder Ausrichtung von Buchstaben. Schrift(arten), also Typefaces, können unterschiedlich klassifiziert werden – dies wurde bereits näher im vorhergehenden Beitrag diskutiert. Es gibt Serifen-Typefaces und serifenlose Typefaces, dekorative Typefaces und Script-Typefaces usw. Wichtig dabei ist, dass eine Typeface alle Schriftschnitte einer Schrift meint.

Schriftschnitt, im Englischen Font, bezeichnet im Gegensatz die unterschiedlichen Ausformungen, die es von einer Typeface gibt: von leicht über normal bis halbfett und fett, von extraschmal bis extrabreit. Ein Font ist also immer ein Teil einer Typeface. Auch kursive Schnitte sind Fonts einer Typeface. Garrick Webster, Blogger von creativebloq.com erklärt den Unterschied zwischen Typeface (Schrift/Schriftart) und Font (Schriftschnitt) wie folgt: „The main difference between a ‘font’ and a ‘typeface’ is that the former exists as part of the latter. Helvetica is a typeface – a complete set of sans serif characters with a common design ethos. However, it is made up of a whole collection of fonts, each in a specific weight, style and size, with different levels of condensation as well as italic versions.“ 

Friedrich Forssman verwendet den Begriff Font nur für den digitalen Schriftsatz. Er schreibt dazu: „In digitalen Schriftdateien ist jeweils ein Schriftschnitt in einem Font abgelegt. […] Darunter sind auch interne Steuerungszeichen, wie die Anweisungen für den Wortzwischenraum oder einen Zeilenwechsel […]“. (vgl. 2004:49). Obwohl die Begriffe Typeface (Schrift/Schriftart) und Font oft synonym gebraucht werden, verwenden wir sie in ihrer Anwendung automatisch richtig – da Desktop-Publishing-Programme auf deren korrekte Anwendung ausgelegt sind. Zuerst wählen wir eine Schrift (Typeface) aus und danach stellen wir den gewünschten Schnitt (Font) in einer bestimmten Schriftgröße ein, erklärt Garrick Webster von Creative Blog weiter: „The reason we focus on fonts today is largely as a result of desktop publishing and word processing applications, which have a font menu. When you click it, you get a list of typefaces to choose from – Arial, Baskerville, Caslon etc – and from there you set the specifics of the font – Medium Italic 16 point, for example.“

2 Schriftfamilie versus Schriftsippe 

Die Ausgangsschrift jeder Typeface ist in der Regel die Normale. Abgeleitet von diesem normalen Schriftschnitt gibt es noch weitere Schriftschnitte – zum Beispiel einen leichten, halbfetten oder fetten Schriftschnitt. Auch die Kursive ist eine Ableitung der Normalen. All diese Schnitte gemeinsam bilden eine Schriftfamilie. Dass eine Schriftfamilie aus mehreren Schnitten besteht ist für komplexere typografische Arbeiten Voraussetzung, da man für Auszeichnungen innerhalb des Textes, für Überschriften oder zur Kennzeichnung unterschiedlicher Textebenen mehrere Schnitte benötigt (vgl. Forssman 2004:59).

Bei manchen Schriften existiert neben der Schriftfamilie mit ihren unterschiedlichen Schnitten auch noch eine Schriftsippe. Eine Schriftsippe hat mehrere Ausgangsschriften, also mehrere Normale: ohne Serifen, mit Serifen oder noch eine weitere mit extra betonten Serifen. Von manchen Schriften gibt es, zum Beispiel, eine Serif-Variante, eine Grotesk sowie eine Semi-Serif-Variante, also eine Schriftfamilie, bei der die Buchstaben an manchen Endungen Serifen aufweisen und an manchen nicht. Gemeinsam bilden die drei Schriftfamilien eine Schriftsippe. Die Ausgangsschriften einer Schriftsippe werden durch ihre stilistische Übereinstimmung zusammengehalten.  Die Rotis von Otl Aicher oder die Thesis von Luc de Groot wären Beispiele für solche Schriftsippen (vgl. Forssman 2004:66).

Eine einzelne, gut ausgebaute Schriftfont enthält Groß- und Kleinbuchstaben sowie Kapitälchen, Satzzeichen, Ziffern, Ligaturen, Akzentbuchstaben sowie Akzente. Darüber hinaus sind oft mathematische und physikalische Zeichen, Währungszeichen und andere Sonderzeichen und einige griechische Buchstaben im Font enthalten. Nachfolgend möchte ich nun die einzelnen Mitglieder einer Schriftfamilie näher betrachten.

3 Mitglieder einer Schriftfamilie

Wie bereits erwähnt, bildet die Normale die Ausgangsschrift einer Schriftfamilie. Von ihr stammen die restlichen Mitglieder ab.  

Die Kursive 

Die klassische Auszeichnungsschrift zur aufrecht stehenden Antiqua ist die Kursive. Forssman und de Jong nennen sie auch die „Schwester“ der Normalen (2004:59). Kursive Varianten gibt es bereits seit dem frühen 16. Jahrhundert als Satzschriften. Anfangs war die Kursive weniger als Ergänzung, sondern als Alternative zur Normalen gedacht. Es dauerte aber nur kurze Zeit, bis die beiden aufeinander abgestimmt zur gemeinsamen Verwendung geschnitten wurden. Die Kursive leitet sich von der flüssig zu schreibenden Kurrentschrift ab. Ihr entscheidendes Merkmal ist der handschriftliche Duktus, also die Art der Linienführung, in der der Schwung der federgeschriebenen Kurrentschrift erhalten bleibt. Innerhalb der Kursiven gibt es Varianten, die stark geneigt sind und andere, die nahezu aufrecht scheinen. Prinzipiell unterscheidet sich die Kursive von der Normalen neben dem Duktus auch durch die Farbe, also den Grauwert den der kursive Text aufweist. In Bezug auf die Auszeichnung des Textes wird die Kursive traditionell für kurze Zitate, Titel sowie fremde Sprache verwendet.  

Echte Kursive versus unechte Kursive

Wie eingangs erwähnt gibt es echte und unechte kursive Schriften. Während die echte Kursive eine eigens gezeichnete Schrift ist, wird die unechte lediglich elektronisch „kursiviert“ – also der normale Schriftschnitt einfach schräggestellt. Diese Möglichkeit bieten nahezu alle Textprogramme, sollte im professionellen Satz aber vermieden werden, weil das Ergebnis zumeist unschön ist. Echte Kursive unterscheiden sich also stark von unechten. Das liegt auch daran, dass einige Buchstaben der echten Kursiven andere Formen haben:

  • Das kursive a hat meist keinen Bauch.
  • Im kursiven e verschmelzen Rundung und Querbalken. 
  • Das kursive f hat eine Unterlänge. 
  • Das kursive g hat oft eine anders geformte Unterlänge als das gerade. 

Jedoch weisen nicht alle Kursiven alle diese Merkmale auf (vgl. Forssman 2004:59).

Geneigte Schriften (oblique / slanted / slope roman)

Des Weiteren gibt es kursive Schriften, die nicht aus kursiven Formen – wie oben beschrieben – aufgebaut sind. Diese bezeichnet man nicht als echte Kursive, sondern als geneigte Schriften oder oblique. Im Englischen werden sie auch slanted oder slope roman genannt. Oblique-Schriften sind keine elektronisch verzerrten Schriften, sondern Normale, die durch die Schriftgestalter:innen kontrolliert geneigt wurden. Die Strichstärken und Kurvenverläufe sind so bearbeitet, dass unerwünschte Verdickungen korrigiert sind. 

Alternate Fonts und Zierbuchstaben

Für manche Schriften gibt es alternative Buchstabenformen, zusätzliche Ligaturen und Schmuckelemente. Diese sind in eigenen Fonts, also eigenen elektronischen Schriftdateien untergebracht und werden als alternate fonts bezeichnet. Bei Kursiven bezeichnet man alternative Buchstaben auch als Zierbuchstaben (vgl. Forssman 2004:62). Bei vielen Schriften nehmen diese alternativen Buchstaben sehr üppige Formen an, weshalb sie nur selten und oft nur am Anfang oder Ende von Worten verwendet werden können. Für längere Texte sind ausgefallene Buchstaben nicht geeignet – für Titel eignen sie sich jedoch gut und bieten sparsam eingesetzt eine einfache Möglichkeit für reizvolle Kontraste. 

3.3 Ligaturen

Ligaturen sind Zeichen, die aus mehrere verbundenen Buchstaben bestehen. Sie sollen störende Lücken vermeiden und betonen im Deutschen zudem Lauteinheiten. Deshalb sind Ligaturen vor allem bei zwei aufeinanderfolgenden Buchstaben mit Oberlänge häufig (f,l,i,t), da ohne Verbindung eine unschöne Lücke zwischen den Oberlängen entstehen würde. 

Ligaturen können in allen Sprachen gesetzt werden. Ausnahmen bilden im Deutschen Wortfugen, also der Übergang zwischen zusammengesetzten Worten, zum Beispiel zwischen „Stoff“ und „Igel“ bei „Stoffigel“. Auch wenn die Laufweite vergrößert wird, dürfen keine Ligaturen mehr verwendet werden, da diese Buchstaben ja zusammengesetzt bleiben. Eine besondere Ligatur ist das &-Zeichen, das aus der Verbindung von e und t entstanden ist. In manchen Schriften sind im &-Zeichen diese beiden Buchstaben noch erkennbar.

Kapitälchen

Zeitgleich mit der Kursiven entstanden ebenso ab dem 16. Jahrhundert bereits die Kapitälchen: Versalien (Großbuchstaben) in der x-Höhe der Kleinbuchstaben (oder ein wenig darüber hinaus). Kapitälchen haben eine größere Laufweite (Buchstabenabstand) als normale Versalien und ihre Strichstärke wurde an die Kleinbuchstaben angepasst. Aufgrund des Unterschieds in der Zeichnung von Kapitälchen und Großbuchstaben, dürfen Kapitälchen niemals durch verkleinerte Großbuchstaben ersetzt werden. Auch wenn verkleinerte Großbuchstaben eines dickeren Schriftschnittes echten Kapitälchen oft sehr ähnlich sehen, stellen sie im korrekten typografischen Satz keine Alternative dar. In ihrer Form entsprechen Kapitälchen jedoch den Großbuchstaben, weshalb sie kein „scharfes ß“ besitzen. Wie bei Versalien muss dieses immer durch zwei „s“ ersetzt werden. 

Fetten und Breiten 

Leichte, halbfette, fette und schmale, breite oder extrabreite Schnitte entstanden im Gegensatz zur Kursiven und den Kapitälchen erst wesentlich später. Der Begriff Fette bezeichnet die Strichstärke, die von leicht (extramager), mager, normal bis halbfett, fett und extrafett (ultra) reichen kann – also immer „fetter“ wird. Die Breite meint die Ausdehnung der Buchstaben in ihrer Breite, also ob die Buchstaben extraschmal oder schmal, normal, breit oder extrabreit gezeichnet sind. Buchstabenbreiten können auch elektronisch verändert werden: 100 Prozent gibt dabei die vom Schriftgestalter vorgegebene Breite an, die jeweils in Prozentschritten verbreitert oder geschmälert werden kann. Diese Art der Zurichtung sollte aber vermieden werden, da sie immer zu unschönen Ergebnissen führt. Stattdessen verwendet man vorhandene schmale oder breite Schriften.  

Eine der ersten Schriften, die als Systemschrift mit systematisch aufeinander abgestimmten Fetten und Breiten, jeweils aufrecht und kursiv, auf den Markt kam, war die Univers aus dem Jahr 1957. 

Display-Schriften 

Von vielen Schriften gibt es Text-Varianten sowie Display-Varianten. Der Grund ist, dass die meisten Schriften, die für den Einsatz in Lesegraden (circa 8 bis 12 pt) optimiert sind, in Schaugraden, also in großer Größe, nicht gut aussehen. Deshalb werden zusätzlich Display-Schnitte gezeichnet, bei denen die Proportionen und Strichstärkenkontraste für große Schriftgrößen abgestimmt sind. In der Regel sind Displays schlanker und haben elegantere Proportionen. Der Unterschied zwischen Grund- und Haarstrichen darf bei Displays größer sein als bei Textschriften, da ein zu großer Kontrast bei Lesegraden für eine schlechte Lesbarkeit sorgen würde. 

Ornamente 

Unter Ornamenten versteht man in der Typografie typografische Schmuckelemente, Rahmen und Linien, die passend zur Ausgangsschrift gezeichnet wurden und gut mit dieser verwendet werden können. Sie stammen aus der Zeit vor dem digitalen Satz, wurden jedoch bei manchen Schriften ebenso digitalisiert und sind in der Font-Datei enthalten. Forssman und de Jong warnen davor, Ornamente oder Schmuckinitialen in übertriebenem Maße einzusetzen, argumentieren jedoch auch, dass mit ihnen – gezielt eingesetzt – Leichtigkeit und Eleganz vermittelt werden können. Gerade auf Verpackungen von Lebensmitteln oder Kosmetika, bei Anzeigen, Geschäftsdrucksorten oder Büchern können Ornamente den Stil der Gestaltung positiv unterstützen. Ein genaues Regelwerk gäbe es aber nicht, so Forssmann und de Jong. Nur so viel: So beweglich und bezaubernd sie sein können, müssten sie aber immer „wertvolle Untertanen des Gestaltungszusammenhanges bleiben.“ (Forssman 2004:185). 

Ziffernformen

Das Wort Ziffer meint die grafischen Zeichen 0–9, die in einem Text zu Zahlen werden. Man unterscheidet einstellige und höhere Zahlen. Höhere Zahlen werden aus mehreren Ziffern gebildet, zum Beispiel 234 aus 2-3-4. 

Je nach Schrift hat man zwei bis vier (manchmal sogar noch mehr) Ziffernsets zur Verfügung. Typografisch unterscheidet man:

  • Versalziffern (lining numerals): Ziffern auf Großbuchstabenhöhe; teils etwas kleiner
  • Mediävalziffern (oldstyle numerals): Ziffern auf Kleinbuchstabenhöhe, die Ziffern 3,4,5,7,9 mit Unterlänge
  • Kapitälchenziffern: entsprechen Versalziffern in Kapitälchengröße 

In Mengentexten sollten immer Mediävalziffern zum Einsatz kommen, da sie sich gut in den Textfluss einfügen. Für kurze Texte, Titel oder in Fußnoten können auch Versalziffern zum Einsatz kommen – sobald aber ein Lesefluss entstehen sollen, sind Mediävalziffern das Ziffernset der Wahl.  

Von jedem Ziffernset sollten in einer Schrift eine proportionale Variante und eine für Tabellen zur Auswahl stehen. Proportionalziffern haben – wie Buchstaben – unterschiedliche Breiten und sind für den Einsatz im Text geeignet. Tabellenziffern haben immer dieselbe Schriftbreite, weshalb sie sich gut für den Einsatz in Tabellen bzw. für einen Satz eignen, in dem die Ziffern untereinander angeordnet werden müssen. 

Ergänzungszeichensätze 

Für einige typografische Arbeiten sind besondere Zeichen erforderlich. Diese findet man in DTP-Programmen wie Indesign normalerweise unter Glyphen. Ergänzungszeichensätze gibt es, zum Beispiel, für den mathematischen Satz, für den Fremdsprachensatz oder den Satz phonetischer Zeichen. 

Da es nur wenige Schriften gibt, die einen umfassenden Sonderzeichensatz anbieten, raten Forssman und de Jong, unbedingt noch vor der Entwurfsphase die Verfügbarkeit von eventuell benötigten Sonderzeichen zu überprüfen (vgl. 2004:64). Eine jener Schriften, die über ein sehr gut ausgebautes Repertoire an Ergänzungszeichen verfügt ist die Times – sie bietet sogar sehr viele Fremdsprachenfonts an, was gerade in Übersetzungsfällen praktisch ist.  

Anmerkung: Schriftbezeichnungen innerhalb der Schriftfamilie

Die Bezeichnungen der verschiedenen Schriften einer Schriftfamilie unterliegen keiner Regel – eine Schrift, die von einem Schriftgestalter als „fett“ verkauft wird, empfindet ein anderer vielleicht nur als „halbfett“. Darüber hinaus werden unterschiedliche Bezeichnungen für denselben Schnitt verwendet. Forssman und de Jong stellen eine Übersicht über die gängigsten Bezeichnungen auf Deutsch, Englisch und Französisch zur Verfügung (vgl. Forssman 2004:65). 

Anmerkung: Schriftenhersteller 

Da sich Schriften mit gleichem Namen von verschiedenen Herstellern erheblich unterscheiden können, setzen viele Schriftenhersteller ihren Namen oder ein Buchstabenkürzel vor oder nach die Bezeichnung der Schrift, um identifiziert werden zu können. So stehen beispielsweise ein „A“ für Adobe Systems Inc., „ATF“ für Kingsley/American Typefounders Type Corp., „ITC“ für International Typeface Corporation oder „MT“ für Monotype Corporaten. Eine Liste der bekanntesten Schrifthersteller findet sich in Forssmanns und de Jongs Detailtypografie.

4 Die Schriftkontur 

Ein Großteil der Schriften, die man für den Digitalsatz kaufen kann, sind keine neuen Entwürfe, sondern basieren auf bestehenden Schriften. Viele dieser Ursprungsschriften gehen noch auf den Handbleisatz zurück, wurden für den Maschinensatz zugerichtet, dann für die Fotosatzmaschine umgearbeitet und schlussendlich erst digitalisiert. Bei jeder dieser Stationen war es notwendig, Anpassungen für die technischen Verhältnisse vorzunehmen –  und jedes Mal musste die Schriftkontur interpretiert und neu gezeichnet werden. Viele dieser Anpassungen betrafen wichtige Bereiche wie die Zurichtung der Schrift (Dicktenausgleich) oder die Proportionen zwischen x-Höhe und Ober- und Unterlänge. Dadurch kann es passieren, dass Schriften, die nicht sorgfältig digitalisiert wurden, viel an ursprünglicher Eleganz und Präzision verloren haben. Forssman und de Jong argumentieren, dass solche Schriften in Lesegraden womöglich noch gut funktionieren, sich die Fehler in der Schriftkontur jedoch in Displaygrößen offenbaren. Als Grafiker:innen sollten man deshalb ein Auge für die Schriftkontur entwickeln und je nach Einsatz entscheiden, ob sich eine Schrift eignet oder ob etwaige Mängel sogar ihren Reiz haben. 

5 Das typografische Maßsystem

Das typografische Maßsystem hat sich über mehr als zwei Jahrhunderte zur Zeit des Handbleisatzes entwickelt. Darauf folgten die Linotype- und Monotype-Satzmaschinen, danach die kurze Zeit der Fotosatzmaschine und schlussendlich der Siegeszug des digitalen Satzes. Der Punkt ist die Einheit des typografischen Maßes und wurde über die zuvor genannten Etappen immer wieder neu definiert. Heute existieren drei unterschiedliche Punkte: 

  • Fournier-Punkt
  • Didot-Punkt
  • Pica-Point

Der Punkt ist als Angabe für die Schriftgröße und den Zeilenabstand nach wie vor von Bedeutung. Alle anderen Maße werden heute mit dem metrischen Maßsystem, also in Zentimeter oder Millimeter, angegeben. 

In Europa entwickelte sich von Frankreich aus zuerst der Fournier-Punkt und in der Folge der Didot-Punkt. Im 19. Jahrhundert boomten in Amerika die Schriftgießereien, was zur Einführung des amerikanischen Pica-Points führte. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Pica-Point von britischen Druckern übernommen und seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist er das Standardmaß für Schriftgrößen und Zeilenabstände im gesamten Computersatz. Wer heute also Punkt sagt oder pt schreibt, meint den Pica-Point. 

Schriftgrad vs. Schriftgröße

Der Begriff Schriftgrad stammt aus dem Bleisatz und meint die unterschiedlich großen Ausführungen einer einzelnen Schrift. Bei den Zeichnungen der Schriftgraden wurden die Unterschiede in der optischen Wahrnehmung und die technischen Anforderungen des Drucks von sehr kleinen und sehr großen Schriften berücksichtigt. Aus diesem Grund unterscheiden sich die Zeichnungen für kleine und große Grade deutlich. 

Im Gegensatz dazu kennt der Digitalsatz keine individuell gezeichneten Schriftgrade. Kleine und große Schriften werden aus derselben Schriftkontur erzeugt, d.h. digitale Schriften werden linear vergrößert oder verkleinert. Deshalb sprechen wir heute nicht mehr von Schriftgraden, sondern von Schriftgrößen. Die stufenlose Vergrößerung ist praktisch, hat aber andererseits den Nachteil, dass Schriften eigentlich nur in den für sie vorgesehenen Größen gut aussehen. Für dieses Problem gibt es heute zwei Lösungen: Die gängigere Lösung sind zusätzlich zu den Text-Schriften vorhandene Designgrößen der Schriften – beispielsweise Display- oder Titling-Varianten. Adobe Systems bietet häufig bereits vier Designgrößen an: 

  • Caption (6–8 pt)
  • Regular (9–12 pt)
  • Subhead (14–24 pt) 
  • Display (25–72 pt) 

Die zweite Lösung sind Variable Fonts – eine Weiterentwicklung der komplexen Multiple Master-Schriften, mit denen bereits in den 1990ern Schriftgrößen entlang von Design-Achsen stufenlos verstellbar waren. Je nach Konzeption bieten Variable Fonts die Möglichkeit Schriften entlang von unterschiedlichen Designachsen linear zu interpolieren. Dies betrifft nicht nur die Schriftgröße, sondern kann auch Breite, Fette, Neigung und Strichtstärkenkontrast betreffen. Während man bei herkömmlichen Schriften für mehrere Schnitte auch mehrere Schriftdateien installieren muss, besteht eine Variable Font aus nur einem Font File, in die die variablen Interpolationsachsen integriert sind (vgl. Beinert 2021). 

Pica-point und DTP-Punkt

Nimmt man es genau, unterscheidet sich der heute im Digitalsatz verwendete Punkt nochmals vom Pica-Point – er ist eine leicht modifizierte Variante des Letzteren und wird oft auch DTP-Punkt genannt. Der Unterschied zum Pica-Point wird jedoch erst ab der dritten Kommastelle sichtbar. Wie zuvor bereits erwähnt, wird der DTP-Punkt nur mehr für die Schriftgröße und den Zeilenabstand verwendet. Satzbreite, Seitenränder und Papierformat werden in Europa in Millimetern angegeben. 

Schriftgröße vs. Schriftbild

Im Bleisatz bezeichnete der Schriftgrad die Größe des Schriftkegels, dem Metallklötzchen, auf das das zu druckende Zeichen gegossen wurde. Da aus technischen Gründen das Zeichen immer etwas kleiner sein musste als der Kegel, gab der Schriftgrad nur mittelbar die Größe des Schriftbildes an – aber immerhin. Im digitalen Satz gibt es nur virtuelle Kegel, deren Verhältnis zur Größe des Schriftbildes jedoch nicht festgelegt ist. Im Digitalsatz, in dem wir heute alle arbeiten, kann das Verhältnis zwischen virtuellem Kegel und Schriftbildhöhe also variieren: die Schriftbildgröße kann wie im Bleisatz etwas kleiner sein als der Kegel, genau gleich groß oder den Kegel sogar überragen. Obwohl Schriften im digitalen Satzsystem mit derselben Schriftgröße gesetzt werden und damit nominell gleich groß sind, können sie sich optisch stark unterscheiden. Damit hat die Schriftgröße in Punkt bei digitalen Fonts eigentlich wenig Aussagekraft. Fazit: Es gilt immer die tatsächliche Größe des Schriftbildes zu messen. 

Versalhöhe, Vertikalhöhe, x-Höhe und Schriftlinie 

Für die Versalhöhe wird die Höhe der Großbuchstaben ohne Versalakzente (also E und nicht É) gemessen. Für das Maß bietet sich das H mit seiner geraden Ober- und Unterseite an. Das O ist aus optischen Gründen immer etwas höher als das H. Die Vertikalhöhe meint die maximale vertikale Ausdehnung der Schrift – ebenfalls ohne Versal-Akzente, aber einschließlich aller Ober- und Unterlängen der Kleinbuchstaben. Mit der x-Höhe misst man die Basishöhe der Kleinbuchstaben, zum Beispiel die Höhe des kleinen x mit seinen geraden Abschlüssen. Die Schriftlinie bezeichnet die Linie, auf der die Buchstaben (ohne Unterlänge) sitzen. 

6 Begriffe der Schriftbearbeitung:
Zurichtung, Kerning, Laufweite (Spacing), Randausgleich 

Sich das Regelwerk der Schriftbearbeitung in diesem Beitrag genauer auszusehen, würde den Rahmen sprengen. Trotzdem möchte ich abschließend noch kurz auf Begrifflichkeiten eingehen, um die man in der typografischen Arbeit nicht umhinkommt. Damit eine Schrift gut aussieht, müssen nicht nur die einzelnen Buchstabenformen sorgfältig gezeichnet oder digitalisiert worden sein, sondern auch der Rhythmus der Zeichen muss stimmen. Dieser Rhythmus hängt von der Zurichtung, dem Kerning und der Laufweite ab. Treffen zudem unterschiedliche Schriftgrößen aufeinander, muss auch der Randausgleich beachtet werden. 

Die Zurichtung  

Die Zurichtung einer Schrift beschreibt ihren Dicktenausgleich. Das Festlegen einer bestimmten Breite für jedes Zeichen und die Position des Zeichens innerhalb dieser Breite nennt man Zurichten. Zurichtung ist Aufgabe der Schriftgestalter:innen bzw. Schrifthersteller – wenn die Zurichtung der Schrift nicht gut ist, ist sie nicht verwendbar. 

Kerning

Kerning meint das Ausrichten von Zeichenpaaren. Der deutsche Begriff ist Unterschneiden und meinte ursprünglich im Bleisatz das Engermachen von Zeichenpaaren durch das Wegschneiden von nichtdruckenden Teilen. Im digitalen Gebrauch kernt man durch die Eingabe von Minus- oder Pluswerten, wodurch die jeweiligen zwei Zeichen auseinander oder zusammenrücken. Kerning hat grundsätzlich zwei Aufgaben: Da Buchstaben unterschiedliche Formen haben, würden manche Paar-Kombinationen zu eng oder zu weit sitzen. Hier muss durch Unterschneiden entgegengewirkt werden. Die zweite Aufgabe ist das Spationieren von Interpunktion. Interpunktionszeichen sitzen oft viel zu eng an den Buchstaben. Das kann auch bei eigentlich gut gekernten Schriften der Fall sein, weshalb es sich auch als Grafiker:in lohnt, sich näher mit Kerning zu beschäftigen.  

Ob eine Schrift gut oder schlecht gekernt ist, erkennt man an unterschiedlichen Zeichenkombinationen:  

  • zu eng stehende Buchstaben – typisch sind „Wo“, „To“ oder „Te“
  • sich berührende Buchstaben – typisch sind „fk“, „fh“, „(j“, „f)“, „f?“ oder „fä“
  • zu eng stehende Kombinationen aus Buchstaben und Satzzeichen – zum Beispiel „l!“ oder „g:“ 
  • gute Musterzeile zur Kontrolle: Aufhalten (ja auf) Wolf? Torf Tell!; fährt.

Obwohl man in DTP-Programmen die Möglichkeit hat, das Kerning einer Schrift zu verändern, sollte man in der Praxis besser auf gut gekernte Schriften setzen und das Kerning nur im Notfall – etwa wie zuvor beschrieben bei wirklich zu eng stehenden Interpunktionen – bedienen. 

Laufweite

Die Laufweite meint den generellen Buchstabenabstand – also nicht nur von zwei Zeichen wie beim Kerning, sondern zwischen allen Zeichen. Abhängig von der Laufweite haben die Buchstaben eher viel Abstand oder die Schrift läuft gegenteilig eher eng. Die Laufweite kann in Satz- oder Layoutprogrammen durch die Eingabe von positiven oder negativen Werten leicht beeinflusst werden, was durchaus häufig von Nöten ist. Viele Schriften benötigen eine Laufweitenkorrektur abhängig von ihrer Schriftgröße. Die Faustregel nach Forssman und de Jong lautet hier: Kleine Schrift eher weit halten, große Schrift eher eng (vgl. 2004:93). 

Randausgleich

Durch die verschiedenen Buchstabenformen und Satzzeichen ergibt es sich, dass die linke Satzkante im Flattersatz und zusätzlich auch die rechte Satzkante im Blocksatz etwas unruhig wirken. Beispiele hierfür: Ein „T“ oder ein Gedankenstrich „–“ am Zeilenfang bringen einen gewissen Weißraum mit, ein Trennstrich oder ein Punkt am Zeilenende haben weniger Substanz als ein „d“ oder ein „l“. In DTP-Programmen kann man einen Randausgleich einstellen. Dies bedeutet, dass man für bestimmte Zeichen wie „T“ oder „–“ Werte festlegt, damit diese ein wenig über die rechte oder linke Satzkante hinausgeschoben werden. Das individuelle Setzen des Randausgleichs erfordert Fingerspitzengefühl und kann auch zu schlechteren Ergebnissen führen als ein Satz ohne Randausgleich. Für Forssmann und de Jong ist er deshalb in der Regel verzichtbar. (Anzumerken ist jedoch, dass es in gewissen DTP-Programmen wie Indesign die Möglichkeit des optischen Randausgleichs gibt, was auf relativ einfachem Wege den Blocksatz schöner ausrichtet.)


Literatur

Beinert, Wolfgang. Variable Fonts [online]. Typolexikon, 2021-08-30 [Letzter Zugriff am 2022-01-24]. Verfügbar über: https://www.typolexikon.de/variable-fonts/

Forssman, Friedrich und de Jong, Ralf. Detailtypografie. Mainz: Hermann Schmidt, 2004. 

Perraudin, Daniel. Mikrotypografie – Typografie 1 [Vorlesungsunterlagen]. Verfügbar über: auf Anfrage. 

Webster, Garrick. Font vs typeface: ultimate guide [online]. Creative Bloq, 2019-07-04 [Letzter Zugriff am 2022-01-25]. Verfügbar über: https://www.creativebloq.com/features/font-vs-typeface

Bildnachweise

Falls im BU nicht anders angegeben: © Karin Schmerda 

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *