Typografie – Geschichte 03

Von der NS-Zeit bis zum Desktop-Publishing 

Typografie der NS-Zeit 

1933 wurde unter dem Druck der Nationalsozialisten das Bauhaus aufgelöst. Vereine und Institutionen, die nicht mit den Rechtsradikalen kooperieren wollten, lösten sich selbst auf, zum Beispiel die Typografische Gesellschaft München. Systemkritische Dozenten der künstlerischen und grafischen Ausbildungsstätten wurden vertrieben. Paul Renner wurde als Direktor der Meisterschule für Deutsche Buchdrucker zwangspensioniert, Willi Baumeister als Lehrer für Werbegrafik und Typografie an der Frankfurter Kunstgewerbeschule entlassen und Jan Tschichold musste zuerst ins Gefängnis und ging dann ins Exil in die Schweiz. Kurt Schwitters, der den „ring neuer werbegestalter“ mitbegründet hatte, flüchtete nach Norwegen und dann nach England. Herbert Bayer, der nun Leiter der Druckerei- und Reklamewerkstatt am Bauhaus Dessau war, emigrierte in die USA. Viele weitere führende Typografen gingen ebenso ins Ausland, vor allem in die neutrale Schweiz und, wie Bayer, in die USA. Zürich und Basel sowie New York und Chicago positionierten sich ab 1933 als Zentren der „Neuen Typografie“. In London wurde die Schriftenbibliothek Monotype Corp. Lt. gegründet, die als Maßstab für westliche Werksatzschriften galt. Moholy-Nagy gründete in Chicago das „New Bauhaus“, das später zum Institute of Design wurde. Die Typografie gehörte überall zu den Grundlagen des Grafikdesigns. 

Unterdessen „säuberten“ die Nazis die deutsche Typografie nach ihren Vorstellungen. Auf die Bücherverbrennungen 1933 folgte die Gleichschaltung von Verlagen und Buchhandlungen. Mit ihrer Machtübernahme erklärten die Nazis die Fraktur zu ihrer bevorzugten Drucktype – die Antiqua verschwand trotzdem nicht von der Bildfläche. Sogar Grotesktypen, die eigentlich der Inbegriff des vom Regime verabscheuten liberalen Funktionalismus waren, waren weiterhin in Verwendung. Daneben aber entstanden auch viele Schriften, die die gleichgeschaltete „volkhafte Wesensart“ widerspiegeln sollten: Tannenberg, Gotenburg, Deutschland Deutschmeister, Großdeutsch, Kurmark oder National. Im Vergleich zu älteren gebrochenen Schriften waren diese neuen Typen schnörkellos und stark vereinfacht, was eigentlich der neuen Sachlichkeit entsprach. Man nennt diese Typen deshalb auch gebrochene Grotesk oder Fraktur-Grotesk. Zudem erlebten im Nationalsozialismus die Runen als altgermanisches Alphabet ein Revival. Besonders die s-förmige Sonnen-Rune symbolisierte die Kraft des Sieges. Paarweise kennt man diese Rune heute als Zeichen der SS, alleine wurde sie aber auch als Symbol des Deutschen Jungvolkes verwendet.

Obwohl die als liberal eingestufte Neue Typographie von den Nazis verboten und ihre Vertreter abgesetzt wurden, besaßen auch die in der NS-Zeit gezeichneten Neune Fraktur-Schriften eine größere Sachlichkeit als ihre Vorläufer. Viele dieser Typen werden deshalb heute als Fraktur-Grotesken eingestuft.

Die totale Kehrtwende erfolgte 1941 als Adolf Hitler ein Schrift-Verdikt erließ, in dem die „jüdische“ Fraktur verboten und die „nicht-jüdische“ Antiqua zur Normalschrift des deutschen Reiches erklärt wurde. Es hieß, die gotische Schrift bestand eigentlich aus Schwabacher Judenlettern. Tatsächlich war dies mehr ein Vorwand, denn die Nazi standen vor einem anderen Problem: Mit der Ausbreitung des Dritten Reichs benötigte Hitler eine Schrift, die von allen Untertanen gelesen werden konnte, was ihn zur Rückkehr zur lateinischen Druck- und Schreibweise bewegt. Dies bedeutete das Ende der Fraktur. Doch obwohl es de facto die Nationalsozialisten selbst waren, die die gebrochenen Schriften abschafften, konnten sie sich bis heute nicht von dem schlechten Ruf befreien, der ihnen seit damals anhaftet. 

Entwicklungen nach dem zweiten Weltkrieg

Nach 1945 hatte man in Deutschland und Österreich zunächst wenig Gehör für den Ruf nach sachlicher Gestaltung wie sie vor dem Krieg durch die „Neue Typografie“ praktiziert worden war. Die Wirtschaft lag brach und damit auch das grafische Gewerbe. Fast alle deutschen Schriftgießereien und unzählige Verlage und Druckereien waren zerstört worden. Dennoch sehnten sich die Menschen nach Kultur und Literatur und man versuchte, dem Wunsch nach guter Lektüre so gut wie möglich nachzukommen, zum Beispiel mit den günstigen Rowohlt-Taschenbüchern, die anfangs noch auf Zeitungspapier gedruckt wurden. 

Auch das Bedürfnis nach Harmonie war nach dem Krieg groß, weshalb man sich in der Typografie selbst mehr am „gefühlsbetonten“ Humanismus als am radikalen Funktionalismus orientierte. In den USA führten ehemalige Bauhäusler wie Moholy-Nagy und Herbert Bayer die sachliche Typografie weiter, in Deutschland und Österreich orientierten sich die neohumanistischen Typografen und Schriftgestalter zunächst an der Antiqua. Charakteristisch für die „neutypografische“ Gestaltung waren elegante Renaissance-Antiqua-Typen und Flattersatz, der die Komposition sanft bewegen sollte. Neben der Verwendung von bestehenden Antiqua-Schriften wurden auch zahlreiche neue Schriften gezeichnet, was dem Bedarf an schönen und gut lesbaren Werksatzschriften entgegenkam. Neben der Serifen-Antiqua entstanden im Bemühen um einen „humanen“ Charakter auch kalligrafisch inspirierte Typen. Einer der wichtigsten Schriftgestalter dieser Zeit war Hermann Zapf, der seit 1938 bei der Frankfurter Stempel AG tätig war. Von ihm erschienen u.a. die klassische Palatino, die Michelangelo, die Sistina und die zwischen Antiqua und Grotesk angesiedelte Optima, die bis heute vor allem bei Kosmetikmarken wie der kultigen Aesop beliebt ist. Die Verspieltheit der Fifties, die man heute im Kopf hat, zeigte sich nach dem Krieg vor allem in den USA, dem Kriegssieger und Land des ungebremsten Wirtschaftswachstums. Im Laufe der 50er sah man aber auch in der deutschsprachigen Werbung mehr und mehr buntes Treiben. Für die vielen Illustrierten brauchte es dekorative Akzidenztypen, was einerseits zum Revival der Egyptienne führte, andererseits zur Entstehung schwungvoller Schreibschriften und Pinselschriften nach US-Vorbild. 

Einer der wichtigsten Schriftgestalter des Neo-Humanismus war Hermann Zapf, dessen Optima – eine Mischung aus Antiqua und Grotesk – noch heute beliebt ist. Beispiel unten: Logo der heutigen Beauty-Marke Aesop.

Aufgrund der aus Deutschland emigrierten Typografen, etablierte sich die vor dem zweiten Weltkrieg entstandene „Neue Typografie“ vor allem in der neutralen Schweiz und konnte dort auch während dem Krieg betrieben werden. Ab circa 1955 entwickelte sich auf Grundlage der bereits existierenden elementaren Gestaltungsrichtlinien die „Schweizer Typografie“. Charakteristisch für diese sind bis heute die Verwendung von Grotesk-Schriften und Gestaltungsrastern, eine asymmetrische sachliche Komposition, viel Weißraum und der Verzicht auf alle nicht notwendigen Schmuckelemente. Bekannte Typografen, die den „Swiss Style“ prägten, sind u.a. Max Bill, Adrian Frutiger, Max Miedinger und Josef Müller-Brockmann. Auch in der Entwicklung neuer Grotesk-Schriften waren die Schweizer Gestalter aktiv: Frutiger veröffentlichte Ende der 1950er die Grotesk-Familie „Univers“ und Miedinger schnitt 1957 nach der Vorlage der Akzidenz-Grotesk die „Helvetica“. 

Swiss Style pur: 1957 schnitt der Schweizer Max Miedinger nach dem Vorbild der 1898 herausgegebenen AG die Helvetica.

Mit der Zeit fiel die moderne Schweizer Typografie auch in Deutschland wieder auf fruchtbaren Boden – vor allem bei jüngeren Gestaltern wie Anton Stankowski, Herbert Kapitzki oder den Herausgebern der funktionalistisch gestalteten Zeitschrift „magnum“ von Karl Pawek und Alfred Neven DuMont. Auch Günter Gerhard Lange war einer der Typografen, die den Grotesken, allen voran der Akzidenz-Grotesk, wieder zum landesweiten Durchbruch verhalfen. Günter Lange war viele Jahre künstlerischer Leiter der Berthold AG, die bereits 1898 die AG herausgegeben hatte und gilt bis heute weltweit als einer der einflussreichsten Schriftgestalter und Unterstützer von Schriftqualität. 1961 schuf er die Berthold-Schriftenbibliothek, die mit ihrer Präzision für eine neue Qualität im Bereich Titel- und Werksatzschriften sorgte. 

Die Schweizer Typografie fand vor allem bei jüngeren deutschen Typografen Anklang – sowie auch bei den Herausgebern des magnum-Magazins, das im Gegensatz zu anderen neo-humanistisch orientierten Illustrierten funktionalistisch gestaltet war.

1953 hatten Max Bill, Otl Aicher und seine Frau Inge Aicher-Scholl in der Tradition des Bauhaus die „hochschule für gestaltung ulm“ gegründet, in der sich die anfängliche Typografie-Werkstatt im Bereich der visuellen Gestaltung weiter zur Disziplin der „Visuellen Kommunikation“ entwickelte. Wie das Bauhaus favorisierte auch die hfg ulm nahezu ausschließlich Grotesken. Ab den 1960er-Jahren setzte sich die sachliche Gestaltung schließlich auch wieder in Deutschland und Österreich nach und nach durch. Paradebeispiel der wieder auflebenden sachlich-schlichten Typografie ist das von Otl Aicher 1962 gestaltete Corporate Design der Lufthansa. Die sachlichen Gestalter der 50er und 60er wollte es mit ihren Experimenten mit Linie, Form und Farbe noch weiter treiben als ihre Vorbilder des Bauhaus. So kam es auch zu Überschneidungen mit der zeitgenössischen Op-Art – durch den künstlerischen Einsatz geometrischer Formen kam es auch in der Grafik zu völlig neuen optischen Wirkungen.  

Mit Linien, Formen und Farben trieben die sachlichen Gestalter der 50er- und 60er-Jahre ihre Experimente noch weiter als die Bauhäusler, was teilweise zu Überschneidungen mit der damaligen Optical Art führte – wie hier bei Kapitzkis Kleinplakaten für die Stuttgarter Nachrichten.

Sex, Politik und Design

Zeitgleich begann eine noch jüngere Generation an der sachlichen Gestaltung Kritik zu üben. Eine sexuell freizügige und politisch kritische Jugend setzte den Funktionalismus mit „Funktionieren“ gleich und sah in der Gestaltung keinerlei individuelle Selbstentfaltung. Ihre Antwort waren Pop-Art, Flower Power, psychedelisches Design und zugleich Nostalgie. Jüngere Gestalter lehnten jegliche Art von einengender Geometrie ab – von rechten Winkeln zum gesamten Rastersystem. Rock und Pop wurden zum Ausdruck ihres rebellischen Lebensgefühl und mit ihnen Schallplattenhüllen und Konzertplakate. Cover und Poster wurden mit bunten Farben, runden Formen und fetten Typen gestaltet. Daneben schwappte eine Nostalgiewelle über die Typografie, die die Gestaltung à la Alfons Mucha und Aubrey Beardsley und mit ihnen die romantischen Zierschriften des Jugendstils wieder aufleben ließ. Ende der 70er-Jahre brach die neue Ära des Punk-Grafikdesigns an und kurz darauf betrat Neville Brody mit dem Jugend- und Modemagazin „The Face“ die typografische Bühne. Plötzlich schien es kein typografisches Tabu mehr zu geben: „Anything goes“, sozusagen. 

Neben dem Punk-Design der 70er-Jahre veränderte auch Neville Brodys Magazin “The Face” die typografische Bühne: “Anything goes” war sein Motto.

Typografie in der DDR 

In der DDR-Diktatur entwickelte sich die Typografie bis in die späten 1980er Jahre nur schleppend weiter. Kultureller Austausch mit dem Westen war in den Akademien in Leipzig oder Berlin unerwünscht. Westliche Gebrauchs- und Werbetypografie galt als kapitalistisch und künstlerische Systemkritik wurde ohne Ausnahme sanktioniert. Die Typografie der DDR sollte im Kontext der Buchtypografie des späten 19. Jahrhunderts verstanden werden, d.h. sie hatte vor allem aus Perspektive des Lesens Bedeutung zu haben. So blieben die künstlerischen und technischen Bedingungen für die Typografie bis zum Ende der DDR weit hinter den westlichen zurück.  

Während sich im Westen die Typen schwungvoll und schrill über Reklame, Plakate & Co. legten, lehnte man in der DDR die kapitalistische Werbetypografie völlig ab – Schrift und Druck wurden vor allem im Sinne der Lesetypografie verstanden.

Vom ersten Computer zum Desktop-Publishing 

Ab 1945 entwickelte sich aus Mathematik, Elektrotechnik und Nachrichtentechnik die Informatik, die die Schrifttechnologie grundlegend verändern sollte. 1970 revolutionierte der Fotosatz erstmals den Schriftsatz. Mittels eines optischen Verfahrens mit sichtbarem Licht wurden Schriftzeichen belichtet und auf einen Trägerfilm übertragen. Typografen hatten dadurch mehr gestalterische Freiheit, da Buchstaben einer bestehenden Schrift im Druck verändert – zum Beispiel verzerrt – werden konnten.  1975 eroberte der erste Micro-Computer die USA, aus dem bald der erste PC (Personal Computer) entstehen sollte – von da an war es bis zum Desktop-Publishing nicht mehr weit. Mit der fortschreitenden Technologie ging ein Informationsboom einher, der die Typografie herausforderte, sich in allen Bereichen zu verbessern – vom Druck bis zur Schrift, die im Fernsehen gezeigt wurde. Anfang der 1980er-Jahre gründete John Warnock das Software-Unternehmen Adobe Systems. Zusammen mit Apple revolutionierten sie die Typografie mit dem Desktop-Publishing und der Software „Page Maker“ von Paul Brainard für den Apple Macintosh Computer. Der PC löste den Fotosatz ab und mit dem neuen DTP entstanden auch neue Medien, Berufe, Ausbildungsstätten und Betrachtungsweisen der Typografie. Die Schrift verließ erstmals den analogen Raum. Gestalter wie der bereits zuvor genannte Neville Brody und David Carson waren die ersten bekannten Vertreter dieses neuen digital-typografischen Ausdrucks. Ab den 1990er-Jahren wurden vorhandene Schriften vergangener Epochen digitalisiert, wodurch eine Fülle an Repliken, Remakes und Formvarianten entstanden. In dieser neuen Type-Community entstanden neue Schriftbibliotheken und Type Foundries, die ihre Schriften digital verteilten. Die Herausforderung für die Typografie im raschen Wandel der Digitalisierung lag nun darin, den Standard vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte aufrecht zu erhalten und zugleich das sich immer weiter zunehmende Potential des Digitalen auszuschöpfen.

Das Desktop-Publishing – allen voran mit Adobes Software Page Maker – revolutionierte Anfang der 1980er-Jahre die Typografie.

Mit der Entwicklung des Internets entstanden auch die ersten Web- und Screen-Typen, die nur für den Bildschirm gedacht waren. Nach Tausenden von Jahren verließ die Schrift erstmals das materielle Trägermedium und nahm nur noch virtuelle Formen an. Matthew Carter war mit seiner Verdana einer der ersten, der einen Font für das Lesen am Bildschirm entwarf. 

Nach der Erfindung des Buchdrucks wurde mit der Digitalisierung der Typografie die Schrift ein weiteres Stück demokratisiert. Doch eines ist uns bis heute erhalten geblieben: Die Antiqua-Schrift, wie sie bereits in der Renaissance geprägt wurde, ist auch heute noch die verbindliche Verkehrsschrift der westlichen Welt. 


Literatur

Beinert, Wolfgang. Typografie [online]. Typolexikon, 2021-08-25 [Letzter Zugriff am 2021-12-24]. Verfügbar über: https://www.typolexikon.de/typografie/

Beinert, Wolfgang. Schriftgeschichte [online]. Typolexikon, 2021-02-05 [Letzter Zugriff am 2021-12-24]. Verfügbar über: https://www.typolexikon.de/schriftgeschichte/

Blackwell, Lewis. Twentieth Century Type. München: Bangert, 1992. 

Gerdes, Claudia. „NS-Typografie“, in Günder, Gabriele (Hrsg.), Page 09.18.

Gerdes, Claudia. „Typo-Humanismus“, in Günder, Gabriele (Hrsg.), Page 11.18.

Gerdes, Claudia. „Von Op- zu Pop-Art“, in Günder, Gabriele (Hrsg.), Page 04.19.

Typografie – Geschichte 02

Von der Industrialisierung bis zur Neuen Typografie

Maschinen-Typo: Die Industrialisierung kehrt ein

Vom 18. bis ins 20. Jahrhundert hat sich in der Typografie sehr viel bewegt. Dazu trug zunächst einerseits die industrielle Revolution bei, die die industrielle Fertigung auch in der Buchdruckerkunst einführte. Andererseits kam neben dem Werk- und Zeitungsdruck die Reklame in Schwung. In allen Bereichen musste rasch und auflagenstark gedruckt werden, was vor allem beim Zeitungsdruck zur Einführung der Rotationsdpresse führte. Die erste Variante einer solchen Druckmaschine wurde 1873 auf der Weltausstellung von der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, der späteren MAN AG, vorgestellt. 1886 erfand der deutsch-amerikanische Ottmar Mergenthaler die Zeilensetzmaschine Linotype, die die Mechanisierung weiter in die Werkstätten der Setzer vordringen ließ. Davor waren die einzelnen Lettern und Ausschussstücke per Hand zu Zeilen zusammengesetzt worden. In den vorhergehenden Jahrhunderten hatten kleine Druckereien alle Arbeitsschritte der Drucksachenherstellung – vom Stempelschnitt bis zum fertigen Produkt – selbst übernommen. Um 1900 begann die industrielle Arbeitsteilung: Es entstanden große Schriftgießereien wie in Deutschland die Berliner Berthold AG, die andere kleine Firmen, u.a. die 1870 gegründete österreichische Poppelbaum-Gießerei, aufkaufte. Die großen Schriftgießereien konnten in hoher Geschwindigkeit gebrauchsfertige Drucktypen produzieren, was die Nachfrage der Großdruckereien auch verlangte. Diese hatten nämlich wiederum ein lesehungriges städtisches Publikum zu bedienen. 

Die Linotype-Maschine, erfunden von Ottmar Mergenthaler, setzte die Buchstaben bereits maschinell zu einer Zeile zusammen und löste den Satz von Hand ab.

Quantität statt Qualität?

Obwohl das Geschäft florierte, brachte die Technisierung auch Nachteile. Über Jahrhunderte hatte sich in der Typografie ein hoher künstlerischer Anspruch an die Schrift entwickelt. Die Kalligrafie war bis dato die Grundlage für wohlproportionierte und ästhetisch ansprechende Typen der Satzschrift gewesen. Nun riss diese Verbindung ab: Die modernen Stempelschneider befreiten die in Handarbeit entstandenen Vorlagen von ihren „Ungleichmäßigkeiten“. Egal ob gebrochene Schriften oder Antiqua, alle Dickten wurden vereinheitlicht und Ober- und Unterlängen sowie Kontraste zwischen Grund- und Haarlinie nivelliert. Das Ergebnis waren Satzschriften, die allesamt ähnlich aussehen und oft viel zu dünn verliefen, um eine gute Lesbarkeit zu garantieren. Gleichzeitig gab man sich Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts dem Historismus hin und frönte typografischen Ornamenten und üppigem Akzidenz- und Auszeichnungssatz. Der Grund? Obwohl Drucksachen maschinell produziert wurden, sollten sie trotzdem wie aufwendig gestaltete Handwerkskunst aussehen. In Massen gegossene Versatzstücke wie Zierlinien, Einfassungen oder Schmuckfiguren lagen in den Setzereien bereit, um wahllos kombiniert zu werden.

Um 1900 frönten die Druckereien dem Historismus und versuchten mit massenweise produzierten verschnörkelten Versatzstücken die vergangene Handwerkskunst maschinell zu imitieren.

Das Kunstgewerbe entsteht

Der Brite William Morris war einer der ersten, die Kritik an den maschinellen Surrogaten übte. Er begründete die englische Arts and Crafts-Bewegung und bereitete damit den Weg für ein Kunstgewerbe, in dem wieder von Hand gearbeitet wurde. 1890 gründete er die Kelmscott Press, in der kostbare Werke englischer Dichter in geringer Auflage auf Handpressen gedruckt wurden. Morris studierte die Renaissance mit künstlerischem Ernst und entwickelte die Antiqua Golden Type nach dem Vorbild der Schriften des französischen Typografen Nicolas Jenson aus dem 15. Jahrhundert. Daneben schuf Morris auch die Troy Type und Chaucer Type, die Elemente der Gotik, also einer gebrochenen Schrift, und Antiqua verbanden. Viele Typografen begannen, sich wieder auf die Kunst der Typografie zu besinnen und so entstand neben der Maschinerie ein Druckergewerbe, das der Tradition der Frühdruckzeit folgte. 

William Morris begründete die Arts and Crafts-Bewegung und brachte u.a. die hier abgebildete Antiqua Golden Type hervor. Entgegen dem Historismus versuchte er mit künstlerischem Ernst und tatsächlicher Handarbeit der feinen Typografie des 15. Jahrhunderts zu folgen.

Von der Jugend zum Jugendstil 

Neben den Traditionalisten gab es auch jene, die nach vorne blickten, um dem Historismus mit gestalterischer Authentizität den Kampf anzusagen. Der Österreicher Rudolf von Larisch gründete die Schriftbewegung und plädierte für ein ästhetisches Gesamtbild in der Typografie. Damit stand er bereits den Idealen des Jugendstils nahe. 1896 wurde in München das Magazin „Jugend“ gegründet, das dem Stil des Art Nouveau im deutschsprachigen Raum seinen Namen geben sollte. Die Jugend forderte eine Befreiung von allem historisierenden Pomp und engagierte berühmte Gestalter wie Otto Eckmann, Peter Behrens oder Bernhard Pankok für Illustrationen, Initialen bzw. Vignetten und Randleisten. Der frische Stil sorgte für Aufsehen, was moderne Verleger dazu brachte, Jugendstilkünstler auch für die Gestaltung von Büchern zu engagieren. Um für stilistischen Gleichklang zwischen Mengensatz und Schmuckbuchstaben zu sorgen, schufen Otto Eckmann und Peter Behrens um die Jahrhundertwende jeweils eigene Jugendstil-Typen für den Fließtext. Doch eigentlich besaß Peter Behrens Schrift eine Sachlichkeit, die bereits andeutete, dass auch der anfangs so radikal wirkende Jugendstil seinen Zenit bald überschritten haben würde. Wie zuvor die Ornamente des Historismus produziert worden waren, brachten die Schriftgießereien um die Jahrhundertwende massenweise stilisierte Blütenranken und Linien im Stil des Art Nouveau hervor. Bald wurde wieder der Ruf nach mehr Schlichtheit laut, dem man jedoch erst nach dem ersten Weltkrieg wirklich nachkommen konnte. 

Unterschiedliche Cover des Magazin “Jugend”, das dem Stil im deutschsprachigen Raum seinen Namen gab.
Die Jugendstilschrift von Peter Behrens besaß bereits eine Sachlichkeit, die die nahende Abstraktion der Typografie schon erahnen ließ.

Mit der Werbung zur Gebrauchsgrafik 

Neben der Entwicklung des Kunstgewerbes bis hin zum Jugendstil an der Wende zum 20. Jahrhundert, ist aus typografischer Sicht noch eine andere Entwicklung des 19. Jahrhunderts von Bedeutung: Jene der Werbung. Mit der Industrialisierung entdeckten Wirtschaftstreibende die Reklame für sich. 1885 schrieb die Berliner Börsenzeitung, dass „die Reklame die moderne Waffe im geistigen Kampf ums Dasein“ sei. Das größte Problem der Werbung war jedoch die gestalterische Unwissenheit der Setzer. Zeitungssetzer waren plötzlich gefordert, plakative Inserate zu gestalten und versuchten mit dem Einsatz möglichst vieler Schriften möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzielen. Es mangelte an Auszeichnungsschriften, die sich für Werbezwecke eigneten. Diesem Bedarf nachkommend, entwickelte der Brite Vincent Figgins 1815 die Egyptienne, auf deren Basis viele weitere Schriften ihrer Art entstanden: optisch gleichbleibende Strichstärke mit blockartig gestalteten Serifen ohne Übergang. Der geometrische und kraftvolle Rhythmus der Egyptienne-Typen passte sehr gut ins Maschinenzeitalter. Zeitgleich veröffentlichte William Caslon auch die erste Grotesk-Schrift als Auszeichnungs-Type.

Die zunächst unerfahrenen Werbesetzer versuchten mit möglichst vielen Schriften Aufmerksamkeit auf ihre Inserate zu ziehen.

Die zuvor beschriebene Entwicklung des Jugendstils brachte im Weiteren auch einen Gesinnungswandel in der Werbung mit sich. Ein Großteil der Seiten der Jugend war mit Reklame gefüllt. Da der Anspruch der Gestalter hoch war, wurden auch die Inserate stilistisch passend gestaltet. Das Konzept begeisterte die Leserinnen und Leser, woraufhin Wirtschaftstreibende begannen, Künstler mit der Illustration ihrer Werbungen zu beauftragen. AEG war eines der Unternehmen, das die Publikumswirkung künstlerischer Werbegestaltung früh erkannte. 1907 beauftragten sie den Architekten, Maler und Typografen Peter Behrens als künstlerischen Berater. Behrens baute für AEG in der Folge neue Fabrikanlagen, entwarf technische Produkte und gestaltete mit seiner Behrens-Antiqua alle Drucksorten – die erste Corporate Identity war geboren. Neben den Künstlern, die für die Werbung tätig wurden, entstand nun auch der Beruf des professionellen Gebrauchsgrafikers. 

Abstrakte Sachlichkeit: Futurismus, Dadaismus, Konstruktivismus, De Stijl

Erst nach dem ersten Weltkrieg konnte man dem Ruf nach einer moderneren und schlichteren Typografie nachkommen. Schriftgießereien begannen nun, eine breite Palette von Werktypen bereitzustellen. Neben klassizistischen Antiqua-Schnitten rückten die Groteskschriften immer weiter in den Vordergrund. Bereits in der Kriegszeit rebellierten Futuristen und Dadaisten gegen künstlerische Traditionen, eine Revolution der Kunst trat jedoch erst um 1920 ein. In ihren Manifesten und Einladungen zu Soireen ließen Vertreter wie Filippo Tommaso Marinetti, Tristan Tzara oder Richard Huelsenbeck die Buchstaben nur so umherfliegen. Während Futurismus und Dadaismus eine künstlerische Zerstörungslust an den Tag legten, fingen andere deutschsprachige Gestalter an, konstruktiver zu denken. Dabei spielte auch der in der Sowjetunion entwickelte Konstruktivismus eine große Rolle. Einer der Botschafter dieser Kunstrichtung, die die Gestaltung mit einfachen geometrischen Formen ins Zentrum rückte, war der russische Maler und Grafiker El Lissitzky. Lissitzky beeinflusste mit seiner abstrakten Formensprache viele Typografen. In Verbindung mit dem Konstruktivismus stand auch die niederländische De Stijl-Gruppe um Piet Mondrian und Theo van Doesburg, die ebenso eine sachlich-abstrakte, „elementare“ Gestaltung propagierte. In Deutschland wurde 1907 der Deutsche Werkbund gegründet, der als Keimzelle der modernen visuellen Gestaltung gilt. Unter den Mitgliedern waren der deutsche Architekt und Gestalter Walter Gropius sowie Peter Behrens. Den Gründern des Werkbunds ging es vor allem um eine sachliche Art der Formgebung, die sich aus Zweck, Material und Konstruktion ergeben sollte – kurz: form follows function

Das Bauhaus

1919 gründete Walter Gropius das Staatliche Bauhaus in Weimar und ebnete damit den weiteren Weg in Richtung typografischer Abstraktion. Das Bauhaus gilt bis heute als einflussreichste Bildungsstätte im Bereich Architektur, Kunst und Design im 20. Jahrhundert. Sein Ursprungsgedanke war die Emanzipation der Kunst von der Industrialisierung und damit die Wiederbelebung des Kunsthandwerks – jedoch in einem modernen Sinn. Das Bauhaus war damit der Gegenentwurf zur Ästhetik des Historismus und später auch des Jugendstils, in denen Ornamente durch die industrielle Massenproduktion seriell kopiert wurden. Mit der Rückbesinnung auf das Handwerk wollte man auf moderne und experimentelle Weise eine neue Formensprache entwickeln, die dem industriellen Herstellungsprozess gerecht würde. 1923 holte Gropius den konstruktivistischen ungarischen Maler Lázló Moholy-Nagy ans Bauhaus, der dort die Typografie zu einem Schwerpunkt machte. Das Bauhaus folgte dem typografischen Trend zum Elementaren: Groteskschriften, ein asymmetrischer, aber funktionaler Seitenaufbau, der natürliche Schwerpunkte zulässt (Stichwort: typografische Rastersysteme), viel Schwarz-Weiß und gelegentlich Rot als Akzent. Die auch heute noch oft verwendete durchgängige Kleinschreibung fand ebenso am Bauhaus seinen Anfang. Die Bauhaus-Erklärung auf ihrem Briefbogen dazu: „warum zwei alfabete, wenn eins dasselbe erreicht? warum groß schreiben, wenn man nicht groß sprechen kann?“ Für die Bauhäusler wurde ihre Grotesk-Typografie einer jungen Industriegesellschaft gerecht, die zugleich Fortschritt, Internationalität, aber auch eine sozial orientierte Fraternisierung symbolisierte. 1925 wurde das Bauhaus nach Dessau verlegt, wo sich aus Moholy-Nagys Typografie-Werkstatt eine Druckerei- und Reklamewerkstatt entwickelte, die weiter zum Atelier für Grafikdesign ausgebaut wurde. An dieser Entwicklung waren besonders auch die Gestalter Joost Schmidt und Herbert Bayer beteiligt. 

Die „Neue Typografie“ 

Obwohl das Bauhaus bis heute synonym für eine neue Art der Typografie steht, gehörte ihr eigentlicher Theoretiker nicht zur Kunstschule: Jan Tschichold. Mit einem Aufsatz in einem Sonderheft der Leipziger „Typographischen Mitteilungen“ beschrieb er die Thesen seiner „Elementaren Typografie“. Einige der Thesen aus diesem Aufsatz sind nachfolgend gelistet:

  • Die neue Typografie ist zweckbetont. 
  • Zweck jeder Typografie ist Mitteilung, deren Mittel sie darstellt. Die Mitteilung muss in kürzester, einfachster, eindringlichster Form erscheinen. 
  • Elementare Schriftform ist die Groteskschrift aller Variationen: mager, halbfett, fett, schmal bis breit. 
  • Schriften, die bestimmten Stilarten angehören oder beschränkt nationalen Charakter tragen (Gotisch, Fraktur, Kirchenslavisch), sind nicht elementar gestaltet und beschränken zum Teil die internationale Verständigungsmöglichkeiten. 
  • Auch die unbedruckten Teile des Papiers sind ebenso wie die gedruckten Formen Mittel der Gestaltung.
  • Elementare Gestaltung schließt die Anwendung jeden Ornaments aus. Die Anwendung von Linien und an sich elementaren Formen (Quadraten, Kreisen, Dreiecken) muss zwingend in der Gesamtkonstruktion begründet sein. 

Neben Jan Tschichold war Willi Baumeister einer der einflussreichsten neuen Typografen. Auch er sprach sich gegen eine symmetrische Ordnung aus (siehe oben linke Seite) und plädierte für einen Schriftsatz, der dem natürlichen Sehen und Lesen (siehe oben rechte Seite) nachkam und den Weißraum als Gestaltungselement miteinbezog. Jeglicher opulent gestalteter Werbung setzte er entgegen: „Telegrammstil ins Optische übertragen. Rapid muß ein Plakat, eine Anzeige mit dem Auge gefaßt und abgelesen werden können.“ 

Obwohl es an Regeln nicht mangelte, fehlte es den neuen Typografen lange an einer Schrift, die ihrem Streben nach Unpersönlichkeit und Zeitlosigkeit nachkam. Grotesk-Schriften für Akzidenzen konnten selbst gezeichnet werden, aber eine geeignete Schrift für den Mengensatz war noch nicht vorhanden. Obwohl Jan Tschichold aufgrund der Lesbarkeit für den Fließtext zunächst auch eine unaufdringliche, sachliche Antiqua empfahl, verwendete er selbst für sein Handbuch der „Neuen Typographie“ eine serifenlosen Schrift: die Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Akzidenz-Grotesk der Berthold AG. Trotzdem waren sich die modernen Gestalter einig, dass eine neue Schrift für ihre neue Typografie geschaffen werden musste. Großen Erfolg hatte in der Folge Paul Renner mit seiner Futura. Die Schrift basierte auf den geometrischen Formen Kreis, Dreieck und Quadrat und wurde damit zum Favoriten aller Modernisten.

Mit seiner Futura kam Paul Renner dem Wunsch der “Neuen Typografen” nach einer modernen geometrischen Grotesk nach.

Zug um Zug eroberte die Grotesk-Typografie ab 1920 Europa. Die Gestaltung wurde durch ein Aufeinanderprallen von modernen, avantgardistischen und traditionellen Ansätzen konstruktiv vorangetrieben – bis Faschismus und Nationalsozialismus an die Macht kamen. 


Literatur

Beinert, Wolfgang. Typografie [online]. Typolexikon, 2021-08-25 [Letzter Zugriff am 2021-12-24]. Verfügbar über: https://www.typolexikon.de/typografie/

Beinert, Wolfgang. Schriftgeschichte [online]. Typolexikon, 2021-02-05 [Letzter Zugriff am 2021-12-24]. Verfügbar über: https://www.typolexikon.de/schriftgeschichte/

Blackwell, Lewis. Twentieth Century Type. München: Bangert, 1992. 

Gerdes, Claudia. „Typo um 1900“, in Günder, Gariele (Hrsg.), Page 03.18. 

Gerdes, Claudia. „Reklamekunst“, in Günder, Gabriele (Hrsg.), Page 05.18.

Gerdes, Claudia. „So wurde Type modern!“, in Günder, Gabriele (Hrsg.), Page 07.18.

Gerdes, Claudia. Was ist elementare Typografie? Jan Tschichold hatte da ganz klare Antworten [online]. Page Online, 2018-05-13 [Letzter Zugriff am 2022-01-01]. Verfügbar über: https://page-online.de/typografie/was-ist-elementare-typographie-jan-tschichold-hatte-da-ganz-klare-antworten/

Tschichold, Jan. Die Neue Typographie : Ein Hand für zeitgemäß Schaffende. Berlin: Brinkmann und Bose, 1987.

Typografie – Geschichte 01

Von der Entwicklung der Schrift bis zum 19. Jahrhundert

Möchte man die Historie der Typografie betrachten, stellt sich unweigerlich die Frage, wo anzufangen. Da Typografie nicht ohne Schrift existieren könnte, liegt es nahe im Zeitraffer ganz vorne zu beginnen.  

Entwicklung der Schrift

Menschen begannen an unterschiedlichen Orten der Erde zu unterschiedlichen Zeitpunkten Schrift zu entwickeln. Während es bereits Funde chinesischer Zeichen aus dem 7. bis 6. Jahrtausend vor Christus gibt, werden die ersten allgemein anerkannten Vorläufer der Schrift auf circa 3.500 v. Chr. datiert. Diese entwickelten sich zur Keilschrift, die wiederum über Jahrtausende von der modernen Silben- und Buchstabenschrift abgelöst wurden. Die arabische Schrift, die hebräische Schrift und auch unser lateinisches Alphabet haben ihren Ursprung in der phönizischen Schrift, die vor circa 3.100 Jahren entstand. Die Griechen als Handelspartner der Phönizier übernahmen deren Schrift und entwickelten sie ab circa 900 v. Chr. weiter. Die von den Griechen perfektionierte phönizische Alphabetschrift gelangte zu den Etruskern im nördlichen Mittelitalien. Ab circa 500 v. Chr. eroberten die Römer den Mittelmeerraum und entwickelten die lateinische Schrift. Durch die Ausdehnung des römischen Imperiums hielt das lateinische Alphabet in ganz Europa Einzug und verdrängte auch die in Nordeuropa bis dahin verwendeten Runen. Nach Zusammenbruch des weströmischen Reiches wurde das Wissen um die Schrift nur in den Klöstern bewahrt, womit das Schreiben den Geistlichen, teils auch den Adeligen, vorbehalten war. 

Gutenbergs Buchdruck: Die Typografie beginnt

Als Geburtsstunde der europäischen Typografie gilt die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern ab 1450 durch den Mainzer Prototypografen Johannes Gutenberg. Rund achtzig Jahre zuvor wurden in Korea bereits Anthologien der Zen-Lehre buddhistischer Priester in Han-Schriftzeichen gesetzt. Dies geschah mit beweglichen Metalllettern. Aufgrund der komplexen Hanja-Schrift mit ihren Tausenden Schriftzeichen konnte sich dort der Buchdruck jedoch noch nicht durchsetzen – im Gegensatz zu Gutenbergs Typografie. Gutenberg verfolgte eine ähnliche Satz- und Drucktechnik wie die Koreaner, profitierte aber von der relativen Einfachheit des lateinischen Alphabets mit nur wenigen Majuskeln, Minuskeln, Ligaturen und Sonderzeichen. Der Buchdruck setzte eine mediale Revolution in Europa in Gang, der den zuvor elitären Schriftgebrauch grundlegend revolutionierte. Schrift wurde demokratisiert. Ideen und Wissen konnten maschinell reproduziert und verteilt werden, was einen gesellschaftlichen Strukturwandel nach sich zog. Das Resultat: Humanismus, Aufklärung und die Entdogmatisierung der Wissenschaft waren untrennbar mit Typografie verbunden. Bereits fünfzig Jahre nach Gutenbergs Erfindung gab es in Europa über Tausend Offizinen (Buchdruckereien), in denen bereits 30.000 Buchtitel erschienen waren. 

Von Deutschland nach Italien

Die Buchdruckerkunst wird auch „Schwarze Kunst“ oder „Deutsche Kunst“ genannt, da der Buchdruck von Deutschland aus Europa eroberte. Viele Prototypografen emigrierten im 15. Jahrhundert jedoch nach Italien und machten mit ihrem Wissen ab 1470 vor allem Venedig zum wichtigsten Zentrum der Typografie. Venezianische Stadtchroniken verzeichnen zwischen 1470 und 1480 an die fünfzig Typografen in der Stadt – beinahe alle mit deutscher Herkunft. Die folgenden Generationen deutsch-italienischer Typografen bewahrten Venedigs Ruf als Typografie-Hochburg bis ins 18. Jahrhundert. Einer ihrer bedeutsamsten war der venezianische Buchdrucker und Verleger Aldo Manuzio. Er war es, der bei Francesco Griffo die berühmte Bembo-Schrift im Auftrag gab. Bis ins 20. Jahrhundert hieß die Schrift eigentlich De Aetna-Type, da sie für den Druck der Abhandlung De Aetna des Humanisten und späteren Kardinals Pietro Bembo geschnitten wurde, die in der Druckerei von Aldo Manuzio gedruckt wurde. Die Bembo-Type bildete die Grundlage für die nachfolgende, bekanntere Garamond-Schrift. 1929 wurde die Bembo neu gezeichnet und nach Pietro Bembo benannt – und zählte bis Mitte des 20. Jahrhunderts zu den erfolgreichsten Werksatzschriften in Europa. (Anmerkung: „Werksatz“ bezeichnet den Satz von Werken mit umfangreicherem Fließtext wie Bücher und Periodika, aber auch Zeitungen und Zeitschriften.) Doch nicht nur in Venedig ließen sich deutsche Typografen nieder, sondern auch weiter südlich. So war es Rom, wo ab 1467 die erste reine Form der Antiqua-Schrift gedruckt wurde.

Die Bembo-Type wurden von Francesco Griffo im Auftrag von Aldo Manuzio geschnitten und erstmals 1496 gedruckt. Die Prototype gilt als typometrische Grundlage für die nachfolgende und berühmtere Garamond-Schrift. Das Beispiel zeigt eine Bembo von 1990.
Beispiel einer reinen Antiqua-Schrift, wie sie im 15. Jahrhundert in Rom gedruckt wurde.

Antiqua versus Fraktur

Während sich im Süden Europas die Antiqua-Typografie über die Jahrhunderte ausbreitete, wurde in Deutschland seit den Reformationsschriften Martin Luthers im frühen 16. Jahrhundert die gebrochene Schrift kultiviert. Worin nun der Unterschied zwischen Antiqua-Schriften und gebrochenen Schriften liegt, soll nachfolgend geklärt werden. 

Antiqua-Schriften bezeichnen Schriften für das lateinische Alphabet, die auf einer bestimmten Buchschrift des italienischen Renaissance-Humanismus beruhen. Antiqua-Schriften haben gerundete Bögen – das unterscheidet sie von gebrochenen Schriften. Innerhalb der Schriftgattung der Antiqua unterscheidet man zunächst Schriften mit Endstrichen (Serifenschriften, Serifen-Antiqua) und endstrichlose Schriften (serifenlose Antiqua). Serifenlose Antiqua-Schriften werden im Englischen als Sans-serif bezeichnet, im Deutschen oft auch als Grotesk. Innerhalb der Serifen-Antiqua gibt es weitere Klassifizierungen, die jedoch in einem weiteren Beitrag beleuchtet werden sollen. Nach dem Schnitt der Bembo-Type war es vor allem der französische Typograf Claude Garamond, der bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts die Weiterentwicklung der Antiqua-Schriften vorantrieb. Seinem Schaffen ist es zu verdanken, dass sich neben Venedig ab der Mitte des 18. Jahrhunderts auch Paris und London zu impulsgebenden Hauptstädten der Typografie entwickelten. In Frankreich war es u.a. Pierre Simon Fournier, in London waren es besonders John Baskerville und William Caslon, die Garamonds typografischer Tradition folgten.

Neben den Antiqua-Schriften gibt es gebrochene Schriften, Schreibschriften und fremde Schriften. Schreibschriften ahmen die Handschrift nach; die Buchstaben sind hier verbunden. Fremde Schriften sind jene, die nicht das lateinische Alphabet verwenden – also etwa Chinesisch, Kyrillisch, Arabisch, Griechisch oder Hebräisch. In Gegenüberstellung zur Antiqua sind vor allem die gebrochenen Schriften von Bedeutung. Die Fraktur (vom lat. fractura für „Bruch“) ist eigentlich eine Schriftart aus der Gruppe der gebrochenen Schriften, die insgesamt die gotische Schrift (Gotisch und Rundgotisch bzw. Rotunda), die Schwabacher und die Fraktur mit all ihren Varianten umfasst. Nach Forssmann und de Jong ist es aber durchaus üblich für alle drei Arten der gebrochenen Schrift die Bezeichnung „Fraktur“ zu verwenden. Von „gebrochenen“ Schriften ist deshalb die Rede, da die Rundungen der Buchstaben nicht rund, sondern gebrochen sind. Die Fraktur war vom frühen 16. Jahrhundert bis Anfang des 20. Jahrhunderts die meistbenutzte Druckschrift im deutschsprachigen sowie nordeuropäischen Raum und stand in Konkurrenz zur Antiqua mit ihren runden Bögen. 

Der Antiqua-Fraktur-Streit in Deutschland

Aus dieser Konkurrenz heraus entstand in Deutschland der Antiqua-Fraktur-Streit über den Stellenwert von gebrochenen Schriften für die geschriebene deutsche Sprache. Im Fokus des Streits stand vor allem auch die klassische deutsche Nationalliteratur. In welcher Schrift diese Literatur erscheinen sollte, war von wesentlicher Bedeutung ­– dadurch gewann auch die typografische Gestaltungsarbeit zunehmend an Ansehen. Im weitesten Sinne dauerte der Antiqua-Fraktur-Streit zwei Jahrhunderte bis sich die Antiqua schlussendlich durchsetzte: In der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde deutsche Sprache ausschließlich in gebrochener Schrift geschrieben, zur Hälfte des 20. Jahrhunderts war sie fast vollständig verschwunden. Während die Antiqua die Fraktur als Buch- und Druckschrift Zug um Zug ablöste, wurde bei Schreibschriften und Schullehrplänen länger diskutiert, welche Schrift nun die geeignetere wäre. 1941 kam es jedoch zum Normalschrifterlass, was die Umstellung der Schulbücher auf Antiqua-Schriften rasch beschleunigte. 

Zwei Jahrhunderte dauerte der Streit in Deutschland, ob nun die runde Antiqua-Schrift oder gebrochene Schriften die geeigneteren für das Schreiben der deutschen Sprache seien.

Um 1800 definierte der Leipziger Typograf und Verleger Georg Joachim Göschen die Typografie als „ästhetisches Ausdruckssystem“ und orientierte sich in seinem Schaffen an der klassizistischen Schrift- und Buchgestaltung aus Italien und Frankreich: Giambattista Bodoni und Firmin Didot galten ihm als Vorbilder in seinem Bemühen um die ideale Verbindung von typografischer Form und literarischem Inhalt im Geiste der deutschen Klassik. Er produzierte Prunk-Editionen deutscher Klassiker in Antiqua-Schrift, die schon zu seiner Zeit zu begehrten Sammlerstücken und typografischen Luxusgütern wurden. Da das breitere deutsche Publikum jedoch an das Lesen gebrochener Schriften gewöhnt war, druckte Göschen seine Editionen auch parallel in Fraktur. 

… war einer der italienischen Typografen, an denen man sich in Deutschland im Zuge der Einführung von Antiqua-Schriften orientierte.

Industrialisierung der Typografie

Mit Fortschritt der Technik und wirtschaftlichem Aufschwung vollzog sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die industrielle Revolution und damit auch ein Wandel in den Arbeits- und Produktionsbedingungen. Auch die Typografie war hier nicht ausgenommen – sie wurde von der Kunst der Gelehrten immer mehr zum Handwerk. Bis in die späten 1980er-Jahre verstand man deshalb unter Typografie vorwiegend den handwerklichen Schriftsatz. Im frühen 19. Jahrhundert wurden in den Offizinen auch Gelegenheitsaufträge gedruckt – die sogenannte „Akzidenztypografie“. Diese gewann mit steigender Prosperität der Wirtschaftstreibenden immer mehr an Bedeutung und bezeichnete ab Mitte des Jahrhunderts Geschäfts- und Privatdrucksachen wie Briefpapier, Visitenkarten, Plakate oder Prospekte („Akzidenzen“). Damit begann die Typografie in die Wirtschaft vorzudringen, was die Industrialisierung des Drucks vorantrieb. Bald sollten Druckwerke massenweise maschinell hergestellt werden und damit die Mechanisierung in die Setzer-Werkstätten Einzug halten. 


Literatur

Beinert, Wolfgang. Akzidenzdrucksachen [online]. Typolexikon. 2019-01-23 [Letzter Zugriff am 2021-12-24] Verfügbar über: https://www.typolexikon.de/akzidenzdrucksachen/

Beinert, Wolfgang. Schriftgeschichte [online]. Typolexikon. 2021-02-05 [Letzter Zugriff am 2021-12-26] Verfügbar über: https://www.typolexikon.de/schriftgeschichte/

Beinert, Wolfgang. Typografie [online]. Typolexikon. [Letzter Zugriff am 2021-12-24] Verfügbar über: https://www.typolexikon.de/typografie/

Forssmann, Friedrich und Jong, Ralf de. Detailtypografie. Mainz: Schmidt, 2004.

Gerdes, Claudia. „Typo um 1900“, in Günder, Gariele (Hrsg.), Page 03.18. 

Bilder: https://www.typolexikon.de (c) Wolfgang Beinert und https://www.schriftgestaltung.com