Es ist notwendig, unserem Denken eine neue Orientierung zu geben.

Bevor ich die Geschichte endgültig Geschichte sein lasse, möchte ich im finalen Beitrag des Wintersemesters auf Armin Hofmanns Lehre eingehen. Hofmann war nicht nur ein maßgeblicher Former des Swiss Style, sondern speziell in der Ausbildung ganzer Generationen von Designern und Lehrern eine Persönlichkeit von weitreichendem Einfluss. Viel von seinen Einstellungen zur Lehre ist dokumentiert und zeigt ein Spannungsfeld der Bildung zwischen Kunst und kommerzieller Nutzung – relevant wie eh und je.

In einer Zivilisation, die das Gewicht zunehmend auf die wissenschaftlich-technische Bildung legt, muss sich die gestalterische Ausbildung mit der Gegenwelt und ihren Prinzipien auseinandersetzen, um das wichtige Gleichgewicht der Kräfte als Lehrziel verfolgen zu können.

Armin Hofmann

Zwei Grundprobleme

Zwei konkrete Grundprobleme, die in der heutigen Zeit ebenfalls sehr gut beobachtbar sind, waren für Hofmann zu Beginn der Ausbildung in Berufe der Gestaltung bemerkbar: zum einen eine grundsätzlich falsche Vorstellung des Aufgaben- und Berufsbild des Gestalters und zum anderen eine sehr oberflächliche, rein modisch-ergebnisorientierte Herangehensweise an gestalterische Aufgaben. Speziell der zweite Punkt lässt sich in einer Welt, wo Behance, Instagram und Pinterest die Schnelllebigkeit von Gestaltungslösungen enorm beschleunigt haben, ebenfalls sehr gut beobachten. Kurzlebige visuelle Trends werden ohne hinterfragen der thematischen Eignung imitiert. Für Hofmann war eine Abkehr von Fragen des Geschmacks und Moden eine logische Konsequenz dieser Tatsache.


Vor allem in der Sekundarstufenausbildung lässt sich für mich das Problem des mangelnden Realitätsbezugs zur Berufswelt ebenfalls feststellen und bedarf definitiv neuer Ansätze und früher Aufklärung in der Ausbildung. Aber auch im Hochschulbereich nimmt der persönliche Interessen- und Stärken-Findungsprozess einen breiten Bereich der Ausbildungszeit ein. In der Schweiz soll das System von Vorkurs und Propädeutikum diese Problemstellungen lösen.

Grundlagenlehre und Praxisbezug

Die Schweizer Ausbildung im allgemeinen und Hofmann im Speziellen sind bekannt für exzessive Beschäftigung mit Grundformen und Grundlagen. Für ihn bildeten Kompositionsübungen mit Punkt, Linie und Fläche zum Erarbeiten von gestalterischen Aspekten eine zentrale Form seines Unterrichts. Kritisch könnte man die sehr theoretische Natur dieser Übungen betrachten. Allerdings wirkte Hofmann konsequent auf die Aufhebung der Grenzen zwischen praxisorientierten Resultatarbeiten und rein schulischen Übungsarbeiten hin.

Wer aus einem Linienraster Fallendes, Aufsteigendes, Gegensätzliches oder Abstrahlendes herausschälen kann, hat den ersten Schritt zur Anwendung getan. Anders dürfen wir die Tätigkeit innerhalb der angewandten künstlerischen Berufe nicht verstehen denn als Dienstleistung zur Sichtbarmachung von Mitteilungen, Ereignissen, Ideen, Werten aller Art.

Armin Hofmann

Übungen mussten für ihn zu einem sichtbaren, verständlichen und verwendbaren Resultat führen. Das Vernetzen von Denken und Handeln und weiter die Aufhebung der Trennung von gefühlsbetontem, spontanem Arbeiten und systematischen, gedanklichen Arbeiten waren Hofmanns didaktische Doktrin. Daraus ergab sich für ihn eine Auflösung der Trennung zwischen künstlerisch orientierten und kommerziellen Arbeiten. All diese Ansätze lassen sich stimmig mit Hofmanns eigenem Stil und Arbeitsweise (er lies die Grenze zwischen Lehrtätigkeit und persönlichem Schaffen ebenfalls verschwimmen) in Einklang bringen – seine sehr auf Grundformen und Reduktion bedachten Arbeiten passen stimmig in diese Kombination von reduzierter Basis-Ausbildung zum praxisorientierten Schweizer Stil. Ob sich diese direkte Übersetzbarkeit heute noch halten lässt, möchte ich hier offen lassen, zweifelsohne spielt für mich aber die Auseinandersetzung mit Grundlagen in der Lehre auch heute eine wichtige Rolle um System-/Technologieunabhängige Prinzipien der visuellen Kommunikation zu lehren.

Reale Projekte oder Platz für Experiment

Für Hofmann war es ebenso wichtig, sich die Lehrmethodik nicht von der Praxis diktieren zu lassen – er hatte eine sehr kritische Einstellung der Werbung und ihrer Methoden gegenüber. Ein Wagnis einzugehen, Platz für Experiment und Irrtum zu lassen, Selbstständigkeit im Denken, Entdecken, Erfinden und Erschaffen zu lassen war für ihn wichtiger, als zurzeit angesagten Strömungen zu entsprechen. Die Schule sollte eine differenziertere und ernsthaftere Haltung der Praxis entgegenstellen und das gesamte Feld der visuellen Kommunikation mit möglichen Neu-Deutungen als Basis haben und nicht einem labil agierenden Werbesektor gefallen wollen. Auch diese Einstellungen haben nichts an Realitätsbezug verloren, ein Unterricht, der dem täglichen Bedarf der Praxis entspricht und dementsprechende Aufgabenstellungen beinhaltet ist sicherlich für einen zukünftigen Designer*in als Vorbereitung auf die Arbeitswelt von Vorteil, andererseits werden dadurch mögliche individuelle Entwicklungen und neue Denkansätze weg von Kommerz unterbunden. Dieses Spannungsfeld ist sicherlich in einer aktuellen Designausbildung eine zu lösende Frage und braucht wohl einen gesunden Kompromiss.

Lehrziele sollten nicht an dem gemessen werden, was gerade auf der Straße passiert, sondern an den Aufgabenstellungen selbst.

Armin Hofmann

Gestaltungsprozess

Zu Beginn eines Gestaltungsvorganges sollte keine fixe Idee des Ergebnisses stehen, kein fertiges Konzept oder Regelwerk mögliche Richtungen vorgeben. Im Beginn eine gefühlsmäßige Herangehensweise, die Schritt für Schritt, Versuch und Irrtum zulässt. Variieren, ausprobieren, verwerfen. Diese Herangehensweise erfordert die Fähigkeit zur Selbstkritik um das eigene Werk zu hinterfragen und auch über Bord werfen zu können. Übermäßige technische Möglichkeiten und Mittel waren für ihn oft hinderlich daran, zum Kern des Themas vorzudringen. Je weniger Mittel er brauchte, umso stärker war für ihn der Ausdruck seiner Arbeit. Vor allem der Raum für Experiment und Versagen ist heute sehr dünn. Eine direkte Verwertbarkeit ist mangels Zeit oft der Motor von sehr zielgerichteten und dadurch aber auch archetypischen und gleichförmigen Lösungen – meist schon im Voraus bekannt.

Zu stark praxisbezogene Ausbildung

Schon zu Hofmanns Zeiten war das Berufsbild des Grafikers/der Grafikerin im ständigen Wandel begriffen, zwischen politischen, kommerziellen, technologischen, modernistischen und rein künstlerischen Einflüssen hin und hergerissen. Seine Aufgabe als Lehrer und Erzieher sah er darin, Menschen auf das Mitwirken am Aufbau einer Gesellschaft vorzubereiten, welche auf einen ehrlichen Kräfteaustausch ausgerichtet ist. Umso mehr empfand er es als kritisch, eine Ausbildung zu konkret auf die Bedürfnisse der aktuellen Grafik auszulegen – zu sehr stand und steht der Beruf in ständiger Entwicklung. Schon zu seinen Zeiten wurden aufgrund der Mechanisierung immer mehr Berufe in jenen des visuellen Gestalters integriert, waren es damals Berufe wie Lithograf und Graveur so sind es heute Bildbearbeiter, 3D Artist oder Animation-Designer. Diese Problematik hat sich seit Hofmann mindestens gehalten, eher aber verstärkt und stellt heute gleichermaßen Probleme in der Ausbildung dar – welche Bereiche soll/muss man heute abdecken? Was ist unverzichtbar um als Gestalter im Berufsalltag bestehen zu können? Was ist Basis, was spezialisierung? Hofmann forderte eine Neu-Besinnung und Ordnung der Ausbildungen, er sprach sich für eine Abwendung vom Resultatsdenken und ein Fokus auf eine Basisausbildung zum Verstehen der grundlegenden Zusammenhänge; in grafischer Hinsicht waren dies für ihn Linie, Fläche, Farbe, Material, Raum und Zeit. Ständiger Reformwille war für ihn eine zwingende Notwendigkeit im Schulwesen.

Beschränkte sich vor einigen Jahren die Tätigkeit des Grafikers zur Hauptsache auf die Kreation von Plakaten, Inseraten, Verpackungen, Zeichen oder Logos, so hat sich sein Wirkungsfeld heute ausgeweitet und umspannt praktisch jedes Gebiet der Darstellung und Formgebung.

Armin Hofmann

Verantwortung

In den Mitteln, die Gestalter in die Hände gelegt wurden, sah Armin Hofmann gewichtige Werkzeuge um eine Gesellschaft zu formen, daraus folgerte ein sehr verantwortungsbewusster Umgang mit ihnen. Großes Wissen ist Voraussetzung für den weisen und verantwortungsvollen Einsatz dieser Mittel. Gerade in Zeiten, in denen schöpferisch-künstlerische Berufe weniger werden, mussten die wenigen übrig bleibenden umso grundlegender und umfassender ausgerüstet sein. In der Schule sah er den Platz für Versuch und Experiment, in einer Arbeitswelt, die keine Toleranzen mehr bietet und immer auf die Auswertbarkeit der Arbeit konzentriert ist. Hofmanns Vision der Schule war ein »Institut, das Veränderungen in unseren Verständigungssystemen registrieren, Gefahren sichtbar machen und Forschung betreiben sollten, innerhalb der visuell wahrnehmbaren Welt.« Das Ziel seiner Ausbildung war ein handwerklich einwandfreies Können, ein klares Wissen um die Gestaltungsgesetze sowie die Fähigkeit, aufgrund einer gestellten Aufgabe einen Gedanken auf klare eigene Weise ins Bildhafte umzusetzen. Es sollte eine stabile Grundlage geschaffen worden wein, auf der die Persönlichkeit der Schüler weiter wachsen und reifen könne.

Seit Hofmanns Zeit hat sich vieles geändert. Man denke an Computer-Technologie, Frauenwahlrecht in der Schweiz (eingeführt 1970) und moderne Berufsbilder. Dennoch haben viele seiner Probleme einen erstaunlichen Aktualitätsbezug – auch wenn wir das Gefühl haben auf einem Schnellzug stehend auf eine Pferdegespann zurückzublicken. Diese Verzerrung einer rückwärts gerichteten Betrachtungsweise wird uns aber wohl auch in 20 Jahren gleich erscheinen, wenn wir dann vom Flugzeug aus auf unseren heutigen Schnellzug zurückblicken. Dieser Berufssparte immanent ist konstante Veränderung – wenn man in die Agenturen schaut, sieht man wenige »alte« Grafiker, sondern viele junge Menschen die mit Leidenschaft ans Werk gehen, sich im Laufe ihres Lebens aber in alle Richtungen verstreuen. Eine breite, solide Basis ist ein gutes Fundament, um die vielen Varablen des Gestalterlebens abdecken zu können. Die Aufgabe der Ausbildung muss es sein, dieses Fundament zu gießen, viel eher als verspielte Verzierungen im Dachgeschoss zu bauen. Die Art und Weise, wie so ein Fundament aussehen muss, ist natürlich seit Hofmann nicht gleich geblieben. Aber auch gerade dieser Aspekt ist ein Spannender dieses Themas: welche Grundlagen sind auch heute noch Grundlagen? Oder unterrichten wir sie nur, weil sie seit 100 Jahren unterrichtet werden? Was sind die Konstanten und welche Aspekte mussten und müssen hinzukommen, um aktuelle Aufgabenfelder abzudecken? Diese Fragen will ich nicht nur mir selbst stellen, sondern im kommenden Semester möglichst vielen Menschen, die das breite Feld der visuellen Kommunikation lehren.

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