Was Japan und Osteuropa in ihrer Farbenlehre verbindet

Weiß, Rot, Schwarz, Blau.

Wenn wir versuchen, uns Farben vorzustellen, benötigt es manchmal, alle vorher festgelegten Vorstellungen aus unserem Gedächtnis zu löschen und zu einem leeren Zustand zu gelangen. Tatsächlich bedeutet das Wort iro, “Farbe” im Japanischen, auch “Geliebte”; es enthält eine Reihe von Verknüpfungen, die weit über das hinausgehen, was wir heute mit Farbe assoziieren.

Die Schachtel mit den zwölf Buntstiften, die wir als kleine Kinder zum Malen bekommen, prägt unsere Wahrnehmung. Aus ihnen gewinnen wir Begriffe wie “die Farbe des Wassers” oder “die gelbe Sonne”. Kulturell kann sich die Farbenlehre stark unterscheiden. Im Japan des 8. Jahrhunderts, als die erste Gedichtsammlung, das Manyoshu, veröffentlicht wurde, gab es wenige Wörter, die sich auf Farben bezogen haben. Damals existierten nur vier grundlegende Adjektive: akai (rot), kuroi (schwarz), shiroi (weiß) und aoi (blau). Diese vier Farben bezeichneten einen Zustand von Helligkeit und Energie (rot), die Abwesenheit von Licht (schwarz), Brillanz (weiß) und einen Eindruck von Dunkelheit (blau). Vier Adjektive mögen zunächst als zu wenig erscheinen, aber tatsächlich hatte jedes Wort ein sehr breites Spektrum und die Atmosphäre, die dadurch erzeugt wird, bedeutet, dass zum Beispiel Blau und Grün eine Stimmung auslösen, die unter der breiteren Kategorie Blau zusammengefasst werden kann. Anstatt Farben durch Adjektive zu kommunizieren, die von der Psychologie des Empfängers abhängen, können wir davon ausgehen, dass sie die Namen von Pflanzenfarbstoffen wie Indigo oder Violett oder die Namen von Dingen wie bittere Orange oder junges Gras verwendeten.

Die zahlreichen Farben, die wir als “traditionell” bezeichnen, haben ihren Ursprung in der höfischen Heian-Kultur. Die Menschen hatten ein feines Gespür für die Veränderungen in der Natur und waren in der Lage, diese Veränderungen durch Dinge wie ihre Kleidung und Haushaltsgegenstände auszudrücken. Ein Japaner galt als kultiviert, wenn er oder sie ein tiefes Bewusstsein für die Schönheit – ausgedrückt in der Redewendung “Schnee-Mond-Blume” – erlangt hatte, die in diesen jahreszeitlichen Veränderungen, zu finden war.

Worte, die die Farben des Wechsels der Jahreszeiten auf den Punkt bringen, sind fragil, aber sie haben die Kraft zu empfangen, weil sie den Moment der Beobachtung einfangen.

Ken’ya Hara

Tatsächlich lässt sich eine Signifikanz der traditionellen japanischen und osteuropäischen Farbenlehre feststellen. Die Farben Rot, Weiß, Schwarz und Blau, treten nicht aus einem pan-slawistischen Ursprung hervor, sondern besitzen eine lange und komplexe Tradition, deren Bedeutung nicht vollständig erfasst worden ist. Fakt ist, dass diese Farben besonders in ethnischen Kostümen vorkommen und sich bereits im Mittelalter als elementare Farben durchsetzen konnten.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die südosteuropäische Tradition des Märzchens (mărțișor (rum.) / martenitsa (bulg.) / martis (griech.). Dabei handelt es sich um eine rot-weiße Schnur mit einem Anhänger, der üblicherweise am 1. März überreicht wird. In früheren Zeiten konnte die Schnur auch rot und schwarz sein. Das Band symbolisiert den Frühling und Gesundheit, wobei Weiß für den Schnee und Rot für die Sonne, die diesen schmelzen lassen soll, steht. In der Regel tragen Frauen und Männer den Glücksbringer bis zum letzten Tag des Monats März an ihrer Kleidung, in der Nähe des Herzens und binden ihn dann an den Zweig eines Baumes, sobald sie ein Zeichen, wie z.B.: das Erblühen einer Knospe oder das Vorbeiziehen eines Vogels sehen. Diese Tradition stammt noch aus der Zeit der Thraker und veranschaulicht, wie weit die Bedeutung dieser Farben in Osteuropa zurück gehen. Die Annahme, das eine Bedeutung der Farben ebenfalls aus der Beobachtung der Natur und ihren Kräften, wie bei den Japanern, entnommen wird, wäre eine plausible Erklärung, vor allem da sich hier auch viele philosophische Aspekte der slawischen und japanischen Kultur decken.

Quelle:

Hara, Ken’ya: White. Lars Müller Publishers, 2010.

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