Vom Unikat zur Massenreproduktion

Der letzte Blogeintrag widmete sich dem neuen Thema: Fotografie als visuelle Sprache im Grafik Design. Nun wird ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung geworfen, um zu verstehen, weshalb Fotografie zum Massenmedium wurde. Der zweite Teil widmet sich der gesellschaftlichen Verbreitung des Fotografierens sowie den Unterschieden zwischen Amateur- und Profifotografie.

Zuerst wird nun erklärt, welche Merkmale Fotografien auszeichnen. Es ist schwer und kaum möglich eine generelle Definition dafür zu finden. Doch kaum eine andere Person wird in diesem Zusammenhang häufiger genannt als Roland Barthes. In seinem bekannten Foto-Essay „Die helle Kammer“ beschreibt er Fotografie als „Emanation des vergangen Wirklichen“1. Zuvor definierte er Fotografie „als mechanisches Analogon des Wirklichen“.2 Der indexikalische Charakter zeigt, dass das abgebildete Objekt vor der Kamera gewesen sei und tatsächlich existiert habe.3 Auch wenn uns heute und auch schon vor ein paar Jahrzehnten bewusst gewesen war, dass Fotos manipuliert werden können, nimmt man an, dass sie etwas Vergangenes – etwas „Echtes“ – visuell darstellen. Auch bestimmte Bildausschnitte, die den Fokus auf etwas lenken, oder redaktionelle Veränderungen können die Representation der Wirklichkeit verändern. All das ist uns bewusst und bekannt, jedoch hindert es den Gedanken nicht, dass Fotografie die Wirklichkeit zeigt.

Die Aussage und die politische Bedeutung dieses Bildes nahm Einfluss auf den Wahlkampf: King Georg VI wurde aus dem originalen Bild mit Queen Elisabeth (Mutter von Queen Elisabeth II) und dem kanadischen Premierminister William Mackenzie entfernt. 
Quelle: http://www.fotokurs-bremen.de/fotografie-und-bildmanipulation-sind-untrennbar-miteinander-verbunden/

Doch wie kam es dazu, dass Fotografien manipuliert und verändert werden können? Hierfür ist ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung notwendig.
Das Jahr 1839 prägte die Erfindung der Fotografie, da zwei Ereignisse stattfanden, die den Weg für die Fotografie ebneten. Louis J. M. Daguerre stellte in Paris ein modernes Bildaufzeichnungsverfahren – die Daguerreotypie – vor. In Deutschland wurde im selben Jahr auch der Begriff der „Photographie“ geprägt. Die erste erfolgreich aufgenommene und erhaltene Fotografie wurde von Joseph Nicéphore Niépce mit Hilfe einer Camera obscura 1826 hergestellt. Hierbei fällt Licht durch eine winzige Öffnung in einen dunklen Hohlkörper und erzeugt seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend den Außenraum auf der Projektionsfläche. Diese Fläche bestand aus Zinn und wurde durch eine Schicht aus Asphaltmischung heller oder dunkler ausgehärtet. So konnte das erste Foto der Welt entstehen. 

William Henry Fox Talbot entwickelte das Negativ-Positiv-Verfahren und so stand der technischen Fortschritten in den folgenden Jahrzehnten nichts mehr im Weg.4 Die Möglichkeit, vom selben Bild mehrere Abzüge machen zu können, war die Grundlage für die gesellschaftliche Verbreitung der Fotografie. Die amerikanische Firma Kodak stellte im Jahr 1888 die tragbare Kamera „Kodak Nr. 1“ vor. Der belichtete Film konnte an die Firma geschickt werden, die daraus Abzüge erstellte. Der Fotoservice gilt als Grundstein für die gesellschaftliche Verbreitung der Fotografie. 

You press the Button. We Do the Rest.

Slogan der Firma Kodak, 1888 5

In den folgenden Jahrzehnten wurden die reproduktionstechnischen Voraussetzungen weiter optimiert. 1924 stellte die Firma Leica eine handliche Kleinbildkamera vor, gefolgt von Ermanox, Rolleiflex und Hasselblad. Ab den 1960er Jahren wurden von Pentax, Nikon und Canon weitere Modelle eingeführt. Kodak festigte dessen Marktanteil mit der Einführung der „Kodak Instamatic“, bei der Filme als Kassetten sehr leicht eingesetzt und gewechselt werden konnten. In 20 Jahren wurden mehr als 150 Mio. Kameras gekauft – ein absoluter Verkaufsschlager. Ein weiterer Meilenstein ist der erste digitale Bildsensor, der 1969 entwickelt wurde. 

Links: Kodak Nr. 1
Rechts: Kodak Instamatic
Quelle: https://www.kodakmoments.eu/de/kodak-historie/

Was die digitale Revolution bewirkte, ist offensichtlich. Doch erst um die Jahrtausendwende erlebte die Massenproduktion an Digitalkameras und Spiegelreflexkameras einen Aufschwung. Die digitalen Medien heute vereinfachen die Erstellung und Verbreitung der Fotos, nahezu jede Person trägt eine kleine Kamera am Smartphone in der Hosentasche. Mittlerweile sind oft auf den ersten Blick kaum Unterschiede zwischen Fotos der neuesten Generation der Smartphones zu Fotos von professionellen Kameras zu erkennen. Die technischen Möglichkeiten der Smartphones werden immer besser. Doch was sich immer noch vom professionellen Fotograf*in zu*r Hobbyfotograf*innen und Knipser*innen unterscheidet, ist die Kompetenz. Amateur*innen nutzen oft die automatischen Einstellungen und sind mit Schnappsüssen, auch wenn leicht überbelichtet oder verwackelt, zufrieden. Dagegen spielen Profifotograf*innen gekonnt mit der Perspektive, Blickwinkel, den Einstellungen wie ISO-Wert, Blende und Belichtungszeit. Sie beherrschen ihr technisches Produkt bis ins kleinste Detail und schöpfen sie zum Zwecke der Bildgestaltung voll aus.6 Aus der unvorstellbaren Anzahl an Fotos, die täglich geknipst und im Internet veröffentlicht werden, ist es sehr schwer, sich von der breiten Masse abzuheben. Amateure entwickeln immer höhere Ansprüche, doch Originalität und Ästhetik zeichnen besondere Fotos aus. 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Fotografie, wie wir sie heute kennen, einen langen Entwicklungsprozess durchgemachte. Jedoch haben bedeutende Meilensteine – wie die Erfindung der Reproduzierbarkeit und Vervielfältigung sowie die des technischen Bildsensors – die Entwicklung vorangebracht.
In der Geschichte der Fotografie entstanden neben Alltags- und Profifotografie auch Kunstformen und Bildtheorien, die im nächsten Blogeintrag betrachtet werden.  


Quellen:

1 Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Fotografie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 1989, S. 98
2 Barthes, Roland, Fotografie als Botschaft. 1961. In: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Barthes, Roland (Hrsg.): Frankfurt a. M., 1990, S. 14.
3 Ebd.
4 Raddatz, Christoph: Bildmanipulation aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts, Vertrauensverlust durch mediale Täuschungen der Rezipienten. Bachelorarbeit, Fachbereich Medien, Hochschule Mittweida, 2009, S. 9 f.
5 “125 Jahre Kodak Moments”, https://www.kodakmoments.eu/de/kodak-historie/ – Zugriff am 24.01.2022
6 Eberle, Thomas S.: Fotografie und Gesellschaft. Thematische Rahmung. In: Fotografie und Gesellschaft. Phänomenologische und wissenssoziologische Perspektiven. Eberle, Thomas S. (Hrsg.), transcript Verlag, Bielefeld, 2021, S. 15

Visuelle Sprache im Bezug auf Grafik Design

Kill your darlings. Nachdem die Recherche über Zucker und Konsumverhalten nicht den gewünschten kreativen Workflow erbracht hatte, ist es nun Zeit das Thema zu wechseln und sich auf ein neues zu konzentrieren. 

Nun wird die Fotografie als Visuelle Sprache im Grafik Design untersucht. Ziel ist es, die verschiedenen Teilgebiete der Fotografie zu betrachten. Bevor ein Blick auf die Amateur- und Analogfotografie geworfen wird, wird die Visuelle Sprache als solches untersucht. Vielleicht ergeben sich während der Recherche wichtige Rückschlüsse auf das Thema Zucker – denn geplant ist, dass Food Photography und Produktfotografie ebenfalls untersucht werden. Deshalb ist eine Kombination aus diesem Thema und dem bisher recherchierten durchaus möglich. 

Als Visuelle Sprache wird eine Form der Kommunikation bezeichnet, die im Gegensatz zur formalen Schriftsprache visuelle Elemente verwendet. Diese Elemente werden gezielt eingesetzt, um eine Idee oder eine Bedeutung visuell zu vermitteln. Beispielsweise können das Linien, Formen, Farben, Texturen und Muster sein, die in bestimmten Skalierungen, Winkel und Proportionen ausgerichtet werden. Die Elemente der visuellen Kommunikation repräsentieren dabei Konzepte im räumlichen Kontext. Sprechen und Lesen basieren auf einem zeitlich linearen Ablauf, wobei die visuelle Kommunikation auch parallel funktioniert. Oftmals werden Infografiken gezielt eingesetzt, da sie mittels Diagrammen, Karten und Symbolen einen bestimmten Inhalt vermitteln und aussagekräftige Beziehungen visualisieren. So können komplexe Daten auf eine prägnante Weise dargestellt werden.

Die Infografik stellt komplexe Daten auf einfache Art dar.  
Quelle: https://www.visualcapitalist.com/wp-content/uploads/2018/05/world-of-languages-large.png

Das Visuelle Denken gehört ebenfalls zur Visuellen Sprache und dient als Grundlage im Entwurfs- und Gestaltungsprozess bei Designern. Skizzen, Scribbles und Zeichnungen dienen als Hilfsmittel und visualisieren den kognitiven Denkprozess. Außerdem vereinfacht das Visuelle Denken Kommunikationsprozesse, in dem eine Idee, die Fragestellung und die möglichen Lösungsansätze visualisiert werden.1 Die angeborene Begabung unterstützt die Fähigkeit, Probleme zu lösen, die Phantasie und die Kreativität. Weiterführend ist die Synästhesie zu nennen, bei der verschiedene Gehirnbereiche auf besondere Art und Weisen miteinander verbunden sind. Dadurch werden bestimmte Wahrnehmungsphänomene und Denkprozesse ermöglicht. Synästhetische Wahrnehmungen zum Beispiel sind farbiges Hören oder konsistente Zuordnen von Farben zu bestimmten Buchstaben oder Zahlen.2

Ein weiterer Teil des Visuellen Denkens umfasst die Semiotik. Auch als Zeichentheorie bekannt, arbeitet die Visuelle Sprache auf einer symbolhaften Ebene mit Elementen und Bilder, bei denen immer der soziale und kulturelle Hintergrund berücksichtigt werden muss.3 Das Gehirn interpretiert das Wahrgenommene und nimmt das empfangene Signal in einer Form von Emotion, Handlung oder Gedanken auf. Die Semiotik ist ein wichtiger Teil der Kommunikationssysteme, denn dadurch kann der zu vermittelnde Inhalt mithilfe der der symbolhaften Ebene aufgenommen und verarbeitet werden.

Bei Logos werden oft Symbole eingesetzt, da sie eine prägnante Abbildung eines Objektes sind.
Quelle: https://www.instagram.com/p/CYU8XJehlyL/

Die Visuelle Sprache lässt sich also in verschiedenen Teilbereichen gliedern, die alle miteinander verbunden sind. Wie bereits erwähnt, spielen Formen, Farben und Symbole dabei eine wichtige Rolle. Im Design wird stets Inhalt und Information vermittelt, die im Zusammenspiel mit einer Visuellen Sprache eine eigene Inhaltsebene erzeugen. Unterstützt wird diese Inhaltsebene oft mit fotografischen Elementen oder Bildern. Dieser Aspekt wird in den folgenden Blogposts betrachtet, damit verständlich wird, weshalb Fotografie als Teil der Visuellen Sprache gesehen wird. 


Quellen:

1 Vgl. Diefenbach, Marc: Workbook Visuelles Denken. Ideen generieren, Kundenskizzen anfertigen, Schibbeln schnell gestalten. BoD – Books on Demand (Hrsg.), 2013, S. 6
2 Vgl. Deutsche Synästhesie Gesellschaft e.V.: Was ist Synästhesie? http://www.synaesthesie.org/de/synaesthesie – Zugriff am 05.01.2022
3  Vgl. Fellbaum, Klaus: Sprachverarbeitung und Sprachübertragung. 2. Auflage, Springer Vieweg, 2012, S. 10