Typografie – ein kurzes Glossar

Den Unterschied zwischen Typeface und Font merkt man sich noch recht leicht. Doch wer (oder was) gehört zur Schriftfamilie und wie ist das Verwandtschaftsverhältnis zur Schriftsippe? Was sind Schriftfetten im Gegensatz zu Schriftbreiten und gibt es ein Reglement für Bezeichnungen von extra light über halbfett bis ultra? Wie unterscheidet man eine echte Kursive von einer unechten? Was verbirgt sich typografisch hinter dem Begriff Displays und warum sollten Grafiker:innen ein Auge für die Schriftkontur entwickeln? Fragen über Fragen, die ich als Designerin beantworten können möchte. Beschäftigt man sich mit Schrift und Typografie, ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit typografischen Begriffen unumgänglich. Es ist wie beim Sprachenlernen: Ohne Vokabeln geht’s nicht. Deshalb möchte ich diesen Beitrag der Klärung einiger Begriffe widmen, die ständige Begleiter in der Arbeit mit Schrift sind (oder sein sollten).  

1 Schrift(art), Typeface, Schriftschnitt und Font

Was wir im Deutschen mit Schrift oder Schriftart bezeichnen, heißt im Englischen Typeface. Also Helvetica ist eine Typeface. Typefaces tragen Namen und unterscheiden sich in bestimmten Designmerkmalen der Glyphen, zum Beispiel das Vorhandensein oder Fehlen von Serifen, Proportionen oder Ausrichtung von Buchstaben. Schrift(arten), also Typefaces, können unterschiedlich klassifiziert werden – dies wurde bereits näher im vorhergehenden Beitrag diskutiert. Es gibt Serifen-Typefaces und serifenlose Typefaces, dekorative Typefaces und Script-Typefaces usw. Wichtig dabei ist, dass eine Typeface alle Schriftschnitte einer Schrift meint.

Schriftschnitt, im Englischen Font, bezeichnet im Gegensatz die unterschiedlichen Ausformungen, die es von einer Typeface gibt: von leicht über normal bis halbfett und fett, von extraschmal bis extrabreit. Ein Font ist also immer ein Teil einer Typeface. Auch kursive Schnitte sind Fonts einer Typeface. Garrick Webster, Blogger von creativebloq.com erklärt den Unterschied zwischen Typeface (Schrift/Schriftart) und Font (Schriftschnitt) wie folgt: „The main difference between a ‘font’ and a ‘typeface’ is that the former exists as part of the latter. Helvetica is a typeface – a complete set of sans serif characters with a common design ethos. However, it is made up of a whole collection of fonts, each in a specific weight, style and size, with different levels of condensation as well as italic versions.“ 

Friedrich Forssman verwendet den Begriff Font nur für den digitalen Schriftsatz. Er schreibt dazu: „In digitalen Schriftdateien ist jeweils ein Schriftschnitt in einem Font abgelegt. […] Darunter sind auch interne Steuerungszeichen, wie die Anweisungen für den Wortzwischenraum oder einen Zeilenwechsel […]“. (vgl. 2004:49). Obwohl die Begriffe Typeface (Schrift/Schriftart) und Font oft synonym gebraucht werden, verwenden wir sie in ihrer Anwendung automatisch richtig – da Desktop-Publishing-Programme auf deren korrekte Anwendung ausgelegt sind. Zuerst wählen wir eine Schrift (Typeface) aus und danach stellen wir den gewünschten Schnitt (Font) in einer bestimmten Schriftgröße ein, erklärt Garrick Webster von Creative Blog weiter: „The reason we focus on fonts today is largely as a result of desktop publishing and word processing applications, which have a font menu. When you click it, you get a list of typefaces to choose from – Arial, Baskerville, Caslon etc – and from there you set the specifics of the font – Medium Italic 16 point, for example.“

2 Schriftfamilie versus Schriftsippe 

Die Ausgangsschrift jeder Typeface ist in der Regel die Normale. Abgeleitet von diesem normalen Schriftschnitt gibt es noch weitere Schriftschnitte – zum Beispiel einen leichten, halbfetten oder fetten Schriftschnitt. Auch die Kursive ist eine Ableitung der Normalen. All diese Schnitte gemeinsam bilden eine Schriftfamilie. Dass eine Schriftfamilie aus mehreren Schnitten besteht ist für komplexere typografische Arbeiten Voraussetzung, da man für Auszeichnungen innerhalb des Textes, für Überschriften oder zur Kennzeichnung unterschiedlicher Textebenen mehrere Schnitte benötigt (vgl. Forssman 2004:59).

Bei manchen Schriften existiert neben der Schriftfamilie mit ihren unterschiedlichen Schnitten auch noch eine Schriftsippe. Eine Schriftsippe hat mehrere Ausgangsschriften, also mehrere Normale: ohne Serifen, mit Serifen oder noch eine weitere mit extra betonten Serifen. Von manchen Schriften gibt es, zum Beispiel, eine Serif-Variante, eine Grotesk sowie eine Semi-Serif-Variante, also eine Schriftfamilie, bei der die Buchstaben an manchen Endungen Serifen aufweisen und an manchen nicht. Gemeinsam bilden die drei Schriftfamilien eine Schriftsippe. Die Ausgangsschriften einer Schriftsippe werden durch ihre stilistische Übereinstimmung zusammengehalten.  Die Rotis von Otl Aicher oder die Thesis von Luc de Groot wären Beispiele für solche Schriftsippen (vgl. Forssman 2004:66).

Eine einzelne, gut ausgebaute Schriftfont enthält Groß- und Kleinbuchstaben sowie Kapitälchen, Satzzeichen, Ziffern, Ligaturen, Akzentbuchstaben sowie Akzente. Darüber hinaus sind oft mathematische und physikalische Zeichen, Währungszeichen und andere Sonderzeichen und einige griechische Buchstaben im Font enthalten. Nachfolgend möchte ich nun die einzelnen Mitglieder einer Schriftfamilie näher betrachten.

3 Mitglieder einer Schriftfamilie

Wie bereits erwähnt, bildet die Normale die Ausgangsschrift einer Schriftfamilie. Von ihr stammen die restlichen Mitglieder ab.  

Die Kursive 

Die klassische Auszeichnungsschrift zur aufrecht stehenden Antiqua ist die Kursive. Forssman und de Jong nennen sie auch die „Schwester“ der Normalen (2004:59). Kursive Varianten gibt es bereits seit dem frühen 16. Jahrhundert als Satzschriften. Anfangs war die Kursive weniger als Ergänzung, sondern als Alternative zur Normalen gedacht. Es dauerte aber nur kurze Zeit, bis die beiden aufeinander abgestimmt zur gemeinsamen Verwendung geschnitten wurden. Die Kursive leitet sich von der flüssig zu schreibenden Kurrentschrift ab. Ihr entscheidendes Merkmal ist der handschriftliche Duktus, also die Art der Linienführung, in der der Schwung der federgeschriebenen Kurrentschrift erhalten bleibt. Innerhalb der Kursiven gibt es Varianten, die stark geneigt sind und andere, die nahezu aufrecht scheinen. Prinzipiell unterscheidet sich die Kursive von der Normalen neben dem Duktus auch durch die Farbe, also den Grauwert den der kursive Text aufweist. In Bezug auf die Auszeichnung des Textes wird die Kursive traditionell für kurze Zitate, Titel sowie fremde Sprache verwendet.  

Echte Kursive versus unechte Kursive

Wie eingangs erwähnt gibt es echte und unechte kursive Schriften. Während die echte Kursive eine eigens gezeichnete Schrift ist, wird die unechte lediglich elektronisch „kursiviert“ – also der normale Schriftschnitt einfach schräggestellt. Diese Möglichkeit bieten nahezu alle Textprogramme, sollte im professionellen Satz aber vermieden werden, weil das Ergebnis zumeist unschön ist. Echte Kursive unterscheiden sich also stark von unechten. Das liegt auch daran, dass einige Buchstaben der echten Kursiven andere Formen haben:

  • Das kursive a hat meist keinen Bauch.
  • Im kursiven e verschmelzen Rundung und Querbalken. 
  • Das kursive f hat eine Unterlänge. 
  • Das kursive g hat oft eine anders geformte Unterlänge als das gerade. 

Jedoch weisen nicht alle Kursiven alle diese Merkmale auf (vgl. Forssman 2004:59).

Geneigte Schriften (oblique / slanted / slope roman)

Des Weiteren gibt es kursive Schriften, die nicht aus kursiven Formen – wie oben beschrieben – aufgebaut sind. Diese bezeichnet man nicht als echte Kursive, sondern als geneigte Schriften oder oblique. Im Englischen werden sie auch slanted oder slope roman genannt. Oblique-Schriften sind keine elektronisch verzerrten Schriften, sondern Normale, die durch die Schriftgestalter:innen kontrolliert geneigt wurden. Die Strichstärken und Kurvenverläufe sind so bearbeitet, dass unerwünschte Verdickungen korrigiert sind. 

Alternate Fonts und Zierbuchstaben

Für manche Schriften gibt es alternative Buchstabenformen, zusätzliche Ligaturen und Schmuckelemente. Diese sind in eigenen Fonts, also eigenen elektronischen Schriftdateien untergebracht und werden als alternate fonts bezeichnet. Bei Kursiven bezeichnet man alternative Buchstaben auch als Zierbuchstaben (vgl. Forssman 2004:62). Bei vielen Schriften nehmen diese alternativen Buchstaben sehr üppige Formen an, weshalb sie nur selten und oft nur am Anfang oder Ende von Worten verwendet werden können. Für längere Texte sind ausgefallene Buchstaben nicht geeignet – für Titel eignen sie sich jedoch gut und bieten sparsam eingesetzt eine einfache Möglichkeit für reizvolle Kontraste. 

3.3 Ligaturen

Ligaturen sind Zeichen, die aus mehrere verbundenen Buchstaben bestehen. Sie sollen störende Lücken vermeiden und betonen im Deutschen zudem Lauteinheiten. Deshalb sind Ligaturen vor allem bei zwei aufeinanderfolgenden Buchstaben mit Oberlänge häufig (f,l,i,t), da ohne Verbindung eine unschöne Lücke zwischen den Oberlängen entstehen würde. 

Ligaturen können in allen Sprachen gesetzt werden. Ausnahmen bilden im Deutschen Wortfugen, also der Übergang zwischen zusammengesetzten Worten, zum Beispiel zwischen „Stoff“ und „Igel“ bei „Stoffigel“. Auch wenn die Laufweite vergrößert wird, dürfen keine Ligaturen mehr verwendet werden, da diese Buchstaben ja zusammengesetzt bleiben. Eine besondere Ligatur ist das &-Zeichen, das aus der Verbindung von e und t entstanden ist. In manchen Schriften sind im &-Zeichen diese beiden Buchstaben noch erkennbar.

Kapitälchen

Zeitgleich mit der Kursiven entstanden ebenso ab dem 16. Jahrhundert bereits die Kapitälchen: Versalien (Großbuchstaben) in der x-Höhe der Kleinbuchstaben (oder ein wenig darüber hinaus). Kapitälchen haben eine größere Laufweite (Buchstabenabstand) als normale Versalien und ihre Strichstärke wurde an die Kleinbuchstaben angepasst. Aufgrund des Unterschieds in der Zeichnung von Kapitälchen und Großbuchstaben, dürfen Kapitälchen niemals durch verkleinerte Großbuchstaben ersetzt werden. Auch wenn verkleinerte Großbuchstaben eines dickeren Schriftschnittes echten Kapitälchen oft sehr ähnlich sehen, stellen sie im korrekten typografischen Satz keine Alternative dar. In ihrer Form entsprechen Kapitälchen jedoch den Großbuchstaben, weshalb sie kein „scharfes ß“ besitzen. Wie bei Versalien muss dieses immer durch zwei „s“ ersetzt werden. 

Fetten und Breiten 

Leichte, halbfette, fette und schmale, breite oder extrabreite Schnitte entstanden im Gegensatz zur Kursiven und den Kapitälchen erst wesentlich später. Der Begriff Fette bezeichnet die Strichstärke, die von leicht (extramager), mager, normal bis halbfett, fett und extrafett (ultra) reichen kann – also immer „fetter“ wird. Die Breite meint die Ausdehnung der Buchstaben in ihrer Breite, also ob die Buchstaben extraschmal oder schmal, normal, breit oder extrabreit gezeichnet sind. Buchstabenbreiten können auch elektronisch verändert werden: 100 Prozent gibt dabei die vom Schriftgestalter vorgegebene Breite an, die jeweils in Prozentschritten verbreitert oder geschmälert werden kann. Diese Art der Zurichtung sollte aber vermieden werden, da sie immer zu unschönen Ergebnissen führt. Stattdessen verwendet man vorhandene schmale oder breite Schriften.  

Eine der ersten Schriften, die als Systemschrift mit systematisch aufeinander abgestimmten Fetten und Breiten, jeweils aufrecht und kursiv, auf den Markt kam, war die Univers aus dem Jahr 1957. 

Display-Schriften 

Von vielen Schriften gibt es Text-Varianten sowie Display-Varianten. Der Grund ist, dass die meisten Schriften, die für den Einsatz in Lesegraden (circa 8 bis 12 pt) optimiert sind, in Schaugraden, also in großer Größe, nicht gut aussehen. Deshalb werden zusätzlich Display-Schnitte gezeichnet, bei denen die Proportionen und Strichstärkenkontraste für große Schriftgrößen abgestimmt sind. In der Regel sind Displays schlanker und haben elegantere Proportionen. Der Unterschied zwischen Grund- und Haarstrichen darf bei Displays größer sein als bei Textschriften, da ein zu großer Kontrast bei Lesegraden für eine schlechte Lesbarkeit sorgen würde. 

Ornamente 

Unter Ornamenten versteht man in der Typografie typografische Schmuckelemente, Rahmen und Linien, die passend zur Ausgangsschrift gezeichnet wurden und gut mit dieser verwendet werden können. Sie stammen aus der Zeit vor dem digitalen Satz, wurden jedoch bei manchen Schriften ebenso digitalisiert und sind in der Font-Datei enthalten. Forssman und de Jong warnen davor, Ornamente oder Schmuckinitialen in übertriebenem Maße einzusetzen, argumentieren jedoch auch, dass mit ihnen – gezielt eingesetzt – Leichtigkeit und Eleganz vermittelt werden können. Gerade auf Verpackungen von Lebensmitteln oder Kosmetika, bei Anzeigen, Geschäftsdrucksorten oder Büchern können Ornamente den Stil der Gestaltung positiv unterstützen. Ein genaues Regelwerk gäbe es aber nicht, so Forssmann und de Jong. Nur so viel: So beweglich und bezaubernd sie sein können, müssten sie aber immer „wertvolle Untertanen des Gestaltungszusammenhanges bleiben.“ (Forssman 2004:185). 

Ziffernformen

Das Wort Ziffer meint die grafischen Zeichen 0–9, die in einem Text zu Zahlen werden. Man unterscheidet einstellige und höhere Zahlen. Höhere Zahlen werden aus mehreren Ziffern gebildet, zum Beispiel 234 aus 2-3-4. 

Je nach Schrift hat man zwei bis vier (manchmal sogar noch mehr) Ziffernsets zur Verfügung. Typografisch unterscheidet man:

  • Versalziffern (lining numerals): Ziffern auf Großbuchstabenhöhe; teils etwas kleiner
  • Mediävalziffern (oldstyle numerals): Ziffern auf Kleinbuchstabenhöhe, die Ziffern 3,4,5,7,9 mit Unterlänge
  • Kapitälchenziffern: entsprechen Versalziffern in Kapitälchengröße 

In Mengentexten sollten immer Mediävalziffern zum Einsatz kommen, da sie sich gut in den Textfluss einfügen. Für kurze Texte, Titel oder in Fußnoten können auch Versalziffern zum Einsatz kommen – sobald aber ein Lesefluss entstehen sollen, sind Mediävalziffern das Ziffernset der Wahl.  

Von jedem Ziffernset sollten in einer Schrift eine proportionale Variante und eine für Tabellen zur Auswahl stehen. Proportionalziffern haben – wie Buchstaben – unterschiedliche Breiten und sind für den Einsatz im Text geeignet. Tabellenziffern haben immer dieselbe Schriftbreite, weshalb sie sich gut für den Einsatz in Tabellen bzw. für einen Satz eignen, in dem die Ziffern untereinander angeordnet werden müssen. 

Ergänzungszeichensätze 

Für einige typografische Arbeiten sind besondere Zeichen erforderlich. Diese findet man in DTP-Programmen wie Indesign normalerweise unter Glyphen. Ergänzungszeichensätze gibt es, zum Beispiel, für den mathematischen Satz, für den Fremdsprachensatz oder den Satz phonetischer Zeichen. 

Da es nur wenige Schriften gibt, die einen umfassenden Sonderzeichensatz anbieten, raten Forssman und de Jong, unbedingt noch vor der Entwurfsphase die Verfügbarkeit von eventuell benötigten Sonderzeichen zu überprüfen (vgl. 2004:64). Eine jener Schriften, die über ein sehr gut ausgebautes Repertoire an Ergänzungszeichen verfügt ist die Times – sie bietet sogar sehr viele Fremdsprachenfonts an, was gerade in Übersetzungsfällen praktisch ist.  

Anmerkung: Schriftbezeichnungen innerhalb der Schriftfamilie

Die Bezeichnungen der verschiedenen Schriften einer Schriftfamilie unterliegen keiner Regel – eine Schrift, die von einem Schriftgestalter als „fett“ verkauft wird, empfindet ein anderer vielleicht nur als „halbfett“. Darüber hinaus werden unterschiedliche Bezeichnungen für denselben Schnitt verwendet. Forssman und de Jong stellen eine Übersicht über die gängigsten Bezeichnungen auf Deutsch, Englisch und Französisch zur Verfügung (vgl. Forssman 2004:65). 

Anmerkung: Schriftenhersteller 

Da sich Schriften mit gleichem Namen von verschiedenen Herstellern erheblich unterscheiden können, setzen viele Schriftenhersteller ihren Namen oder ein Buchstabenkürzel vor oder nach die Bezeichnung der Schrift, um identifiziert werden zu können. So stehen beispielsweise ein „A“ für Adobe Systems Inc., „ATF“ für Kingsley/American Typefounders Type Corp., „ITC“ für International Typeface Corporation oder „MT“ für Monotype Corporaten. Eine Liste der bekanntesten Schrifthersteller findet sich in Forssmanns und de Jongs Detailtypografie.

4 Die Schriftkontur 

Ein Großteil der Schriften, die man für den Digitalsatz kaufen kann, sind keine neuen Entwürfe, sondern basieren auf bestehenden Schriften. Viele dieser Ursprungsschriften gehen noch auf den Handbleisatz zurück, wurden für den Maschinensatz zugerichtet, dann für die Fotosatzmaschine umgearbeitet und schlussendlich erst digitalisiert. Bei jeder dieser Stationen war es notwendig, Anpassungen für die technischen Verhältnisse vorzunehmen –  und jedes Mal musste die Schriftkontur interpretiert und neu gezeichnet werden. Viele dieser Anpassungen betrafen wichtige Bereiche wie die Zurichtung der Schrift (Dicktenausgleich) oder die Proportionen zwischen x-Höhe und Ober- und Unterlänge. Dadurch kann es passieren, dass Schriften, die nicht sorgfältig digitalisiert wurden, viel an ursprünglicher Eleganz und Präzision verloren haben. Forssman und de Jong argumentieren, dass solche Schriften in Lesegraden womöglich noch gut funktionieren, sich die Fehler in der Schriftkontur jedoch in Displaygrößen offenbaren. Als Grafiker:innen sollten man deshalb ein Auge für die Schriftkontur entwickeln und je nach Einsatz entscheiden, ob sich eine Schrift eignet oder ob etwaige Mängel sogar ihren Reiz haben. 

5 Das typografische Maßsystem

Das typografische Maßsystem hat sich über mehr als zwei Jahrhunderte zur Zeit des Handbleisatzes entwickelt. Darauf folgten die Linotype- und Monotype-Satzmaschinen, danach die kurze Zeit der Fotosatzmaschine und schlussendlich der Siegeszug des digitalen Satzes. Der Punkt ist die Einheit des typografischen Maßes und wurde über die zuvor genannten Etappen immer wieder neu definiert. Heute existieren drei unterschiedliche Punkte: 

  • Fournier-Punkt
  • Didot-Punkt
  • Pica-Point

Der Punkt ist als Angabe für die Schriftgröße und den Zeilenabstand nach wie vor von Bedeutung. Alle anderen Maße werden heute mit dem metrischen Maßsystem, also in Zentimeter oder Millimeter, angegeben. 

In Europa entwickelte sich von Frankreich aus zuerst der Fournier-Punkt und in der Folge der Didot-Punkt. Im 19. Jahrhundert boomten in Amerika die Schriftgießereien, was zur Einführung des amerikanischen Pica-Points führte. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Pica-Point von britischen Druckern übernommen und seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist er das Standardmaß für Schriftgrößen und Zeilenabstände im gesamten Computersatz. Wer heute also Punkt sagt oder pt schreibt, meint den Pica-Point. 

Schriftgrad vs. Schriftgröße

Der Begriff Schriftgrad stammt aus dem Bleisatz und meint die unterschiedlich großen Ausführungen einer einzelnen Schrift. Bei den Zeichnungen der Schriftgraden wurden die Unterschiede in der optischen Wahrnehmung und die technischen Anforderungen des Drucks von sehr kleinen und sehr großen Schriften berücksichtigt. Aus diesem Grund unterscheiden sich die Zeichnungen für kleine und große Grade deutlich. 

Im Gegensatz dazu kennt der Digitalsatz keine individuell gezeichneten Schriftgrade. Kleine und große Schriften werden aus derselben Schriftkontur erzeugt, d.h. digitale Schriften werden linear vergrößert oder verkleinert. Deshalb sprechen wir heute nicht mehr von Schriftgraden, sondern von Schriftgrößen. Die stufenlose Vergrößerung ist praktisch, hat aber andererseits den Nachteil, dass Schriften eigentlich nur in den für sie vorgesehenen Größen gut aussehen. Für dieses Problem gibt es heute zwei Lösungen: Die gängigere Lösung sind zusätzlich zu den Text-Schriften vorhandene Designgrößen der Schriften – beispielsweise Display- oder Titling-Varianten. Adobe Systems bietet häufig bereits vier Designgrößen an: 

  • Caption (6–8 pt)
  • Regular (9–12 pt)
  • Subhead (14–24 pt) 
  • Display (25–72 pt) 

Die zweite Lösung sind Variable Fonts – eine Weiterentwicklung der komplexen Multiple Master-Schriften, mit denen bereits in den 1990ern Schriftgrößen entlang von Design-Achsen stufenlos verstellbar waren. Je nach Konzeption bieten Variable Fonts die Möglichkeit Schriften entlang von unterschiedlichen Designachsen linear zu interpolieren. Dies betrifft nicht nur die Schriftgröße, sondern kann auch Breite, Fette, Neigung und Strichtstärkenkontrast betreffen. Während man bei herkömmlichen Schriften für mehrere Schnitte auch mehrere Schriftdateien installieren muss, besteht eine Variable Font aus nur einem Font File, in die die variablen Interpolationsachsen integriert sind (vgl. Beinert 2021). 

Pica-point und DTP-Punkt

Nimmt man es genau, unterscheidet sich der heute im Digitalsatz verwendete Punkt nochmals vom Pica-Point – er ist eine leicht modifizierte Variante des Letzteren und wird oft auch DTP-Punkt genannt. Der Unterschied zum Pica-Point wird jedoch erst ab der dritten Kommastelle sichtbar. Wie zuvor bereits erwähnt, wird der DTP-Punkt nur mehr für die Schriftgröße und den Zeilenabstand verwendet. Satzbreite, Seitenränder und Papierformat werden in Europa in Millimetern angegeben. 

Schriftgröße vs. Schriftbild

Im Bleisatz bezeichnete der Schriftgrad die Größe des Schriftkegels, dem Metallklötzchen, auf das das zu druckende Zeichen gegossen wurde. Da aus technischen Gründen das Zeichen immer etwas kleiner sein musste als der Kegel, gab der Schriftgrad nur mittelbar die Größe des Schriftbildes an – aber immerhin. Im digitalen Satz gibt es nur virtuelle Kegel, deren Verhältnis zur Größe des Schriftbildes jedoch nicht festgelegt ist. Im Digitalsatz, in dem wir heute alle arbeiten, kann das Verhältnis zwischen virtuellem Kegel und Schriftbildhöhe also variieren: die Schriftbildgröße kann wie im Bleisatz etwas kleiner sein als der Kegel, genau gleich groß oder den Kegel sogar überragen. Obwohl Schriften im digitalen Satzsystem mit derselben Schriftgröße gesetzt werden und damit nominell gleich groß sind, können sie sich optisch stark unterscheiden. Damit hat die Schriftgröße in Punkt bei digitalen Fonts eigentlich wenig Aussagekraft. Fazit: Es gilt immer die tatsächliche Größe des Schriftbildes zu messen. 

Versalhöhe, Vertikalhöhe, x-Höhe und Schriftlinie 

Für die Versalhöhe wird die Höhe der Großbuchstaben ohne Versalakzente (also E und nicht É) gemessen. Für das Maß bietet sich das H mit seiner geraden Ober- und Unterseite an. Das O ist aus optischen Gründen immer etwas höher als das H. Die Vertikalhöhe meint die maximale vertikale Ausdehnung der Schrift – ebenfalls ohne Versal-Akzente, aber einschließlich aller Ober- und Unterlängen der Kleinbuchstaben. Mit der x-Höhe misst man die Basishöhe der Kleinbuchstaben, zum Beispiel die Höhe des kleinen x mit seinen geraden Abschlüssen. Die Schriftlinie bezeichnet die Linie, auf der die Buchstaben (ohne Unterlänge) sitzen. 

6 Begriffe der Schriftbearbeitung:
Zurichtung, Kerning, Laufweite (Spacing), Randausgleich 

Sich das Regelwerk der Schriftbearbeitung in diesem Beitrag genauer auszusehen, würde den Rahmen sprengen. Trotzdem möchte ich abschließend noch kurz auf Begrifflichkeiten eingehen, um die man in der typografischen Arbeit nicht umhinkommt. Damit eine Schrift gut aussieht, müssen nicht nur die einzelnen Buchstabenformen sorgfältig gezeichnet oder digitalisiert worden sein, sondern auch der Rhythmus der Zeichen muss stimmen. Dieser Rhythmus hängt von der Zurichtung, dem Kerning und der Laufweite ab. Treffen zudem unterschiedliche Schriftgrößen aufeinander, muss auch der Randausgleich beachtet werden. 

Die Zurichtung  

Die Zurichtung einer Schrift beschreibt ihren Dicktenausgleich. Das Festlegen einer bestimmten Breite für jedes Zeichen und die Position des Zeichens innerhalb dieser Breite nennt man Zurichten. Zurichtung ist Aufgabe der Schriftgestalter:innen bzw. Schrifthersteller – wenn die Zurichtung der Schrift nicht gut ist, ist sie nicht verwendbar. 

Kerning

Kerning meint das Ausrichten von Zeichenpaaren. Der deutsche Begriff ist Unterschneiden und meinte ursprünglich im Bleisatz das Engermachen von Zeichenpaaren durch das Wegschneiden von nichtdruckenden Teilen. Im digitalen Gebrauch kernt man durch die Eingabe von Minus- oder Pluswerten, wodurch die jeweiligen zwei Zeichen auseinander oder zusammenrücken. Kerning hat grundsätzlich zwei Aufgaben: Da Buchstaben unterschiedliche Formen haben, würden manche Paar-Kombinationen zu eng oder zu weit sitzen. Hier muss durch Unterschneiden entgegengewirkt werden. Die zweite Aufgabe ist das Spationieren von Interpunktion. Interpunktionszeichen sitzen oft viel zu eng an den Buchstaben. Das kann auch bei eigentlich gut gekernten Schriften der Fall sein, weshalb es sich auch als Grafiker:in lohnt, sich näher mit Kerning zu beschäftigen.  

Ob eine Schrift gut oder schlecht gekernt ist, erkennt man an unterschiedlichen Zeichenkombinationen:  

  • zu eng stehende Buchstaben – typisch sind „Wo“, „To“ oder „Te“
  • sich berührende Buchstaben – typisch sind „fk“, „fh“, „(j“, „f)“, „f?“ oder „fä“
  • zu eng stehende Kombinationen aus Buchstaben und Satzzeichen – zum Beispiel „l!“ oder „g:“ 
  • gute Musterzeile zur Kontrolle: Aufhalten (ja auf) Wolf? Torf Tell!; fährt.

Obwohl man in DTP-Programmen die Möglichkeit hat, das Kerning einer Schrift zu verändern, sollte man in der Praxis besser auf gut gekernte Schriften setzen und das Kerning nur im Notfall – etwa wie zuvor beschrieben bei wirklich zu eng stehenden Interpunktionen – bedienen. 

Laufweite

Die Laufweite meint den generellen Buchstabenabstand – also nicht nur von zwei Zeichen wie beim Kerning, sondern zwischen allen Zeichen. Abhängig von der Laufweite haben die Buchstaben eher viel Abstand oder die Schrift läuft gegenteilig eher eng. Die Laufweite kann in Satz- oder Layoutprogrammen durch die Eingabe von positiven oder negativen Werten leicht beeinflusst werden, was durchaus häufig von Nöten ist. Viele Schriften benötigen eine Laufweitenkorrektur abhängig von ihrer Schriftgröße. Die Faustregel nach Forssman und de Jong lautet hier: Kleine Schrift eher weit halten, große Schrift eher eng (vgl. 2004:93). 

Randausgleich

Durch die verschiedenen Buchstabenformen und Satzzeichen ergibt es sich, dass die linke Satzkante im Flattersatz und zusätzlich auch die rechte Satzkante im Blocksatz etwas unruhig wirken. Beispiele hierfür: Ein „T“ oder ein Gedankenstrich „–“ am Zeilenfang bringen einen gewissen Weißraum mit, ein Trennstrich oder ein Punkt am Zeilenende haben weniger Substanz als ein „d“ oder ein „l“. In DTP-Programmen kann man einen Randausgleich einstellen. Dies bedeutet, dass man für bestimmte Zeichen wie „T“ oder „–“ Werte festlegt, damit diese ein wenig über die rechte oder linke Satzkante hinausgeschoben werden. Das individuelle Setzen des Randausgleichs erfordert Fingerspitzengefühl und kann auch zu schlechteren Ergebnissen führen als ein Satz ohne Randausgleich. Für Forssmann und de Jong ist er deshalb in der Regel verzichtbar. (Anzumerken ist jedoch, dass es in gewissen DTP-Programmen wie Indesign die Möglichkeit des optischen Randausgleichs gibt, was auf relativ einfachem Wege den Blocksatz schöner ausrichtet.)


Literatur

Beinert, Wolfgang. Variable Fonts [online]. Typolexikon, 2021-08-30 [Letzter Zugriff am 2022-01-24]. Verfügbar über: https://www.typolexikon.de/variable-fonts/

Forssman, Friedrich und de Jong, Ralf. Detailtypografie. Mainz: Hermann Schmidt, 2004. 

Perraudin, Daniel. Mikrotypografie – Typografie 1 [Vorlesungsunterlagen]. Verfügbar über: auf Anfrage. 

Webster, Garrick. Font vs typeface: ultimate guide [online]. Creative Bloq, 2019-07-04 [Letzter Zugriff am 2022-01-25]. Verfügbar über: https://www.creativebloq.com/features/font-vs-typeface

Bildnachweise

Falls im BU nicht anders angegeben: © Karin Schmerda 

Gendersensibles Design im Employer Branding – Mein Fazit für dieses Semester

Zum Ende dieses Semesters möchte ich mit meinen bisherigen Erkenntnissen des Kurses zum Thema Gendersensibles Design im Employer Branding gerne zu einem Zwischenfazit kommen. Aus diesen möchte ich Schlüsse für die weitere Bearbeitung der Thematik ziehen. 

Zu Beginn habe ich mich grundlegend mit einigen Begriffen der Gender Studies beschäftigt. Eine wichtige Erkenntnis hieraus war, dass mit „Gender“ keinen Falls eine natürliche Gegebenheit gemeint ist. Unterschiede zwischen den Geschlechtern haben sich aufgrund von gesellschaftlichen Strukturen und Zuschreibungen entwickelt und verfestigt. Biologische Merkmale sind dabei nicht die Grundlage von Gender, sondern bloß ein Teil dessen Entwicklung. 
So wie jede Person von gesellschaftlichen Vorerfahrungen geprägt ist, die ihr Handeln bestimmen, sind es auch Designer*innen. In ihre Gestaltungen fließen immer, wenn auch unbewusst, Rollenbilder, Klischeevorstellungen und Vorurteile. So konnte bereits beobachtet werden, dass Frauen* und Männer* unterschiedliche Designansätze hervorbringen. Hinzu kommt, dass die Verteilung der Geschlechter in den unterschiedlichen Designdisziplinen sehr unausgeglichen ist. Während meiner Recherche habe ich mich verstärkt mit Literatur von Dr. Uta Brandes auseinandergesetzt. Sie ist Professorin für Gender und Design und stellt die These auf, dass es, bezogen auf Design so etwas wie Genderneutralität nicht geben kann, solange soziale Unterscheidungen von Geschlechtern bestehen. Der Ansatz des sogenannten gendersensiblen Designs als Gegenentwurf hat einen kritischen und sozial anspruchsvollen Charakter, in dem Wissen, dass Genderneutralität (fast) nicht zu erreichen ist. Für die Designpraxis bedeutet er zum Beispiel, dass möglichst in gemischt-geschlechtlichen Teams gearbeitet werden sollte sowie, dass Designschaffende eine gewisse Kritikfähigkeit und die Bereitschaft ihre eigene Arbeit zu hinterfragen mit bringen müssen. 
Schon früh kam für mich die Frage auf, inwiefern es, wenn genderneutrales Design tatsächlich nicht möglich ist, vertretbar wäre, ein bestimmtes Geschlecht direkt anzusprechen. Eine Herangehensweise wie diese könnte zum Beispiel dann in Erwägung gezogen werden, wenn es darum geht, mit Stellenanzeigen gezielt Frauen* anzusprechen, weil sie bisher in einem Unternehmen stark unterrepräsentiert sind. Wenn allerdings gendersensibles Design bedeutet, davon abzusehen klischeehafte Darstellungen zu verwenden, man allerdings bestimmte Gender-Design-Codes für eine konkrete Ansprache nutzt, kann diese dann überhaupt nicht-klischeehaft sein?
Dazu habe ich mir im Laufe meiner Recherche einige Beispiele und Umsetzungen aus der Praxis angeschaut und schnell gemerkt, dass es tatsächlich zwei unterschiedliche Herangehensweisen zu geben scheint. Da wären einmal Design-Teams, die versuchen mit ihrer Gestaltung möglichst neutral zu wirken, wie zum Beispiel beim Branding für das Unternehmen Mylo und auf der anderen Seite beispielsweise der US-Mietwagenservice True Car, welcher in seinem Branding feminine und Maskuline Design-Codes kombiniert. Da gibt es eine harte, technische Seite, die sich eher männlich liest und eine weiche, farbenfrohe Seite, die einen weiblichen Eindruck macht. Mir persönlich haben die Designs am besten gefallen, die einen möglichst hohen Grad an Neutralität anstreben. 

Bei der Themenvorstellung in meinem ersten Blogbeitrag habe ich eine Kampagne von VW vorgestellt, mit der konkret Frauen* überzeugt werden sollten, sich bei dem Unternehmen zu bewerben. Dabei nutzen sie Slogans wie z.B. „Think Tank Girl“ und verwensen Rosa- bzw. Lila-Töne. Bei Gestaltungen wie diesen ließe sich die Frage stellen, ob sich Personen, die sich als Frauen* identifizieren, angesprochen fühlen oder möglicherweise nicht ernst genommen. Um Fragen wie diese zu beantworten, könnte man innerhalb einer weiteren Erarbeitung des Themas qualitativ oder quantitativ abfragen, wie Stellenanzeigen wie diese auf die Zielgruppe wirken und inwiefern sie von diesen wirklich abgeholt werden. Wichtig wäre es hier, im Hinterkopf zu behalten, dass mit Forschungen, für die das Verhalten bestimmter Geschlechter untersucht wird, immer eine, meistens binäre, Unterscheidung dieser vorgenommen und weitergegeben wird. Die Gender-Forschung ist sich dieses Paradoxes schon lange bewusst, allerdings gibt es bisher noch keine einheitlichen und wirklich zufriedenstellenden Lösungsansätze. Deswegen gilt es bisher, reflektiert an die Thematik heranzugehen und Fragestellungen bzw. Ergebnisse jederzeit zu hinterfragen. Wie bereits eingangs festgehalten, möchte ich mich konkret mit dem Thema Gendersensibles Design im Bereich des Employer Brandings auseinandersetzen. Weil es dazu in einem sehr geringen Umfang Literatur gibt, habe ich mir zunächst genauer angeschaut, wie es generell mit dem Thema Gendersensibilität im Employer Branding aussieht. Insgesamt findet man auch hier nur wenige Forschungen, trotzdem lässt sich aus der vorhandenen Literatur herauslesen, dass Arbeitnehmer*innen von Genderawareness und Gleichbehandlung in Unternehmen nur überzeugt werden können, wenn diese Werte innerhalb der Organisation auch tatsächlich gelebt und umgesetzt werden. Es reicht also nicht, sich diese bloß „auf die Fahne zu schreiben“. Unternehmen, die sich wiederrum nachhaltig mit der Thematik auseinandersetzen, wirken nachweislich vor allem auf Frauen* als attraktivere Arbeitgeber*innen. 

Ich habe mich außerdem konkret mit dem Thema Gender in Stellenanzeigen auseinandergesetzt und hier schnell gemerkt, dass sich Untersuchungen in dem Bereich vermehrt auf das Wording und weniger auf die Gestaltung der Anzeigen beziehen. Allerdings gibt es bereits bei den verwendeten Formulierungen noch immer Luft nach oben. Untersuchungen zeigen, dass Jobtitel (in Deutschland) zwar in den meisten Fällen durch ein „(m/w/d)“ ergänzt werden, trotzdem werden die Stellenbezeichnungen selbst nur in wenigen Fällen gegendert, bzw. geschlechtsneutral Formuliert. Studien zeigen, dass letzteres vor allem Frauen* von einer Bewerbung abhalten kann. Hinzu kommt, dass häufig Adjektive bzw. Charaktereigenschafften genannt werden, die als geschlechtsspezifisch wahrgenommen werden. So werden Begriffe wie „durchsetzungsstark“ als eher maskulin verstanden und solche wie „kommunikationsfreudig“ als eher feminin. Erneut kommt es dazu, dass Frauen* bei einer Verwendung männlicher Adjektive eher davon absehen, sich auf eine Stelle zu bewerben. 

Insgesamt zeigt sich, dass Gendersensibles Design im Employer Branding ein Thema ist, welches bisher nicht nur unzureichend erforscht wurde, sondern auch in der Praxis, trotz großer Relevanz, noch nicht ausreichend mitgedacht bzw. umgesetzt wird. Es lässt sich auch feststellen, dass es eine sensible und reflektierte Vorgangsweise bedarf. 

Typografie – Schriftklassifikation(en)

Der Versuch, die Vielfalt von Schriftarten zu überblicken 

In den letzten drei Beiträgen habe ich mich eingehend mit der historischen Entwicklung der Typografie befasst – vorwiegend mit jener im deutschsprachigen Raum. Die hat deutlich gemacht: Der Stil einer Schrift kann nur schwer losgelöst von ihrem Entstehungskontext betrachtet werden. Gesellschaftliche und technologische Entwicklungen beeinflussen Grafikdesigner:innen und Typograf:innen und damit die Entstehung und den Einsatz von Schrift. Solange Lettern aus Holz geschnitten wurden, waren wirklich exakte Formen unmöglich. Mit der Erfindung der Bleilettern konnten Setzer die Haarlinien verfeinern und Serifen deutlicher herausarbeiten. Neben der Technik war und ist es auch der Zeitgeist, der das Aussehen von Schriften über die Jahrhunderte prägte und es auch heute noch tut. Didot-Schriften, zum Beispiel, zeichnen sich durch stark betonte Grundstriche und extrem feine Haarstriche aus. Sie sind elegant und spiegeln den strengen und intellektuellen, aber feinen Stil des Klassizismus mit seinen griechischen und römischen Vorbildern wider. Im Kontrast dazu wurden im 19. Jahrhundert mit der industriellen Revolution die Egyptienne-Typen (engl. Slab Serif) populär – ihre kräftigen, eckigen Serifen und robuste Form zeugen von der Kraft und Funktionalität der Maschinen (vgl. Gautier 2009:50). 

Warum eine Schriftklassifikation? 

Beginnt man sich näher mit Schrift und Typografie zu beschäftigen, scheint einen der Umfang dieses Themas nahezu zu erschlagen. Alleine sich in der Unendlichkeit von verfügbaren Schriften zurechtzufinden wirkt wie eine Mammutaufgabe. Angesichts dessen und wohl um das Wesen der Typografie greifbarer zu machen, haben zwei Typografen Klassifikationen erstellt, die Schriften zu Schriftarchetypen zusammenfassen: die Thibaudeau-Klassifikation und die Vox-ATypI-Klassifikation. Letztere wurde von der  Association Typografique Internationale (ATypI = Internationale Gesellschaft für Typografie) übernommen. Auch die heutige Schriftklassifikation des Deutschen Instituts für Normung, der DIN 16518, ist an diese Klassifikation angelehnt. In der Folge gab es immer wieder Typografen, die sich mit der Klassifikation von Schriften auseinandersetzten –  u.a. Hans Peter Willberg, der eine Weiterentwicklung der DIN-Norm vorschlug.  

Von Thibaudeau zu Vox

1921 schlug Francis Thibaudeau eine Schriftklassifikation nach Serifen vor, die vier Klassen umfasst: 

  • Klasse 1: Elzèvirs 
  • Klasse 2: Didots
  • Klasse 3: Égyptiennes
  • Klasse 4: Serifenlose Antiqua-Schriften

Diese Klassifikation schien jedoch nicht die Vielfalt der unterschiedlichen Schriftarten abzubilden, weshalb Maximilien Vox 1952 eine Einteilung in elf Klassen vorschlug. Seine Klassifikation beruht auf Kriterien, die zumeist für eine bestimmte Epoche typisch waren: die Art der Grund- und Haarstriche, die Neigung der Buchstabenachse und die Serifenform.

Viele Schriften weisen Charakteristika aus zwei oder mehreren der nachfolgend vorgestellten Klassen auf. Aus diesem Grund halten viele Grafiker:innen eine Schriftklassifikation für umstritten oder obsolet. Für mich liegt der Vorteil in einer Klassifikation vor allem in der Möglichkeit, sich einen Überblick über die komplexe Vielfalt der Schriften verschaffen zu können. Auch wenn ich selbst im täglichen Umgang mit Typografie festgestellt habe, dass eine klare Zuordnung oft schwierig ist, empfinde ich es als Mehrwert, über die einzelnen Klassen und ihren historischen Ursprung Bescheid zu wissen. Aus diesem Grund möchte ich nun nachfolgend näher die Klassifikation der DIN-Norm 16518 sowie auch den Ansatz von H.P. Willberg vorstellen.  

Schriftklassifikation nach DIN-16518 

Die DIN-Norm legt elf Schriftklassen fest. 

1 Venezianische Renaissance-Antiqua (Entstehung ab 1450) 

Diese zeitlich erste Antiqua-Klasse zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus: 

  • kräftige Serifen
  • nach links geneigte Schattenachse (= Buchstabenachse) 
  • relativ große Ober- und Unterlängen 
  • schräger Innenbalken des e 

2 Französische Renaissance-Antiqua (Entstehung im 16.Jhr.)  

Charakteristika:

  • ebenfalls nach links geneigte Schattenachse
  • ausgerundete Serifen = stärkere Rundung von Grundstrich zu Serife 
  • teilweise waagrechter Innenbalken des e
  • Oberlänge der Kleinbuchstaben meist etwas länger als Höhe der Versalien

3 Barock-Antiqua (Entstehung im Barock / ab Ende des 16.Jhr.) 

Die Barock-Antiqua wird auch Übergangs-Antiqua oder vorklassizistische Antiqua genannt, da sie ein Bindeglied zwischen den Renaissance-Antiqua-Schriften und den sehr geplanten klassizistischen Antiqua-Formen bildet. 

Charakteristika:

  • der Kontrast zwischen Grund- und Haarstrichen verstärkt sich, da durch die Erfindung des Kupferstichs noch feinere, präzisere Formen möglich waren 
  • nahezu und teils vollkommen senkrechte Schattenachse
  • feinere und flachere Serifen; Rundung von Serifen zu Grundstrichen nimmt ab
  • waagrechter Innenbalken des e

Die Barock-Antiqua hat eigentlich kein opulent-barockes Auftreten, sondern sorgt für eine Beruhigung des Schriftbildes. 

4 Klassizistische Antiqua („Didots“) (Entstehung um 1800) 

Charakteristika:

  • Kontrast zwischen Grund- und Haarstrichen besonders ausgeprägt: stark betonte Grundstriche und extrem feine Haarstriche
  • senkrechte Schattenachse
  • kaum Rundungen zwischen Serifen und Grundstrichen 
  • geplante und durchdachte Schriften; die Buchstabenformen lassen Vorbilder der griechischen und römischen Architektur erkennen 

5 Serifenbetonte Linear-Antiqua (Slab Serif / Egyptienne) (Entstehung ab Beginn des 19. Jhr.) 

Charakteristika: 

  • starke und auffallende Betonung der Serifen
  • robuste Buchstabenformen: Grund- und Haarstriche haben nahezu dieselbe Stärke
  • keine Rundungen zwischen Serifen und Grundstrichen 

Slab Serif-Schriften spiegeln mit ihren auffallenden, starken Formen den Beginn des industriellen Zeitalters und die Kraft der Maschinen wider.  

6 Serifenlose Linear-Antiqua (Grotesk / Sans Serif) (Entstehung ab Beginn des 19. Jhr.)

Charakteristika: 

  • keine Serifen
  • oftmals gleichmäßige Strichstärke, d.h. wenig bis kein Kontrast zwischen Grund- und Haarstrichen
  • horizontale und vertikale Geraden 

Die Grotesk wurde ursprünglich als auffallende, „plakative“ Schrift für Akzidenz- und Werbezwecke entwickelt. Heute umfasst diese Klasse sehr viele unterschiedliche Schriften, was wiederum eine Unterklassifizierung erfordern würde. Einige Grotesken basieren etwa auf der klassizistischen Antiqua (z.B. Akzidenz, Univers), andere auf der Renaissance-Antiqua (z.B. Lucida-Sans, Syntax). Parallel entstand in den USA auch die Amerikanische Grotesk (z.B. Franklin Gothic). Ab dem 20. Jahrhundert entstanden die konstruierten Grotesken, die sehr geometrische Formen aufweisen (z.B. Futura).

7 Antiqua-Varianten

In diese Klasse fallen alle Antiqua-Schriften, die keiner der Strichführungen der anderen Klassen zugeordnet werden können. Sie zeichnen sich oftmals durch Charakteristika mehrerer Klassen aus oder haben bestimmte Strichführungen bzw. Besonderheiten, die Regeln bisheriger Kategorien brechen.

8 Schreibschriften (Scripts)

Charakteristika:

  • miteinander verbundene Buchstaben
  • grundsätzlich alle Schriften, die die Wirkung einer heutigen Schreibschrift nachahmen

Schreibschriften gab es bereits zu Bleisatz-Zeiten, jedoch wurden sie vor allem durch die Verwendung von Schriften am Computer populär, um dem digitalen Druckzeug eine handschriftliche Note zu verleihen. 

9 Handschriftliche Antiqua 

Diese Klasse fasst alle Schriften zusammen, die handschriftliche Züge aufweisen, jedoch keine gebundene Schrift erzeugen – also die Buchstaben sind nicht miteinander verbunden wie das bei Schreibschriften der Fall ist. 

10 Gebrochene Schriften 

Gebrochene Schriften zeichnen sich durch ganz oder teilweise gebrochene Bögen der Buchstaben aus, die einen abrupten Richtungswechsel in der handschriftlichen Strichführung nachahmen. Eine Besonderheit liegt zudem im langen s, das vor allem in der deutschen Sprache verwendet wurde. Gebrochene Schriften waren hauptsächlich im deutschsprachigen Raum verbreitet. In der Mitte des 12. Jahrhunderts entwickelte sich in Europa die Gotik, was sich in der Architektur durch den Übergang von romanischen Rundbögen zu gebrochenen gotischen Spitzbögen zeigte. Dieser Bruch wurde daraufhin auch in der Minuskel-Buchschrift imitiert. Dadurch entstand aus der runden karolingischen Minuskel die gebrochene gotische Minuskel.  

Von der DIN-Norm werde gebrochene Schriften in fünf Unterkategorien unterteilt: 

  • Gotisch (Textura) – ursprünglich eine Buchschrift für Manuskripte, später eine Satzschrift 
  • Rotunda (Rundgotisch) – ebenso zuerst eine Buchschrift für Manuskripte, später eine Satzschrift
  • Schwabacher – Satzschrift 
  • Fraktur – Satzschrift 
  • Fraktur-Varianten – Satzschrift(en) 

Durch den Normalschrifterlass 1941 wurden die gebrochenen Schriften aus den Lehrplänen und dem offiziellen Schriftgebrauch verbannt. 

11 Nichtlateinische (fremde) Schriften 

Fremde Schriften sind nach der deutschen DIN-Norm jene, die sich nicht des lateinischen Alphabets bedienen. Beispiele: Chinesisch, Koreanisch, Kyrillisch, Arabisch, Griechisch, Hebräisch 

Diesen elf Klassen fügen Damien und Claire Gautier auch noch die Klassen der Fantasieschriften und der wandlungsfähigen Schriften hinzu. Zu Fantasieschriften zählen Gaultier alle Schriften, die sehr unterschiedliche, teilweise extreme Charakteristika aufweisen. Oft entstehen Fantasieschriften aus technischen Experimenten und sind vor allem für den Einsatz als Headlines oder plakative Texte gedacht. Als „wandlungsfähig“ bezeichnen sie Schriften, die auf Basis derselben Grundform gezeichnet wurden, aber verschiedenen Klassen zugeordnet werden können – also Schriften, die es als Antiqua- und Grotesk-Variante gibt, aber auch Sans Serif-Schriften, deren Strichstärken einmal gleichbleibend und ein andermal mit Kontrast auftreten (vgl. Gaultier 2009:51). Da sich die Buchstabenformen in der Regel einer der bereits genannten Klassen zuordnen lassen, stellen Monospace-Schriften keine eigene Klasse dar. Ich möchte sie aus Gründen der Vollständigkeit trotzdem an diesem Punkt erwähnen, da sie eine besondere Form aller zuvor genannten Schriften bilden: Bei Monospace-Schriften haben, wie ihr Name schon sagt, alle Zeichen exakt dieselbe Dickte. Ob H oder i, ob W oder Komma – die Breite des Zeichens ist immer dieselbe. Aus diesem Grund muten Monospate-Schriften an, als wären sie von einer Schreibmaschine getippt worden.

Kritik an der Schriftklassifikation der DIN-Norm 16518 

Wie bereits erwähnt lassen sich heute viele Schriften nicht mehr eindeutig dieser historisch bedingten Klassifizierung zuordnen. Daniel Perraudin, Typograf, Grafiker und Lehrender, gibt in seiner Typografie-Vorlesung an der Fachhochschule Joanneum an, dass circa neunzig Prozent der neuentwickelten Schriften der Klasse der Grotesk zugeordnet werden müssten – obwohl sie sich in ihrem Erscheinungsbild durchaus unterscheiden. 

Schriftklassifikation nach Hans Peter Willberg

H.P. Willberg war ein deutscher Typograf, Grafiker, Illustrator sowie Hochschullehrer. Sein Gestaltungsansatz prägt bis heute die grafische Schule – besonders auch die Typografie. Auch ihm schien die Schriftklassifikation nach Vox bzw. die daraus resultierende DIN-Norm als mangelhaft, weshalb er sie um eine Dimension zu erweitern versuchte. Die Form der Buchstaben, die die Grundlage für die DIN-Einteilung bildet, ergänzt er um die Dimension des Stils. Dieser kann nach Willberg dynamisch, statisch, geometrisch, dekorativ oder provozierend sein. 

Die Schriftklassifikation nach H.P. Willberg ergänzt die Buchstabenform um die Dimension des Stils.
Bild (c) Daniel Perraudin

Kritik an Willbergs Schriftklassifikation

Jedoch kann auch an Willbergs Klassifizierung Kritik geübt werden: Ob eine Schrift „dekorativ“ oder gar „provozierend“ sei, liegt stark im Auge des Betrachters, was eine objektive Zuordnung eigentlich nicht zulässt. Zudem scheint es gerade bei Scripts, also Schreibschriften, besonders schwierig einen eindeutigen Stil zu identifizieren.  

Summa summarum

Nach eingehender Betrachtung der zuvor beschriebenen Schriftklassifikationen möchte ich nochmals festhalten: Auch wenn nicht alle und vor allem nicht neu entwickelte Schriften gänzlich einer Klasse zugeordnet werden können, bieten die vorgestellten Klassifikationen die Möglichkeit, sich in der Vielfalt an Schriften zurechtfinden und eine vorliegende Schrift auf ihr Wesen zu prüfen. Als Grafiker:innen sind wir häufig gefordert, eine oder mehrere Schriften für ein Projekt auszuwählen. Sowohl zu wissen, welchen Hintergrund eine Schrift hat und in welchem Kontext ihr Archetyp entstanden ist als auch das Bewusstsein dafür, aus welchen Gruppen überhaupt zu wählen ist, gibt (zumindest mir) ein Gefühl von Kontrolle in diesem Entscheidungsprozess. Obwohl die Typografie nicht ohne Bauchgefühl, ohne ästhetischem Auge und schon gar nicht ohne Erfahrung auskommt, muss auch die Ratio eine Rolle spielen. Die Wahl einer Schrift auch objektiv argumentieren zu können, ist essentiell. Für diese Objektivität zählen neben Lesbarkeit auch Geschichte und Stil eine Rolle: Type Designer Tré Seals ist überzeugt, dass Schriften Geschichten erzählt – viele auch politische. 2015 stellte der Amerikaner mit afroamerikanischen Wurzeln fest, dass nur circa drei Prozent der amerikanischen Designer:innen schwarz und 85 Prozent weiß waren. Diese Mehrheit war bis vor nicht allzu langer Zeit auch vorwiegend männlich, so Seals. Darin lag für ihn der Grund für die Uniformität von Webseiten – alles sah (und sieht heute noch) typografisch gleich aus. Auf seiner Webseite schreibt er: „If you’re a woman or if you’re of African, Asian, or Latin dissent, and you see an advertisement that you feel does not accurately represent your race, ethnicity, and/or gender, this is why.“ So gründete Seals seine Type Foundry Vocal Type, die mittlerweile acht Schriften im Programm hat. Alle sind mit der Geschichte von Minderheiten verknüpft – zum Beispiel, mit der Bürgerrechtsbewegung in den USA, mit der Frauenwahlrechtsbewegung oder mit den Stonewall-Unruhen, der Geburtsstunde des Gay Pride (vgl. Dohmann 2021: 68). Seals Arbeiten sind ein Beispiel dafür, dass Schriften nicht nur elegant oder witzig, minimalistisch oder opulent, sondern auch gesellschaftskritisch und (sozio-)politisch sein können. Als Grafiker:innen, die mit ihrer Gestaltung Haltung und Verantwortung zeigen wollen, sollen wir uns dessen immer bewusst sein.


Literatur

Dohman, Antje. „Types that matter“, in Günder, Gariele (Hrsg.), Page 03.21. 

Gaultier, Damien und Claire. Gestaltung, Typografie etc. Ein Handbuch. Salenstein: Niggli, 2009.

Perraudin, Daniel. Klassifikationen – Typografie 1 [Vorlesungsunterlagen]. Verfügbar über: auf Anfrage. 

Seals, Tré. Manifesto [online]. Vocal Type. [Letzter Zugriff 2022-01-22] Verfügbar über: https://www.vocaltype.co/manifesto

Wikipedia. DIN 16518 [online]. Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. [Letzter Zugriff 2022-01-22] Verfügbar über: https://de.wikipedia.org/wiki/DIN_16518

Bildnachweise

Beispiel „Bembo“ via typelexikon.de: https://www.typolexikon.de/manutius-aldus/bembo/

Schriftklassifikation nach H.P. Willberg – © Daniel Perraudin, aus den Vorlesungsfolien der LV Typografie 1 an der FH Joanneum 

Alle anderen Bilder © Karin Schmerda

Wie werde ich Grafiker*in?

aus der Geschichte ins Jetzt.

Im letzten Beitrag war die Schweiz Kern der Recherche, genauer die Geschichte der Ausbildung und der – zufällig, als Abfallprodukt – damit parallel sich entwickelnde Swiss Style. Da die Schweiz in Ausbildungs-Bereich sowie mit sehr vielen international erfolgreichen Gestaltern lange Zeit die Nase vorne hatte, stellte sich mir die Frage, was aus diesem Erbe geworden ist. Darum recherchierte ich den heutigen Stand in der Schweiz: Wie wird man dort heute Kommunikationsdesginer*in?

Design als Lehre?

Grafiker*in als Lehrberuf hatte wie im letzten Beitrag gezeigt in der Schweiz schon immer einen hohen Stellenwert. Generell lässt sich ja visuelle Kommunikation durchaus als Handwerk verstehen, wenn sich an dieser Ansicht auch die Geister scheiden mögen. Viele Dinge sind jedoch sicherlich »handwerkliche« Fertigkeiten und es hat nur in unseren Breiten in den letzten Jahrzehnten die höhere Bildung und weiter die Hochschulausbildung einen wichtigeren Stellenwert erlangt; Lehrberufe – zu unrecht – als minderwertiger angesehen. In vielen Berufen werden Lehrlinge, welche parallel zur Lehre eine fundierte Ausbildung erhalten, vor allem für ihren Praxisbezug geschätzt – sie lernen schließlich im täglichen Arbeitsumfeld und wissen von Anfang an, was es heißt, Design auch verkaufen zu müssen.

In der Schweiz ist es die Lehre des Grafiker*in EFZ, welche diesen Beruf vermittelt. Die Ausbildung wird mit dem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) abgeschlossen. „Dieser Beruf steht ganz im Zeichen der visuellen Gestaltung. Grafiker/innen verleihen Informationen, Inhalten und Medien einen individuellen, ästhetisch anspruchsvollen Auftritt. Traditionelle Utensilien, also Bleistift, Schere und Papier, gehören genauso zu ihrem Werkzeugkasten wie elektronische Medien, Computer, Kameras und Scanner. Sie gestalten gedruckte, räumliche und elektronische Medien. Die Ausbildung erfolgt in einem Lehrbetrieb und an der Berufsfachschule.“ Die Lehre dauert vier Jahre. Der Berufskundeunterricht findet wöchentlich an eineinhalb Tagen statt. Dazu kommen überbetriebliche Kurse des Berufsverbands. Nach dem Berufsabschluss stehen verschiedene Weiterbildungsangebote offen, an der Schule für Gestaltung Basel ist dies etwa der Bildungsgang Dipl. Gestalter*in Kommunikationsdesign, Fachrichtung Visuelle Gestaltung oder Interaction Design. Mit einer Berufsmatura, welche neben der Lehre absolviert werden kann, ist der Zugang zu einer Fachhochschule oder einer Hochschule für Gestaltung und Kunst eine weitere Option.

In den ersten drei Lehrjahren ist der Fachunterricht auf vielseitige Wissensvermittlung fokussiert, im vierten Jahr wird das Wissen in Projekten vertieft. Parallel dazu wird mit den Überbetrieblichen Kursen ein weiterer Lernort geschaffen – die sogenannte Triale Lehre. Dem Unterricht Kunst/Kultur/Design wird als Fixum über alle vier Jahre ein hoher Stellenwert gegeben.

Konkret bedeutet das im ersten Lehrjahr die Fächer Zeichnen, Technologie, Kunst/Kultur/Design (Schrift- und Typografiegeschichte), Typografie und Farbtheorie; der Überbetriebliche Kurs beschäftigt sich mit Computer Grundkenntnissen. Im zweiten Jahr kommen Projektadministration, Fotografie und Portfolio/Präsentation hinzu, der Überbetriebliche Kurs umfasst Produktionstechniken. Im dritten Lehrjahr ändert sich das Curriculum, Umsetzung/Semiotik, Interaktive Medien, Infografik, Markt und Kommunikation sowie wiederum Kunst/Kultur/Design machen den theoretischen Teil aus, der Überbetriebliche Kurs hat „Idee und Konzept“ zum Thema. Im finalen vierten Jahr schließlich stehen Projekte zu den Themen Corporate Design und neue Medien sowei Experimente auf dem Plan, Kunst/Kultur/Design gibt der aktuellen Kunst Raum.

Die Ziele des Unterrichts erinnern an österreichische Schul-Lehrpläne, wie beispielsweise in Typografie, 2. Lehrjahr: »Kenntnis der unterschiedlichen Lesequalitäten verschiedener Schriften. Fähigkeit, Schriften richtig und dennoch innovativ einzusetzen. Fähigkeit, eine professionelle mehrseitige digitale Layoutdatei einzurichten. Fähigkeit, einen umfangreichen Text für eine Publikation ästhetisch ansprechend umzusetzen«. Oder in Markt und Kommunikation des dritten Lehrjahres, mit Zielen unter anderem: »ein einfaches Marktforschungskonzept erstellen, durchführen und auswerten. Erklären der Instrumente des Marketingmix und ihrer Beziehungen zur Marketingkommunikation. Ein einfaches Kommunikationskonzept erarbeiten und zielorientierte sowie zielgruppengerechte Maßnahmen planen und einsetzen. Verkaufsförderung innerhalb eines Kommunikations- konzeptes einsetzen.«

Vorkurs und Propädeutikum

Zwei vorbereitende Lehrgänge gibt es in der Schweiz, die Anwärter unterschiedlichen Alters und Vorbildung auf gestalterische Berufe vorbereiten.

Der gestalterische Vorkurs ist die Schnittstelle zwischen Sekundarstufe I (Unterstufe) und Berufslehre. Er bereitet auf eine gestalterische Berufslehre vor. Der Vorkurs bietet eine breite gestalterische Grundausbildung, die den Anforderungen gestalterischer Berufsausbildungen gerecht wird sowie die Chance den Berufswünsche zu präzisieren und die Eignung der Schüler*innen zu überprüfen.

Das gestalterische Propädeutikum ist die Schnittstelle zwischen Matura und Hochschule. Maturanten*innen haben oft nicht genügend Erfahrung und Vorbildung im gestalterisch-künstlerischen Bereich, das Propädeutikum gilt als Orientierungs- und Grundlagenjahr für ein gestalterisch-künstlerisches Studium und ermöglicht eine Grundausbildung auf diesem Gebiet. Sie schaffen sich die fachliche Basis für ein Studium und haben die Möglichkeit, ihre Studienwünsche zu präzisieren und ihre persönliche Eignung zu überprüfen. Das Propädeutikum ist Zulassungsbedingung für die Ausbildung an einer gestalterischen Hochschule. 

Das Aufnahmeverfahren für beide Kurse umfasst eine Hausaufgabe im Umfang von ca. vier Arbeitstagen, eine halbtägige Hauptprüfung, eine Mappenpräsentation und ein Gespräch.

In Basel bestehen beide Lehrformen aus drei Modulen: Das Studienmodul, das Kontextmodul sowie das Projektmodul. Im Studienmodul liegt der Schwerpunkt auf der Schulung von präzisem Handwerk und verfeinerter Wahrnehmung. In diesen Modulen stehen technische und fachliche Gestaltungsgrundlagen im Fokus und werden in den Bereichen Farbe & Bild, Raum & Material, Skizze Bild, Schrift & Form und Zeichnen vermittelt.

Im Kontextmodul stehen die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Bildes und der Medien im Fokus. Durch Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst und Gestaltung entwickeln die Lernenden ihre persönliche visuelle Kultur. Die Kontextmodule sind: Forum (Vorträge und Präsentationen aus der Arbeitswelt), Konzept, Layout & Portfolio sowie Visuelle Kultur (Analyse zeitgenössischer visueller Darstellungen).

In den Projektmodulen stehen das eigenständige und kritische Denken und Handeln im Zentrum, sowie die Offenheit, sich auf experimentelle gestalterische Vorgänge einzulassen. Das Projektmodul ist ein Wahlpflichtfach und wird als Ergänzung zum bestehenden Fächerangebot individuell ausgewählt. Zur Auswahl stehen Animation Illustration, Auge Apparat Bild, Handeln Denken Kunst, Illustration Druckgrafik, Körper Kleid Performance, Lichtraum Raumlicht, Performance Szenografie, Raum Zeit Dimension, Siebdruck Studio und Typoclub.

Hochschulausbildungen

Auf Universitärer Ebene gibt es natürlich eine Vielzahl von Studienmöglichkeiten in der Schweiz mit unterschiedlichem Fokus und Vertiefungen. Speziell möchte ich mich hier mit dem System der Zürcher Hochschule der Künste beschäftigen. 

Mit rund 2100 Bachelor- und Masterstudierenden und 650 Dozierenden zählt die Zürcher Hochschule der Künste zu den großen Kunsthochschulen Europas. Das Studien- und Forschungsprogramm umfasst die Bereiche Design, Film, Fine Arts, Musik, Tanz, Theater, Transdisziplinarität und Vermittlung der Künste und des Designs. Im Department Design gibt es die Bachelor Studiengänge Cast/Audiovisual Media, Game Design, Industrial Design, Interaction Design, Scientific Visualization, Trends & Identity, Visual Communication sowie die Masterstudien Game Design, Interaction Design Knowledge Visualization, Product Design, Trends & Identity, Visual Communication.

Der Bachelor Visual Communication lehrt die bildhafte Vermittlung von Information und die gestalterische Umsetzung von Kommunikation, für klassische und digitale Medien. Es stellt die konzeptionellen und gestalterischen Aspekte der Projektarbeit in den Mittelpunkt. Das Studium besteht aus dem Grundstudium, welches sich der Auseinandersetzung mit den gebräuchlichen Ausdrucksformen und Stilmitteln der visuellen Gestaltung widmet. Themen sind das visuelle Vokabular, Standard und Handwerk,Typografische Satzungen, zeichenmalerische Elemente, fotografische Bildwelten, grafisches Instrumentarium und Programme werden erlernt. Ebenso Zeichentheorie, Medien, Asthetik, kommunikations- und gesellschaftsspezifische Fragen.

Als zweiter Bestandteil des Bachelor ist das Projektstudium geprägt von den kürzeren und längeren Projekten der studienbereichsspezifischen Schwerpunkte Corporate Design und Informationsdesign und wird dabei ergänzt durch vertiefende Angebote in den Bereichen Editorial, Interaktion und Bild.

Der Schwerpunkt »Identität & Marke« hat die zukunftsgerichtete kommunikative und ganzheitliche Charakterisierung institutioneller Einrichtungen zum Ziel, die deren jeweilige Funktion, Bedeutung und ihren gesellschaftlichen Wert mit einer überzeugenden, kultivierten Zeichensprache verdeutlicht. Dazu gehören die Disziplinen Corporate Communications und Branding sowie ihre Schnittstellen zu Corporate Culture, Marketing und Werbung.

Der Schwerpunkt »Information Design« entwickelt Informations- und Orientierungssysteme im räumlichen Umfeld, befasst sich mit der Visualisierung von abstrakten Daten und Inhalten, der Entwicklung didaktischer Medien und Inhalte und setzt sich mit der visuellen Formulierung von anleitenden bzw. instruierenden Anwendungen auseinander.

Der Schwerpunkt »Editorial Design« begreift sich als Schnittmengenkompetenz. Als jene Instanz, die entwerfend, gestaltend und nicht zuletzt auch erzählend unterschiedlichste Themen und Thematiken vermittelt. Die Verbreitung von Wissen und Bewusstsein mittels Schrift und Bild steht im Zentrum – medienübergreifend.

Neue Wege

Diese Einteilung und Spezialisierung an sich ist interessant, der wirklich neuartige Ansatz ist jedoch übergeordnet. Die ZHdK bietet ein europaweit einzigartiges Studienangebot, welches disziplinenübergreifend zusammengestellt werden kann, genannt Major-Minor, welches gerade etappenweise eingeführt wird. Der Bachelor startet im Herbst 2022, der Master folgt 2023. Das Minor-Angebot steht ab 2023 offen.

In diesem System ist es möglich, einen Bachelor Major-Schwerpunkt mit einem von zahlreichen, neu geschaffenen Minors zu kombinieren. Die ZHdK schreibt: »In zehn Jahren werden unsere Alumni in Berufsfeldern arbeiten, die wir heute noch nicht kennen. Die Kompetenzen, die in Zukunft gefragt sind, werden vielfältiger, individueller und fachübergreifender sein. Um den künftigen beruflichen Anforderungen und Arbeitsweisen gerecht zu werden, haben wir unser Bildungsangebot grundlegend reformiert.«

Der Major ist der Studienschwerpunkt und bestimmt den Diplom-Titel. Er umfasst im Bachelor 150 und im Master 90 Credits. Der Minor ist im Vergleich zum Major ein kleineres Studienprogramm. Mit klarer Ausrichtung auf eine Qualifikation wird der Minor mit auf der Diplomurkunde ausgewiesen. Ein Minor umfasst 30 Credits oder 15 Credits. In Verbindung mit dem Major hat der Minor zwei Funktionen: Vertiefung und Spezialisierung bei Major-ähnlicher Minor-Wahl oder Erweiterung und Ergänzung wenn der Minor aus einem fremden Themenfeld kommt.

Im Departement Design gibt es beispielsweise die oben genannten Studienrichtungen als Major (Game Design, Visual Communication, usw). Minors dieses Departements sind derzeit 15 angeführt; unter anderem Social Media & Storytelling, Licht & Farbe, Health Design Matters, Visual Literacy, UX Design, Sustainable Design, Experimental Interaction, usw. Ein spezieller Minor ist die Student Design Agency, in der reale Kundenprojekte umgesetzt werden.

Ich kann als Student*in also beispielsweise zu meinem Major Visual Communication den Minor Sustainable Design wählen um mich in diese Richtung zu spezialisieren.

Wirklich spannend wird es aber, wenn man Departement-fremde Minors wählt und so ganz spezifische, individuelle Kombinationen schafft. Ein Minor aus dem Departement Film ist da sicher noch die einfache Kombination, hier stehen z.B. Minors wie »The Core of storytelling« oder »cinematic Narration in Virtual Spaces« zur Verfügung. Der Bogen kann aber noch weiter gespannt werden, z.B. aus dem Departement Fine Arts (u.A. Minor »Art Production and Handling«), Dep. Art Education (u.A. Minor »Bildungs- und Erziehungswissenschaften – Grundlagen für die Lehre in den Künsten«), Dep. Musik (u.A. die Minors »Staging sound«, »production advanced« oder aber »Orchestral Studies«) oder schließlich Dep. Tanz mit »Health, Excellence and Career Development« als möglichem Minor – die Kombinationsmöglichkeiten sind scheinbar grenzenlos. Zu guter Letzt stehen 14 Department-übergreifende Minors zur Verfügung: von Critical Thinking und Transcultural Collaboration bis Gender Perspectives und Projektentwicklung und Unternehmertum.

Die ZHdK spielt mit diesem System sicher die Möglichkeiten ihrer Größe aus – dieses System ist sicher kein sehr ressourcenschonendes und leicht auf kleinere Universitäten umzusetzen. Dennoch ist es ein sehr interessanter Ansatz auf einen sich stark ändernden Arbeitsmarkt zu reagieren. Die Wirkung auf potenzielle Studenten wird sicherlich sehr positiv sein, seine eigenen Interessen zu fördern, zu fokussieren oder aber zu erweitern ist zweifelsohne ein größerer Motivator als sich in starren Studiensystemen mit unliebsamen Fächern herumschlagen zu müssen…

Die Schweiz bietet also nach wie vor interessante Ansätze zum Thema Pädagogik und Visuelle Kommunikation, sei es im Anpassen von alten Strukturen an ein modernes Umfeld oder im neudenken von Ausbildungsmöglichkeiten.

Kulturelle Aneignung: Wie Modehäuser Tradition plagiieren

Kultur, Mode, Plagiat.

Mode ist ein Phänomen, dass meist in Verbindung mit der westlichen Welt ab dem späten Mittelalter gebracht wird. In der Theorie wird sie als “kulturelle Konstruktion der verkörperten Identität” betitelt und beschäftigt besonders die Menschen unserer Zeit. Sie ist Statussymbol, Selbstinszenierung und ein Teil unserer Gesellschaft. Gerade die Globalisierung und die Zugänglichkeit an Informationen, stellt auch für diese Industrie wesentliche Probleme dar. Großen Modehäuser werden kulturelle Aneignung und Plagiatsdelikte vorgeworfen. Warum ist dieses Problem vor allem eines der Nachhaltigkeit und welche Möglichkeiten gibt es dagegen zu steuern?

Im siebzehnten Jahrhundert wurde Paris die Hauptstadt der europäischen Mode und ist heute neben Mailand, London und New York, die Hochburg der Haute Couture. Die großen Modehäuser wie Yves Saint Laurent, Hermes, Gucci, Louis Vuitton, Balenciaga etc. wurden im 20. Jahrhundert gegründet und dominieren heute den Luxusgütersegment der Industrie. Die 1990er Jahre erlebten ein drastisch erhöhtes Interesse an Orientalismus und ethnischen Trends. Sie waren das Hauptthema der Mode und lieferten Inspirationen ins besondere durch ihre einzigartigen Farbschemata, den geometrischen Formen und ihren kontrastreichen Kompositionsmethoden.

Die Region Bihor, im Nordwesten Rumäniens ist im Land sehr bekannt für ihre ethnische Mode. Seit Jahrhunderten fertigen Frauen in dieser Region Folklore Kleidung, die als Teil der rumänischen Identität gelten. 2018 warfen die Einheimischen dieser international unbekannten Region dem französischen Modehaus Dior vor, eine ärmellose bestickte Weste kopierte zu haben, die für Euro 30.000,- pro Stück zum Verkauf stand.

Es folgte die Kampagne #Give Credit des Vereins La Blouse Romanie und damit auch die Aufdeckung weiterer Plagiatsdelikte: Gucci, Sezane, Valentino, Yves Saint Laurent und viele mehr, beziehen sich nicht auf die Herkunft ihrer Kreationen. Außerdem wurde daraus das Mode-Label Bihor Couture gegründet, um lokale Designer*innen zu unterstützen.

Besonders Folklore Blusen aus dem Balkan, werden als Bohème-Kleidungsstücke präsentiert, ohne dabei die kulturellen Hintergründe als solche zu identifizieren. Die Bluse selbst stellt eine für sich definierte Sprache, aus definiertem Vokabular (natürlichen Symbolen), Textsymbolen (ikonisch und räumlich) und Erzählungen (Perspektive und Dynamik) dar. Die Regeln, die zu ihrer Entstehung führen, sind komplex. Die Symbole auf den Schultern erzählen die Geschichte ihrer Vergangenheit (Herkunft und Rituale). Auf der Rückseite des Kleidungsstücks befindet sich ihre Zukunft (kollektive Ängste und Überzeugungen) und durch eine Kordel, die von der Rückseite über die Ärmel zur Vorderseite der Bluse führt, vereinigt sich Spinozas natura naturata. Dadurch, dass etwaige Modehäuser sich nicht zu ihrer Inspirationsquelle bekennen, wird dem Ursprung dieser Handwerkskunst nicht der nötige Respekt erwiesen.

Das Resultat daraus ist die Verwestlichung von ethnischem Design, das über Jahrhunderte etwaige Kulturkreise identifiziert. Würden jedoch Folklore zu einem international anerkannten Symbol werden, haben gerade solche Kampagnen das Potenzial, eine sinnvolle Grundlage für die Etablierung neuer Marken und den Kampf gegen kulturelle Aneignung zu schaffen. Vor allem steht es in unserer Verantwortung als Gesellschaft, die Tradition zu bewahren und ihr ausreichend Beachtung zu schenken.

Quellen:

Steele, Valerie: Paris Fashion: A Cultural History. Revised ed. Oxford: Berg, 1999.

Fashion Theory: The Journal of Dress, Body & Culture. Quarterly. Oxford: Berg, 1997.

Corduneanu, Ioana | Drăgan, Nicolae-Sorin: Semiotics of white spaces on the Romanian traditional blouse, the IA. Romanian Journal of Communication & Public Relations. Bucharest, 2018.

Craik, Jennifer | Prudence Black: Fashion Theory: The Journal of Dress, Body and Culture, Volume 13, Issue 4. Vol. 13. 2009.

Walker, Stuart | Evans, Martyn | Louise Mullagh: Traditional Maker Practices and Sustainable Futures. The implications of expertise, The Design Journal, 22. 2019.

Schrift als Mittel des Protest

© EPA/JUSTIN LANE

Grundlegend sind Schriften Geschichten die erzählt werden. Unsere Buchstaben transportieren eine Botschaft, während sie selbst als Botschafter dienen.  
besonders spannend und deutlich wird diese Simultanität bei Plakaten, Spruchbändern und anderen Fragmenten die Menschen zum Protest mit auf die Straße nehmen.  
 
Nur die wenigsten von diesen Menschen werden sich beim bemalen dieser Plakate wohl selbst als Grafikdesigner*innen bezeichnen. Doch zu diesen werden sie in dem Moment, wenn der Pinsel den Untergrund berührt. Jedes Banner erzählt eine persönliche Geschichte und gleichzeitig die Position einer gesamten Bewegung. Oft werden sie mit Wut, Trauer aber auch voller Hoffnung auf Veränderung verfasst und gestaltet.  

Seit der Entwicklung von Druck- und Satztechnik wird diese auch zum Verbreiten von politischen Meinungen genutzt. Durch neue Entwicklungen in diesem Bereich gelang eine Verbindung aus Kunst und Aktivismus.  
 

Die meisten der Bürgerinnen und Bürger, die Schilder für Protestmärsche oder Demos anfertigen, betrachten sich wohl nicht als Grafikdesigner, aber sie werden es, sobald sie den ersten Buchstaben auf ihr Spruchband malen. 

Es ist allerdings nicht immer sinnvoll und hilfreich, den Kommunikationsmittel der Protestbewegung das Etikett
”Design” anzuhängen. Die Wissenschaftlerin Dori Tunstall hat untersucht, wie das Prinzip Design anthropologisch auf gesellschaftliche Organisationen angewandt werden kann.  
Sie veröffentlichte im Jahr 2016 im WCCW’s Feminist Organisation Handbook einen Aufsatz, in dem sie zu dem Schluss kam, dass es für Protestbewegungen von entscheidender Bedeutung sei, auf die “irrelevante Unterscheidung zwischen Kunst, Handwerk und Design zu verzichten” und so Hierarchien aufzulösen, die es geschafft hätten , sich in den gesellschaftlichen Aktivismus einzuschleichen.  
Künstlerische Proteste stoßen laut Tunstall am häufigsten auf Interesse und finanzielle Unterstützung. Einem Designorientieren Protest wird währenddessen “zu viel Professionalität” zugeschrieben.  
 

Gesellschaft statt Marketing  

Politisches Design bedient sich zunehmend der Open-Source-Idee, das heißt Entwürfe stehen nun zu freien Verfügung. Ein Beispiel dafür ist Shepard Faireys Plakatserie ”We the People”, die auf den Kampf gegen “die zunehmende Ausbreitung von Nationalsozialismus, Bigotterie und Intoleranz” zielt. Die Poster Reihe kann von jedem umsonst heruntergeladen werden und genutzt werden.  

“Engagierte Designprofis verzichten zunehmend auf den materiellen Wert ihres geistigen Eigentums und den Schutz durch das Urheberrecht, da sie eine viel größere Wirkung erziehen, wenn sich ihr Werk frei verbreitet – angefeuert von der digitalen Technologie und einem breiten Protest”, sagt die Kuratorin des Design Museums, Margaret Cubbage. “Da hat sich einiges Verändert, und so zeigt sich auf einmal glasklar die Wirkung von Grafikdesigner für die Weitergabe und die Verbreitung einer Botschaft. Die Menschen sollen das Werk der Designer tatsächlich nutzen.  
 

Ein weiteres Beispiel dafür ist das Plakatprojekt “Now You See Me Moria”, das Bewusstsein für die humanitäre Krise der EU schärft. Das Projekt hat über 422 Antworten von Designern zusammengestellt, die Poster eingereicht haben – von denen jedes heruntergeladen, gedruckt und im öffentlichen Raum platziert werden kann.Das Projekt wurde vom niederländischen Fotografen und Fotoredakteur Noemí initiiert und sah dann Qutaeba aus Syrien und Ali und Amir aus Afghanistan – Amir ist ein Flüchtling, der in Camp Moria lebt – zusammenkommen, um das Bewusstsein für die Situation zu schärfen. Seit August 2020 sammelt die Gruppe Geschichten und Fotos, um das Leben im Lager zu dokumentieren. Dies wurde jetzt zu einem Instagram-Account zusammengefasst, alles mit dem Ziel, das Bewusstsein in ganz Europa zu verbreiten.

Now You See Me Moria: Erik Schöfer (Copyright © Erik Schöfer, 2021)

Von Alltagskunst zum Museumsstück 

Plakate und Spruchbänder, welche für Proteste entstehen, werden meist nur für eine kurze Dauer erschaffen. Sie sind nicht für den längeren Gebrauch gedacht. Trotzdem entstand nun eine Ausstellung welche diese Plakate und Schilder ausstellt. Alltagskunst wird hier zum Museumsstück.  
Viele dieser Stücke bestehen rein aus typografischen Elementen. So auch die Flagge des Künstlers Dread Scott zur Unterstützung von Black lives matter. Das Werk erinnert an die Fahnen, welche zwischen 1920 und 1838 am Hauptplatz der Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People anlässlich der Lynchmorde an Schwarzen in den USA gehisst wurde. Die Flagge welche von Scott gestaltet wurde arbeite mit den gleichen sehr markanten weißen Versalien auf schwarzem Grund.

Fokus auf die Basics

Die leichte Verfügbarkeit von Materialen ermöglicht es immer mehr Menschen und auch Nicht-Designer*innen möglich immer mehr Protest Plakate und Poster zu erstellen.  
Doch wie bereits erwähnt kann ein handgeschriebenes Plakat oft viel mehr aussagen als ein besonders perfektioniertes Werk aus dem Bereich des Grafikdesigns welches durch Technik und außergewöhnliche Schriften glänzt. Denn was die die Leidenschaft eines Protests am besten einfängt sind handgeschriebene Plakate.  
 

Der Fotograf David Holbrook, welcher die Black Lives Matter Proteste in London fotografiert hat sagt, dass Schilder, die komplett handgemacht sind auch zeigen, dass jemand Zeit und Mühe in sein Anliegen investiert hat. Auch das macht es ausdrucksstark.  
 “Ein fetter Textblock garantiert, dass man ihn wirklich sehen kann”, fügt er hinzu. “Alles in Großbuchstaben gestezt….das will gehört werden; die typografische Form dafür, dass man seine Forderung herausschreit.” 
 

Quellen:

itsnicethat.com/news/now-you-see-me-moria-graphic-design-100221
paradox.nl/product/now-you-see-me-moria/
kurier.at/politik/ausland/trump-black-lives-matter-schriftzug-ist-symbol-des-hasses/400959026
amplifier.org/free-downloads/
monotype.com/de/resources/expertise/typography-and-modern-protest

Politische Gestaltung und Auswirkungen auf die Gesellschaft-„Ich mach doch nur so ein paar schöne Objekte, was hat das denn mit Politik zu tun?“

Ist Design politisch? Und wie können Designs die Politik beeinflussen?

In letzter Zeit sind Design und Politik mehr denn je kollidiert. Diese Designs können und beschränken sich nicht darauf, politische Kampagnengrafiken, Poster, Satire (Cartoons), Social-Media-Nachrichten und Propaganda zu erstellen. Wir werden überall, wo wir uns umdrehen, absichtlich bombardiert, so dass viele dieser Wege unterschwellig sind und unbemerkt bleiben. Wenn Sie jedoch anfangen, über das Verhältnis zwischen Politik und Design nachzudenken, können Sie die Kraft sehen, die Design in unserem Alltag spielt.

Es ist faszinierend für mich, dass Grafikdesign in der Politik genau wie Branding und Werbung verwendet wird, wenn man in einen Laden geht. Entworfene Bilder können Ihre Denkweise beeinflussen, was beeinflussen kann, welches Produkt Sie in Ihrem täglichen Leben wählen. Nehmen wir an, Sie gehen in ein Geschäft und können sich nicht entscheiden, welches Bier Sie von Typ A bis Typ B wollen. Neben dem Preis können Ihre endgültige Entscheidung Ihre endgültige Entscheidung beeinflussen, die Farben, Grafiken oder „Vibes“, die auf der Dose verwendet werden. Sie werden dies vielleicht nicht bemerken, wenn Sie Ihre Entscheidung treffen, aber tief im Inneren wirkt sich dies auf Sie auf eine Handvoll Arten aus. Dasselbe gilt für Design in der politischen Szene. Grafikdesign kann immer verwendet werden, damit die Dinge gut aussehen, aber es gibt auch eine tiefere Ebene. Es wird tatsächlich getan, um Sie auf die eine oder andere Weise zu beeinflussen.

Friedrich von Borries: Politics of Design, Design of Politics. (Bild: PD). 

Der VW Käfer und sein politisches Moment

Der VW Käfer ist laut dem Kurator Friedrich von Borries ein gutes Beispiel dafür, wie ein Design politisch angeeignet wurde – und zwar aus verschiedenen Richtungen und Bewegungen: Als Symbol im Nationalsozialismus, als Symbol für das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik Deutschland, für Hippietum in den USA und für Wohlstandsstreben in Mexiko. Der Käfer stand laut von Borries „in unterschiedlichen politischen Systemen für Mobilisierung, für Wachstum, für Aufbruch, für Veränderung“.

Friedrich von Borris. Politik des Design der Politik

Der Architekt, Designer und Designtheoretiker Friedrich von Borries unterrichtet seit 2009 Designtheorie an der Hochschule der Bildenden Künste (HFBK) Hamburg. Aus der Sicht eines erweiterten Designkonzepts, das Produktdesign, Grafik, Architektur, die Gestaltung städtischer Räume und künstlerischer Praktiken umfasst, befasst sich die Ausstellung mit der Hauptfrage der Art von Welt, in der wir leben wollen, und wie wir sie gestalten können.

In einer Reihe von Interaktionen mit und Interventionen im Design Museum zeigt von Borries, inwieweit Design ein politisches Element mit sich bringt. Er weist in Bezug auf „Politik des Designs“ darauf hin, dass Designobjekte auch immer in einem politischen Kontext entstanden sind und dass in vielen Fällen eine gesellschaftspolitische Absicht hinter ihrer Entwicklung steckte. Mit Theorien wie „Design sexualisiert“, „Design kolonialisiert“ und „Design manipuliert“ wirft er einen neuen Blick auf Cola-Werbung, Sony Walkmans und modernistische Möbel. Diese Diskussion über das politische Element im Design wird auf den Bereich der Politik ausgedehnt. Der Fokus auf die Objekte wird dem „Design of Politics“ gegenübergestellt, das die Möglichkeiten der Gestaltung und Veränderung der Politik untersucht. Welche Rolle kann Design bei der sozialen und kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft spielen?

Friedrich von Borries. Politics of Design, Design of Politics. Installation view, 2018. Photo: Anna Seibel

friedrichvonborries.de/de

Die Pflicht des Designers

Politische Gestaltung kann eine weitere Möglichkeit sein, Wähler für eine bestimmte Haltung zu einem Thema zu rekrutieren. Dies kann durch die Erstellung eines verachtenden Cartoons erfolgen, der sich auf die Kritik an einer politischen Figur oder die Erstellung von Postern konzentriert, die zum Aktivismus zu bestimmten Themen inspirieren sollen. Diese Objekte winken mit einer Flagge, die möglicherweise unbemerkt bleibt, aber es dem Betrachter auch ermöglichen kann, mehr in das hervorgehobene Thema einzutauchen. Auswirkungen und Macht wie diese können große Vorteile für die Gesellschaft haben, können aber auch aus heimtückischen Gründen genutzt werden. Es ist unsere Aufgabe als Grafikdesigner, uns auf die Erhöhung und Weiterentwicklung der Gesellschaft zu konzentrieren, anstatt sie sich verschlechtern zu lassen.

Da Design die Gefahr in sich berge, für politische Zwecke instrumentalisiert zu werden, sei es die „Pflicht darüber nachzudenken, wie kann denn das, was ich gemacht habe, genutzt werden“, meinte der Kurator Friedrich von Borris im Deutschlandfunk.

Quellen:

dnstdm.de/en/politics-of-design/
cicero.de/kultur/wie-politisch-ist-design/37157
aufbauhaus.de/veranstaltungen/politik-und-design-ueber-die-politische-dimension-von-gestaltung
margit-nowotny.de/kann-design-politisch-sein/

Emotional Branding

In einem der letzten Blogeinträge wurde kurz das Thema des Emotional Branding erwähnt. Dieses Herstellen einer emotionalen Verbindung zu einer Marke hängt stark mit dem emotionalen Design einer Marke und von Produkten zusammen. In diesem Artikel wird das Thema des Emotional Branding also genauer betrachtet.

Funktionale und emotionale Werte

Emotional Branding baut auf emotionalen Bedürfnissen, wie Liebe, emotionaler Sicherheit und Stärke auf. Dies kann schließlich emotionale Reaktionen hervorrufen. Zu Beginn ist es wichtig zu erwähnen, dass im Design immer beide Ebenen, die funktionale und die emotionale Ebene betrachtet werden müssen. Denn ohne eine funktionale Ebene haben Produkte und Marken auch keinen Mehrwert für Kund*innen und somit kann dies auch nicht auf der emotionalen Ebene ausgeglichen werden. Allerdings gibt es hier einige interessante Aspekte zu betrachten (Kato, 2021). Der funktionale Wert kann nach Sheth, Newman und Gross (1991) definiert werden als “perceived utility derived from an alternative’s capacity for functional, utilitarian, or physical performance”. Es steht also immer Nützlichkeit und Funktionalität dabei im Vordergrund. Der Emotionale Wert hingegen wird definiert als “perceived utility derived from an alternative’s capacity to arouse feelings or affective states”. Hier sind die Gefühle, und affektiven Zustände von Bedeutung. Beides zusammen schafft eine optimale Grundlage für emotional Branding und Markenbindung.

Dazu ist es allerdings wichtig, dass die Balance zwischen den beiden Werten ausgeglichen bleibt. Denn gibt es in Verbindung zu einem Produkt zu viele Funktionen und Möglichkeiten zur Interaktion – vor allem bei digitalen Produkten – dann leidet vermutlich nicht nur die Usability darunter, sondern das Kaufverhalten wird dadurch auch nicht positiv beeinflusst (Kato & Tsuda, 2020). Im Gegenteil hat der emotionale Wert hier einen größeren Einfluss. Es handelt sich hier um die sogenannte “feature fatigue” nach der Produkte mit zu vielen Funktionen eher als unattraktiv für Konsumentinnen angesehen werden. Emotional ansprechende Produkte werden hingegen eher die Bedürfnisse der Konsument*innen in den Vordergrund stellen und somit eher zum Kauf anregen. Somit ergibt es nach Kato (2021) auch Sinn den emotionalen Wert eines Produktes in den Vordergrund zu stellen, um Produkte attraktiver zu gestalten, den funktionalen Wert aber auf jeden Fall nicht zu vergessen.

Wie eine emotionale Marke also schließlich in der Praxis aufgebaut und designed werden kann, soll im nächsten Abschnitt betrachtet werden. Dazu werden einige Anhaltspunkte und Beispiele beschrieben.

Fokus auf die richtigen Emotionen

Es gibt positive und negative Emotionen. Werden positive Emotionen wie Liebe, Freude, Glück, Mut, Optimismus oder Hoffnung über eine Marke transportiert, kann eine Marke beispielsweise humaner wirken und so näher an Kundinnen sein. Dazu muss im Designprozess bedacht werden, welche Emotionen bei Kund*innen ausgelöst werden sollten, um diese auch entsprechend zu vermitteln. Nur so können Kund*innen schließlich die Marke auch mit diesen Emotionen in Verbindung bringen und das Gefühl einer humanen, menschlichen Marke bekommen.

Einsatz von Bildern & Storytelling

Storytelling schafft Aufmerksamkeit und vor allem eine emotionale Wirkung. In einem Zitat nach Mark Scaefer wird das deutlicher: “We don´t have 30 seconds to be interrupted by advertising, however, when audiences are exposed to content that is valuable, entertaining, emotive and simply enjoyable – even if it´s branded – they miraculously have 30 minutes to watch and then share the content with their own audiences.”

Hilfreich sollte hier der Fokus auf einige wenige Emotionen sein, sodass diese über das Design klar vermittelt werden können (Brown, 2017). Beispielsweise fokussiert sich die Marke “Indego Africa” auf Emotionen wie Hoffnung und Mut. Diese werden direkt über das Design und Zusammenspiel von Bild und Sprache übermittelt und an Betrachter*innen übertragen.

Wichtig ist es die richtige Story zu finden. Oft werden aktuelle Anlässe und Situationen wie die Corona Pandemie genutzt, um emotionale Werbungen und Kampagnen zu starten. Das soll Kund*innen auf der emotionalen Ebene ansprechen. Mögliche andere Wege sind aber auch Geschichten über das Produkt, die Firma, einen Ort, die mögliche Zielgruppe oder einen “Hero”, welcher im Zentrum der Geschichte steht, zu starten.

Indego Africa (https://indegoafrica.org/)

Anpassung an die Zielgruppe

Die Marke Always (https://www.always.de/de-de/) beispielsweise spricht mit der Kampagne #LIKEAGIRL (2014) direkt die Zielgruppe an und schafft über Storytelling eine emotionale Wirkung, die Hoffnung und Ermutigung vermittelt. Auch in diesem Fall ist die Sprache der Bilder ausschlaggebend und im Zentrum. Dadurch das Menschen der Zielgruppe auf den Bildern abgebildet werden, wird das Design natürlich gleichzeitig auch wieder humaner und für die Zielgruppe nachvollziehbarer. Diese fühlen sich mit der Kampagne vielleicht selbst angesprochen.

Always Kampagne #LIKEAGIRL 2014

Personalisierte Produkte

Eine andere Möglichkeit des emotionalen Designs im Branding ist die Personalisierung und die direkte Ansprache der Kundinnen. Die Marke Function of Beauty lässt Kundinnen bei ihrer Bestellung ein Quiz ausfüllen, um ein optimales Shampoo für die Kundinnen herzustellen, das genau auf deren Bedürfnisse abgestimmt ist. Duft, Farbe, Inhaltsstoffe können selbst bestimmt werden. Der eigene Name wird auf die Verpackung des Produktes gedruckt, die im allgemeinen sehr minimalistisch gehalten ist. Kundinnen identifizieren sich mit dem Produkt, es wird auf ihre Bedürfnisse abgestimmt und es ist ihr persönliches Produkt – das schafft Bindung.

Function of Beauty (https://www.functionofbeauty.com/)

Brand Persönlichkeit

Auch ein definierter Charakter, der mit einer Marke assoziiert werden soll, kann hilfreich sein. Ist eine Marke vielleicht jung, sportlich, abenteuerlich, fröhlich oder ermutigend? Je nachdem, was die Marke widerspiegeln soll, sollte auch der Charakter definiert werden. Kundenbeziehungen werden dann stärker sein, wenn sich Kund*innen mit den Werten von Produkten und Marken identifizieren können. Und dieser Charakter kann sich im Produkt wiederfinden.

User Value

Die Vorteile der Marke konzentrieren sich auf das, was die Kund*innen an die Marke bindet. Am Beispiel von Apple, die einfach bedienbaren User Interfaces. Genau diese Benefits sollten schließlich auch in Kampagnen und dem Markendesign aufgegriffen werden. Ein gute Kauferlebnis schafft schließlich weiter positive Verbindungen. Beispielsweise ist eine Onlinebestellung vielleicht besonders einfach und reibungslos verlaufen (aus der Sicht des Designs durch entsprechende User Interfaces, Webdesign etc., vielleicht kommt das Produkt mit einer personalisierten Karte, wenn dieses geöffnet wird). Diese User Experiences können einen Einfluss darauf haben, ob eine Marke erneut gewählt wird oder nicht.


Quellen

Brown, E. (2017, 20. November). Emotional Branding: The Role of Positive Emotions In Branding. Verfügbar am 15. Jänner 2022 https://www.designmantic.com/blog/emotional-branding/

Kato, T. , & Tsuda, K. (2020). The effect of the number of additional options for vehicles on consumers’ willingness to pay. Procedia Computer Science, 176 , 1540–1547.

Kato, T. (2021). Functional value vs emotional value: A comparative study of the values that contribute to a preference for a corporate brand. International Journal of Information Management Data Insights1(2), 100024. https://doi.org/10.1016/j.jjimei.2021.100024

Sheth, J. N. , Newman, B. I. , & Gross, B. L. (1991). Why we buy what we buy: A theory of consumption values. Journal of Business Research, 22 (2), 159–170 .

(2021, 8. Februar). The Role of Emotion and Storytelling For Brand Building. Verfügbar am 15. Jänner 2022. https://rockcontent.com/blog/emotional-branding/

The Infinite Grid – flexible Rasersysteme

Rastersysteme sind eine Schlüsselkomponente des Grafikdesigns, aber sie wurden schon immer für Canvas mit festen Abmessungen entwickelt. Bis jetzt. Den heutzutage entwerfen wir für ein Medium, das keine festen Abmessungen mehr hat, ein Medium, das seine Form ändern kann und wird, um sich besser an seine Umgebung anzupassen – ein Medium, das in der Lage ist, ein einzelnes Layout auf einem Smartphone, einer Werbetafel am Times Square und allem darin anzuzeigen zwischen. Dafür brauchen wir ein Rastersystem mit unendlichen Möglichkeiten

Es ist üblich, sich beim Responsive Design mehrere Layouts vorzustellen: Mobil, Tablet, Desktop usw. Das Problem ist, dass die Zwischengrößen tendenziell darunter leiden, sodass wir Layouts erhalten, die bei bestimmten Abmessungen (320, 720, 960), funktionieren aber bei allen Zwischengrößen nicht mehr. Das Spektrum der Geräteauflösungen wird immer größer und die Grenzen Verschwinden zunnehmendst. Daher müssen wir ein Rastersystem erstellen, welche keine festen Abmessungen mehr hat, ein Layout mit unendlichen vielen Möglichkeiten welche nahtlos ineinander übergehen und unseren Inhalten unabhängig von der Bildschirmgröße Struktur verleihen.

Wie wir schon oftmals gehört haben, sind Raster ein Werkzeug zur visuellen Problemlösung. Das Erstellen eines Layouts ist wie das Erstellen eines Puzzles, es gibt viele einzelne Teile, welche am Ende alle zusammen eine Komposition ergeben sollen. Wenn wir ein Raster konstruieren, erstellen wir Layout grenzen und definieren somit die Umgebung. Aber wenn ein unendliches Raster konstruiert werden soll, setzen wir nicht nur die Grenzen für ein Layout, sondern ein Layoutsystem mit vielen Variablen. Sind die Beziehungen zu den einzelnen Teilen richtig definieren, füllt sich er Raster von selbst.

Da bei flexiblen Rastersystemen keine Ränder festgelegt werden können, da das Layout ja auf jeder Bildschirmgröße funktionieren soll müssen Designer zum Umdenken anfangen und sich auf die Inhalte konzentrieren. Es muss eine Informationshierchie festgelegt werden, Beziehungen zwischen den Inhalten definiert werden um mit einem Infinite Grid auch erfolgreich zu sein.

Aber welche Vorteile bzw. Nachteile ergeben sich aus einen Rastersystem und dem sog. Infinite Grid?

Einerseits hilft es die Problematiken der unterschiedlichen digitalen Auflösungen zu minimieren da ein solches Layout sich dann natürlich an jede Auflösung anpassen kann. Aber es kann im Design Prozess helfen, denken wir jetzt nun wieder an Print Sujets wie Magazine, Plakate, Flyer etc.  so könnte binnen weniger Sekunden eine hohe Anzahl an unterschiedlichsten Layoutvorschlägen gewonnen werden, was natürlich die Arbeit eines Designers unheimlich verschnellert. Somit kann schnelles, gezielteres Layout kreiert werden. Bleibt nur die Frage ob dies nun Vorteil oder Nachteil für Designer ist.

Swiss Grid Systems

Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass das Schweizers Design System Grafikdesign zu dem gemacht hat, was es heute ist. Der Raster führte zu einem neuen mathematischeren Ansatz für Komposition und Kommunikation. Der Begriff „Swiss Grid Systems“ umfasst sowohl das Rastersystem selbst als auch eine breitere Ästhetik, welche als Internationaler Typografischer Stil bekannt ist.

Die visuellen Merkmale des Internationalen Typografischen Stils umfassen:

  • Asymmetrische Positionierung der Designelemente auf einem mathematisch konstruierten Raster, um eine visuelle Einheit in einer Komposition zu schaffen.
  • Visuelle und textliche Informationen wurden klar und sachlich präsentiert
  • Linksbündige Ausrichtung von serifenloser Typografie

Diese neue Ästhetik wurde jedoch nicht dem Zufall überlassen, es wurden Layouts mit strukturierte Rasterlayout zusammen mit ungerechtfertigter Schrift entworfen. Diese Herangehensweise an zweidimensionales Design stimmte mit der übertriebenen Ansicht der Schweizer Designer überein, welche besagte, dass Grafik eines von vielen Rädchen in der Maschinerie der industriellen Produktion sei: Hierbei ging es um Anonymität und Objektivität, wobei Klarheit und prägnante Kommunikation wichtiger waren als illustrative, blumige oder emotional aufgeladene Designrouten.

Für die Designer stand eher die Tatsache als das Gefühl im Vordergrund, daher wurden fotografische Bilder über Illustrationen verwendet, die Schriftarten waren sauber und einheitlich gestaltet und nicht dekorativ oder übertrieben. In den meisten Fällen wurde eine serifenlose Typografie verwendet, welche linksbündig ausgerichtet wurde. Somit wollte man sichergehen, dass die Typografie schnell und einfach erfasst werden kann. Die Designer ließen gezielt keinen Raum für Exzentrizität, sie sahen sich als objektiver und zuverlässiger Übermittler wichtiger Informationen für die Gesellschaft.

Beeinflusst von der Kunst des Bauhauses und Jan Tschicholds Die neue Typografie, haben die Praktizierenden dieses Stils Kompositionen rationalisiert, indem sie an geometrischen Rastersystemen festhielten. Das Ergebnis waren reduzierte, harmonische, sofort verständliche Designs – Meisterwerke der Kommunikation – die sich bewährt haben.

Nachfolgend werden die Rastersysteme der bekanntesten Schweizer Designer anhand deren berühmtesten Werke analysiert.

Josef Müller Brockmann

Josef Müller Brockmann ist bekannt für seine geometrischen Rastersysteme mit welchen er gezielt Text und Bild platzierte. Für ihn war das Rastersystem ein Hilfsmittel um Informationen einfacher, schneller und besser zu vermitteln. Somit wurden willkürliche textliche bzw. grafische Elemente in ein System gepackt. Dieses System verfolge er auch bei den Werbemitteln für die Marke IBM. Josef Müller Brockmann beschrieb das symmetrische Rastersystem mit einer zentralen Achse als charakteristisch für den Faschismus. Der Modernismus würde eine zentrale Achse ablehnen.

Max Bill

Als Grafikdesigner machte er sich die Grundsätze und philosophischen Ansichten dieser modernistischen Bewegung zu eigen. Der Großteil seiner grafischen Arbeiten basiert ausschließlich auf zusammenhängenden visuellen Organisationsprinzipien – modulare Raster, serifenlose Typografie, asymmetrische Kompositionen, lineare Raumteilungen, mathematische Progressionen und dynamische Figur-Grund-Beziehungen zeichneten seine Werke aus.

Richard Paul Lohse

Lohses Stil war geprägt von der Hingabe an Präzision und Klarheit in seinem theoretischen Rahmen. Struktur sah er nicht als vorläufige Grundlage, sondern als Gesamtkonzept im Bild. Er konzipierte die Leinwand als ein Feld von interagierenden Modulen, in denen sich Farbe und Form ergänzen, um eine formale Farbstruktur zu schaffen. Horizontalen und vertikale Strukturen gefolgt von seriellen und modularen Anordnungen machen seine Werke einzigartig.

Karl Gerstner

Gerstners Raster für die Zeitschrift Capital, welcher 1962 entworfen wurde, wird von einigen immer noch oft als nahezu perfekt in Bezug auf seine mathematischen Eigenschaften bezeichnet. Die kleinste Einheit in Gerstners Raster oder Matrix, wie er es nannte, ist 10pt – das Maß von Grundlinie zu Grundlinie des Textes. Der Hauptbereich für Text und Bild ist ein Quadrat, mit einem Bereich darüber für Titel und Kolumnentitel. Die Raffinesse liegt in der Unterteilung des Platzes in 58 gleiche Einheiten in beide Richtungen. Wenn alle Spaltenzwischenräume zwei Einheiten sind, dann ist eine zwei-, drei-, vier-, fünf- oder sechsspaltige Struktur ohne übrig gebliebene Einheiten möglich.